Fünffach-Mörder aus Hietzinger Idylle

(c) APA (Helmut Fohringer)
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Der mutmaßliche Fünffach-Mörder lebte hinter der mondänen Fassade des Nobel-Bezirks ein unauffälliges Leben. Nachbarn kannten den SP-Parlamentsmitarbeiter kaum. Tatmotiv: Schulden.

Die Neue-Welt-Gasse im Wiener Nobel-Bezirk Hietzing ist kein Ort, an dem man an schwere Gewaltverbrechen denkt. Seit Mittwochmorgen ist das anders. Hier, hinter den gepflegten Fassaden einer der teuersten Wohngegenden Wiens, soll der 39-jährige Reinhard S. Frau und Tochter ermordet haben. Erschlagen. Mit einer Axt. Von hier aus soll er auch nach Oberösterreich gefahren sein, um dort anschließend Eltern und Schwiegervater zu töten.

Warum, weiß noch niemand so genau. Angeblich hatte S. Schulden. Klar ist bis jetzt nur der Tathergang. Es ist Dienstag nach Pfingsten. Natalie, die siebenjährige Tochter des Ehepaares S., hat noch schulfrei. Irgendwann zwischen sieben und acht Uhr Früh greift S. zu einem Beil. Eine „neuwertige Axt“, wie die Polizei später feststellt. S. erschlägt seine Frau (42), eine Beamtin des Finanzministeriums, erschlägt die gemeinsame Tochter, die Nachbarn oft gemeinsam mit ihrem „nach außen hin sehr fürsorglichen Vater“ auf dem großen Balkon mit dem Gartenzwerg haben spielen sehen.

Hat die Siebenjährige gar noch versucht, ihrem Vater, der sie mit der Axt verfolgte, zu entkommen? Der Schluss scheint zulässig, die Polizei findet die Leiche des Mädchens nämlich in einem Schrankraum. S. deckt den leblosen Körper mit einer Decke zu. Die Leiche seiner Frau finden die Ermittler später im Badezimmer. Danach schließt S. die Wohnungstür im zweiten Stockwerk des Hauses, steigt in sein Auto und fährt nach Oberösterreich.

„Ein geflissentlicher Mitarbeiter“

In Ansfelden, einer 16.000 Einwohner-Stadt an der Westautobahn, leben seine Eltern. Die Mutter (69) öffnet S. die Tür. Ihr Sohn attackiert sie sofort mit der Axt, tötet sie im Flur. Sein 72-jähriger Vater bekommt nichts mit. Er ist im Wohnzimmer vor dem TV-Gerät eingeschlafen. S. erschlägt ihn im Fernsehsessel. Es ist 13 Uhr, im Fernsehen läuft die Mittags-ZiB. Bei den Leichen wird später ein Brief gefunden. Darin entschuldigt sich S. für seine Tat.

Er bleibt noch einige Zeit in der Wohnung. Am Abend verlässt S. Ansfelden und fährt in das wenige Kilometer entfernte Linz, wo sein 80-jähriger Schwiegervater lebt. Der Witwer öffnet ihm die Tür – und wird sofort erschlagen. Auch diese Leiche deckt S. mit einer Decke ab. Auch hier lässt er einen Brief zurück.

Nachdem er die Wohnung verlassen hat, fährt er für Stunden ziellos durch die Gegend. In einem Wald versucht er sich zu erhängen. Und scheitert. Gegen drei Uhr ist er wieder in Wien – in Hietzing. Er fährt mit dem Auto bei einer Polizeiinspektion vor, die nur wenige Meter von jener Wohnung entfernt liegt, in der das Unglück begann. Es ist 3.30 Uhr, als er den diensthabenden Beamten seine Taten gesteht. Im Auto vor der Polizeiinspektion finden die Fahnder die Tatwaffe, eine blutverschmierte Axt.

Reinhard S. wird am Mittwoch stundenlang vernommen. Er kooperiert mit den Ermittlern. Er spricht mit ihnen über seine Taten. S. wirkt, wie Chef-Ermittler Thomas Stecher sagt, „überhaupt nicht verwirrt, fast emotionslos“. Er rede sachlich, höre sich die Fragen der Ermittler genauestens an. Als Motiv gibt er an, er fühle sich durch riskante Aktien-Spekulationen finanziell ruiniert. Zuletzt musste er Angehörige um Geld bitten. Die Schmach, alles Geld – die Polizei spricht von einem sechsstelligen Euro-Betrag – bei Finanzgeschäften verloren zu haben, wollte er der Familie ersparen, sagt er.

S. ist PR-Berater, studierter Publizist. 1997 hatte er einen Werkvertrag am Renner-Institut, zuletzt war er parlamentarischer Mitarbeiter der SPÖ-Nationalratsabgeordneten Erwin Spindelberger, Erwin Kaipel, Karl Dobnigg und Walter Schopf, bereitete Reden und Aussendungen vor, beriet sie bei der Öffentlichkeitsarbeitsarbeit.

Spindelberger bezeichnet S. als „sehr geflissentlichen Mitarbeiter, der nichts über sein Privatleben erzählte“. Das letzte Mal sah er ihn am Donnerstag vor Pfingsten. „Und glauben Sie mir, ich habe heute lange überlegt, ob mir im Nachhinein etwas an ihm auffällt. Die Antwort lautet Nein.“

Verdächtiger selbstmordgefährdet

Im Mehr-Parteien-Haus in der Neue-Welt-Gasse, wo gleich an mehreren Türschildern ein „DDr.“ dem Namen vorangestellt ist, kannte man die „unauffällige Familie S. nur vom Sehen“. Die meisten Wohnungseigentümer leben schon Jahrzehnte hier, die junge Familie S. zog erst vor wenigen Jahren ein. Christine Glotzmann, die unmittelbar neben der Tatort-Wohnung wohnt, beschreibt die Distanz innerhalb der Hausgemeinschaft so. „Jeder hier lebt sein eigenes Leben.“

Zumindest die Polizei schenkt Reinhard S. jetzt besondere Aufmerksamkeit. Es besteht Suizidgefahr, heißt es.

AUF EINEN BLICK

Mittwochmorgen gestand Reinhard S., am Dienstagmorgen Frau (42) und Tochter (7) in der gemeinsamen Wohnung in Wien-Hietzing mit einer Axt erschlagen zu haben. Anschließend fuhr er mit dem Auto nach Ansfelden (OÖ), tötete dort zu Mittag Vater und Mutter. Später suchte er noch seinen Schwiegervater in Linz auf, den er ebenfalls ermordete. Nach einer rastlosen Nacht stellte er sich der Polizei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2008)

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