Von Hunden, Herren und Golems

Niederösterreich: Mai bis September finden im Rahmen des Viertelfestivals im Mostviertel die unterschiedlichsten Kunstprojekte statt.

Wer dieser Tage während eines Spaziergangs einem Hund begegnet, der seinen Besitzer über neue Wege führt, wer beim Wandern auf gelb-schwarz gestreifte Zebrakühe stößt oder beim Einkaufen einem aus dem Internet ferngesteuerten Mann begegnet, der ist mitten in das niederösterreichische Viertelfestival geraten.

Bis 14. September 2008 werden Kunstschaffende das Mostviertel mit insgesamt 87 Projekten bespielen, die von klassischer Musik über Holocaust-Gedenkinstallationen bis zu Cyberspace-Experimenten reichen.

„Wir sind kein Spartenfestival“, sagt Stephan Gartner, Geschäftsführer des Viertelfestivals. Im Gegensatz zu Musikfestivals soll das zum dritten Mal stattfindende Viertelfestival Aktionen aller Gattungen fördern. Das Thema „spiel:räume“ sei absichtlich weit gefasst, sodass unterschiedlichste Zugänge möglich werden, so Gartner im Gespräch mit der „Presse“.

Das einzige verbindende Element der Projekte ist der Lokalbezug, also die Auseinandersetzung mit der Veranstaltungsregion Mostviertel: dem südwestlichen Teil Niederösterreichs, beherrscht von den Ausläufern der Alpen, von Hügeln zerrissen in einzelne Täler; ein Landschaftsidyll. In dieser Umgebung scheint auch die kleinräumig strukturierte Gesellschaft noch in Ordnung. Doch gerade hier, in jenem Teil Niederösterreichs, zu dem auch Amstetten gehört, scheint vielen Künstlern die Auseinandersetzung mit den Konzepten Autorität, Macht und Kontrolle wichtig.

So etwa in dem Projekt „Tracker Dog“, das im Mai gleich in mehreren Mostviertler Gemeinden stattfindet: Eine Umkehr der normalen Herrschaftsverhältnisse will das Projektteam um Renate Pittroff herbeiführen, dem Tier die Kontrolle über den gemeinsamen Weg überlassen. Besitzer sollen sich ganz dem Weg des eigenen Hundes hingeben, neue Orte und Strecken erkunden, sich führen lassen. Diese „Hundswege“ werden via GPS-Ortung aufgezeichnet und in eine eigene Hundewanderkarte fürs Mostviertel eingetragen.

Publikum kontrolliert Künstler

Noch einen Schritt weiter bei der Erkundung des Prinzips Kontrolle geht Gregor Jura als „newGolem“. Wie die Dienerkreatur der jüdischen Legende wird sich der 25-jährige Jura fünf Monate lang totaler externer Kontrolle unterwerfen. Über eine Online-Plattform kann jedermann vorschlagen, was der „Golem“ machen soll, darüber diskutieren und schließlich per Abstimmung entscheiden.

„Er wird alles mitmachen, was ihn nicht schädigt und im Rahmen der Gesetze bleibt,“ so Projekt-Sprecher Gerhard Stubauer. Faszinierend sei bei der Aktion einerseits die demokratische Entscheidung über Juras Taten, andererseits die Umkehrung des Abtauchens in Online-Welten; statt aus der Realität ins „Second Life“ zu fliehen, prägt der Cyberspace hier die Realität im Mostviertel.

„Durch die Förderung kleiner, regionaler Projekte kommen auch Aktionen zum Zug, die sonst kaum Chance auf Förderungen hätten,“ erklärt Geschäftsführer Gartner das Konzept der Viertelfestivals. 400.000 Euro aus dem Kulturtopf des Landes werden jährlich nach Reihung durch eine Jury vergeben – auch Schulen können sich bewerben und stellen rund ein Drittel der diesjährigen Projekte. Bei den bisherigen Festivals in Wald- und Industrieviertel in den Jahren 2006 und 2007 nahmen jeweils knapp unter 50.000 Besucher teil. „Das ist die Latte, die wir uns auch heuer wieder legen,“ so Gartner.

Und auch die Vorbereitungen für das nächste Jahr sind bereits angelaufen: Noch bis 23. Juni können Ideen für das Weinviertel-Festival 2009 eingereicht werden. Unter dem Motto: „drehmoment“ soll auch in der Heimat von Hermann Nitsch, zwischen mystischen Weinlöchern und ruraler Einöde Kunst regional erlebbar werden.

www.viertelfestival-noe.at("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)

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