Fehde unter Tschetschenen-Agenten

FAMILIENFEHDE IN WIEN - FLORIDSDORF
FAMILIENFEHDE IN WIEN - FLORIDSDORF(c) APA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Die Beteiligten der Schießerei waren keine gewöhnlichen Asylwerber. Zur Bluttat kam es, weil zwei Getreue des tschetschenischen Präsidenten, Kadyrow, die Scharia vollzogen.

Wien. Der Fall ist offenbar mehr als eine gewöhnliche Straftat. Inzwischen interessiert sich auch der Verfassungsschutz dafür.

Am späten Mittwochnachmittag kam es in Wien-Floridsdorf innerhalb einer Gruppe von neun Tschetschenen zu einer Schießerei und Messerstecherei. Nach außen hin spricht die Wiener Polizei von einer eskalierten familiären Angelegenheit. Die Bilanz: Acht Festnahmen und vier Schwerverletzte. Der Grund, warum noch in derselben Nacht der Staatsschutz die Arbeit aufnahm, sind die handelnden Personen. Recherchen ergaben, dass die Hauptakteure der Gewaltorgie keine gewöhnlichen Flüchtlinge aus der russischen Teilrepublik sind. Tatsächlich standen sich die Clans zweier ehemals befreundeter Agenten des tschetschenischen Präsidenten, Ramsan Kadyrow, gegenüber. Anlass für den Bruch: die islamische Scharia.

Einst waren Kosum Y. und Suliman E. (er nennt sich heute Wolfgang F.) enge Vertraute. Beide bekamen in Österreich Asyl, kontrollierten hierzulande jedoch in Wahrheit die tschetschenische Diaspora, übten Druck auf jene aus, die sich allzu kritisch über das tschetschenische Regime äußerten. In Befragungen bestritten sie es immer, auch im „Presse“-Gespräch, tatsächlich ging der Verfassungsschutz intern davon aus, dass beide gewissermaßen als Agenten für Kadyrow tätig waren. Wolfgang F. wurde deshalb sogar schon ausgewiesen, reiste jedoch illegal wieder ein. Sein Fall liegt derzeit bei Gericht.

Verbindung zum Israilow-Mord

Auch der Name von Kosum Y. tauchte in den Akten des Verfassungsschutzes schon mehrfach auf. So diente er sich einst der Wiener Landesstelle als Informant für die tschetschenische Community an, geriet jedoch im Zug der Ermittlungen im Mordfall Umar Israilow selbst unter Verdacht. Israilow war 2009 in Wien auf offener Straße hingerichtet worden. Die Behörden vermuteten Kadyrow als Auftraggeber. Bewiesen wurde das jedoch nie. Der Verfassungsschutz sah es nach der Auswertung mehrerer Hinweise als – Zitat aus den Akten – „wahrscheinlich“ an, dass Kosum Y. zumindest an der Vorbereitung des Mordes beteiligt war. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft reichten diese Hinweise jedoch nicht für eine Anklage. Verurteilt wurde allerdings sein Bruder Turpal-Aliy Y. Strafmaß für die Beteiligung am Mordkomplott: 16 Jahre Haft. Als Beobachter saß damals im Verhandlungssaal: Wolfgang F.

Der Ursprung für das Zerwürfnis der einstigen Weggefährten liegt in der islamischen Scharia sowie im tschetschenischen Gewohnheitsrecht (Adat). Kosum Y. dürfte zuvor bei mehreren Gelegenheiten ein Foto von F.s 25-jähriger Tochter herumgereicht haben. Unter tschetschenischen Muslimen gilt das als kompromittierend für die ganze Familie der jungen Frau. Am Mittwochnachmittag kam es zur „Aussprache“. Familienoberhaupt F. brachte sechs Familienangehörige mit, Kosum Y. seinen Neffen und eine Faustfeuerwaffe. Im Handgemenge zwischen den beiden Seiten kam es dann zu Schüssen und Messerstichen. Y. steht nun unter dem Verdacht des dreifachen Mordversuchs. Ein Angehöriger F.s entriss diesem am Tatort die Waffe und konnte als Einziger fliehen. Nach ihm wird gefahndet.

Politische Brisanz

Im Polizeiapparat, beim Verfassungsschutz und im Innenministerium nimmt man den Fall sehr ernst. Immerhin war man bereits beim Israilow-Mord von einem nachrichtendienstlichen Netzwerk Tschetscheniens im Land ausgegangen. Die Namen mehrerer Beteiligter der Bluttat von Ottakring tauchten in den vergangenen Jahren bei Erhebungen im Umfeld von Straftaten auf, dennoch gelang es auf dem Rechtsweg bisher nicht, Clanchef F., der in der Community auch als „Karamasow“ bekannt ist, außer Landes zu bringen.

Gleichzeitig hat man bei den Asylbehörden die Sorge, dass die Taten gewaltbereiter Islamisten oder Kadyrow-treuer Mitglieder der 26.000 Personen umfassenden tschetschenischen Community die gesamte Diaspora irgendwann zum Spielball eines fremdenfeindlichen Wahlkampfs im Land machen könnten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2014)

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