Asylwerber in Wien Erdberg: "Dann bringe ich mich um"

Eine frau mit ihrem Kind im Asyl-Übergangsquartier
Eine frau mit ihrem Kind im Asyl-Übergangsquartier(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Lokalaugenschein. Vergangene Woche kam das Ausweichquartier für Asylwerber in Wien Erdberg in die Schlagzeilen. Der Vorwurf: schlechte Bedingungen.

Wien. Wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen – und meistens wissen sie das nicht –, dann spazieren sie in der Gegend herum. Ahmet, Mohammed (alle Namen wurden von der Redaktion geändert) und ihre Freunde. Sie kommen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan. Wie 350 andere Menschen sind sie vorübergehend im Flüchtlingslager in Wien Erdberg untergebracht. Ein sechsstöckiges Gebäude an der stark befahrenen Erdberger Straße. Immer wieder halten Autos davor. Frauen und Männer tragen Säcke voll mit Altkleidern hinein.

Das Übergangsquartier in Erdberg ist erst seit Anfang Oktober in Betrieb und schon in die Schlagzeilen geraten. Ein Iraker beschwerte sich vergangene Woche über die Zustände vor Ort. Die Betreuung sei schlecht, die Menschen müssten hungern und stundenlang auf das Essen warten. Dann traten auch noch drei Asylwerber in den Hungerstreik. Alle drei wurden mittlerweile in die Betreuungsstelle West nach Thalham in Oberösterreich verlegt. Der Iraker nach Tirol. Er sei ein einzelner Unruhestifter gewesen, der aggressiv gegenüber den Betreuern war, heißt es aus dem Innenministerium. Die UNHCR habe dem Heim eine gute Qualität bestätigt.

Nach außen hin ist wieder Ruhe eingekehrt. Unter der Oberfläche brodelt es weiter. „Wenn so viele Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenkommen, dann gibt es natürlich Konflikte“, sagt ein junger Nigerianer, der davor in Traiskirchen untergebracht war. Ihr Alltag scheitert an Sprachproblemen, an kulturellen Unterschieden, an ihrer Vorgeschichte.

Aber auch an anderem: Vor dem Speisesaal, erzählt etwa Ahmet, bildet sich täglich eine lange Schlange, in der man 20 Minuten warten muss, und dann gebe es Mahlzeiten, die nicht jeder essen kann. „Die meisten Menschen hier sind Muslime“, sagt Ahmet. Sie würden keine Spaghetti bolognese essen, wenn sie im Faschierten Schweinefleisch vermuten. Also verzichten sie. Was übrig bleibt sind Nudeln, eine Scheibe Brot und ein Apfel. Das verdirbt vielen den Tag, der ohnehin meist nur aus Warten besteht.

Mehrere Menüs?

Im Innenministerium hört man das zum ersten Mal. „Es gibt mehrere Menüs, davon auch eine vegetarische Option“, sagt ein Sprecher. Ahmet kann das nicht bestätigen.

Zu schaffen macht den meisten auch die Ungewissheit. „Uns wird nicht gesagt, wie es weitergeht“, sagt ein Iraker, der über Ungarn nach Österreich geflohen ist. Auf dem Weg hierher, sagt er, wurde er von der ungarischen Polizei festgehalten und bestohlen. Er ist nicht der Einzige. Auch Ahmet wurde auf seinem Weg von der Polizei im Ausland bestohlen. Zu Hause hatte er ein Auto, eine Wohnung, einen Job. Jetzt steht er vor dem Nichts. Das spannt an.

Viele der Menschen leiden in Erdberg an ihren traumatischen Erlebnissen. „Ich wache in der Nacht auf und träume von der ungarischen Polizei“, sagt der Mann aus dem Irak. Sein Kollege nickt. Die Polizei habe sie geschubst, beschimpft, geschlagen. In Ungarn musste er auch seine Fingerabdrücke abliefern.

Was theoretisch bedeutet, dass Ungarn für seinen Asylantrag zuständig ist. „Wenn ich wieder nach Ungarn muss, dann bringe ich mich um“, sagt der Mann.

Seine Familie ist im Irak zurückgeblieben. Er ist vorausgeflohen und will die anderen nachholen. Jeden Tag wähnt er seine Familie in Lebensgefahr. Das belastet zusätzlich.

So wie er machen es viele. Das Haus in Erdberg ist voll mit Männern. Doch selten gelingt die Flucht wie geplant. Das Bearbeiten der Asylanträge dauert auch länger, als viele glauben. Das reibt die Nerven weiter auf.

„Hier in Österreich sind aber alle nett“, sagt der junge Mann aus Nigeria. Auch die Polizei sei freundlich, fügt er hinzu. Die Unterkünfte sind sauber, wer keine Kleidung hat, der bekommt sie aus der Altkleidersammlung. Und seit Kurzem gebe es einen Deutschkurs.

„Ein Ticket für die öffentlichen Verkehrsmittel wäre nötig“, sagt der Iraker. Und was ihn ärgert, ist, dass es keinen Arzt gibt. „Zu uns hat man gesagt, wir sollen einen in der Stadt suchen.“ Er habe keine Ahnung, wohin er gehen soll. Im Ministerium will man jetzt Arztbesuche in Erdberg organisieren. Seine Flucht, sagt der Iraker, habe er trotzdem nicht bereut. „Denn im Irak wäre ich jetzt vielleicht tot.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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