Zu Gast beim echten Rathausmann

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wiens Rathaus lud am Sonntag zum Tag der offenen Tür. Die Attraktionen: ein Geburtstag feiernder Michael Häupl und ein Universitätsprofessor, der am Sandstein leckt.

Wien. „Wollen Sie vielleicht zum Herrn Bürgermeister?“ Verschreckt dreht sich das Seniorenpärchen zum Ordner um. „Lieber nicht“, antwortet die Frau, nimmt ihren Mann an der Hand und verschwindet im Labyrinth der Prunkräume des Wiener Rathauses.

Viele andere wollten dann aber doch. Wenn auch nicht ausnahmslos alle Besucher Michael Häupl persönlich die Hand reichten, so stieß der Tag der offenen Tür am Sonntag doch auf beachtliches Interesse. Neben dem personifizierten Rathausmann schüttelte auch der Rest der Stadtregierung emsig Bürgerhände, führte der Landtagspräsident persönlich durch den Sitzungssaal, öffneten sich Türen im Haus, die dem Volk sonst verschlossen bleiben.

23 lange Jahre ist es her, dass der Souverän, die Bürger Wiens, seine leitenden Angestellten zuletzt in dieser Form besuchen durfte. Damals war noch Helmut Zilk der Herr im Haus, und sein Nachfolger, Michael Häupl, ebenfalls schon mit dabei. Vor Publikum hielt Zilk dem damals stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses eine selbst ausgegrabene Karotte vors Gesicht. Häupl biss zu, die anwesenden Journalisten hatten ihre Story.

Annähernd ein Vierteljahrhundert später steht Häupl erneut im Mittelpunkt. Dieses Mal fällt der Tag der offenen Tür punktgenau auf seinen 65. Geburtstag. Viele in der langen Reihe der anstehenden Besucher wissen das, greifen herzlich zu, als der Bürgermeister – häufig mit einem jovialen „Servus!“ – die Rechte reicht, und wünschen „alles Gute“. Auch die Gemeinderatswahlen im nächsten Jahr sind dabei für viele Besucher schon ein Thema. Eine Frau mittleren Alters, die vor 23 Jahren als Jugendliche schon einmal hier war, will nicht so recht daran glauben, dass der Zeitpunkt des heutigen Termins Zufall ist. „Stehen Wahlen an, dann wollen die Politiker plötzlich mit uns reden“, beschwert sie sich. Insgesamt schien das Interesse aneinander dann aber doch ernst gemeint zu sein und auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Vor den Amtsräumen aller Stadtregierungsmitglieder bildeten sich lange Schlangen.

Etwas leichter tat sich, wer zu Landtagspräsident Harry Kopietz wollte. Der nämlich vergab die 100 lederbezogenen Stühle des Sitzungssaales – völlig undemokratisch – im fliegenden Wechsel an jeden, der sich dafür interessierte. Bürgerkritik, dass bei Sitzungen des Landtages offenbar viel zu wenig Abgeordnete anwesend wären, gab er an den ORF weiter. Der nämlich, beklagte Kopietz, würde Bildmaterial oft so schneiden, dass ausgerechnet jene Debatten auf Sendung gingen, während besonders wenige Mandatare anwesend seien. „Das Fernsehen kann da täuschend sein.“

Ein bisschen getäuscht haben sich auch die Veranstalter in der Nachfrage der Wiener an den Führungen durch die verborgenen Gemäuer des historischen Gebäudes. Für die begrenzte Zahl an kostenlosen Platzkarten gab es derart viele Bewerber, dass sich nicht wenige lautstark darüber beschwerten. Dafür erhielten jene, die rechtzeitig da waren, gleich das volle Programm.

Zum Beispiel einen Spaziergang durch den drei Stockwerke tiefen Keller. Oder einen fast schon mondänen Sektempfang auf der Figurengalerie am Dach, bei dem Wohnbaustadtrat Michael Ludwig erklärt, warum die Sanierung der Fassade des 1883 fertiggestellten Gebäudes 35 Millionen Euro kostet und elf Jahre lang dauert. Anekdoten vom sogenannten „Steinschlecker“ inklusive.

Der Steinschlecker von Wien

Der Mann, den die Rathaus-Mitarbeiter liebevoll so getauft haben, ist niemand geringerer als der Geophysiker Andreas Rohatsch (Technische Universität Wien). Was lustig klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Manche Teile des von Wetter und Schadstoffen zerfressenen Sandsteins müssen durch neue Elemente ersetzt werden. Mittels Einspeicheln und Abschlecken des Steins, so Ludwig zu den staunenden Gästen, ist Rohatsch dazu in der Lage, genau jenen der vielen Steinbrüche zu bestimmen, aus dem das zu erneuernde Fassadenstück einst kam. „Wetten, dass..?“ auf Wienerisch, sozusagen.

DAS WIENER RATHAUS

Wiens Rathaus, zur Unterscheidung auch Neues Rathaus genannt, wurde nach elf Jahren Bauzeit 1883 fertiggestellt. Es ist einer der größten Prachtbauten entlang der Ringstraße. Ganz sicher aber einer der teuersten. Die Kosten des 103,3 Meter hohen und von Friedrich von Schmidt entworfenen Gebäudes betrugen 14 Mio. Gulden, was nach heutigem Wert knapp 85 Mio. Euro entspricht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

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