Zwei Tote nach Bergunfall: "Es gibt keine tröstenden Worte"

Barbara Juen, Leiterin des Bereichs für Krisenintervention beim Roten Kreuz.
Barbara Juen, Leiterin des Bereichs für Krisenintervention beim Roten Kreuz.(c) Österreichisches Rotes Kreuz
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Am Sonntag ist ein Vater mit seinem Sohn in den Bergen tödlich verunglückt. Was sagt man Angehörigen in solchen Fällen? Barbara Juen vom Roten Kreuz erklärt.

Am Sonntag ist ein Familienvater mit seinen beiden Söhnen (fünf und drei Jahre alt) bei einem Wanderunfall auf der Hohen Wand verunglückt. Nur der Fünfjährige hat schwer verletzt überlebt. Er schwebt nach wie vor in Lebensgefahr.

Die vierköpfige Familie aus Wien wollte am Sonntag gegen 14.30 Uhr vom Hubertushaus kommend über den Springlessteig im Gemeindegebiet von Höflein an der Hohen Wand (Bezirk Neunkirchen) nach Oberhöflein absteigen, als der Fünfjährige Polizeiangaben zufolge unter einem Seilgeländer durchgeschlüpft sein dürfte und über einen steilen Felsabbruch abstürzte. Der Vater wollte noch nach dem Kind greifen, verlor aber das Gleichgewicht und stürzte mit dem dreijährigen Sohn, der sich in einer Rückentrage befand, ab.

Die 36-jährige Mutter musste alles mitansehen. Sie wurde von einem Kriseninterventionsteam betreut. Doch was sagt man Angehörigen in solchen Fällen überhaupt? Das erklärt Barbara Juen, Leiterin des Bereichs für Krisenintervention im Roten Kreuz.

Die Presse: Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Mutter bei dem tragischen Bergunfall am Sonntag von einem Kriseninterventionsteam betreut. Was kann man einer Frau, die eben ihren Mann und ein Kind verloren hat, überhaupt sagen?

Barbara Juen: Es ist nicht die Frage, was man sagt, sondern, was man tut. Denn sagen kann man nichts Tröstendes. Es gibt keine tröstenden Worte. Das Einzige, was man tun kann, ist, mit dem Betroffenen die nächsten Schritte durchzumachen. Ihn durchzucoachen, damit er handlungsfähig bleibt.

Und wie macht man das?

Es gibt viele Bedürfnisse, die Betroffene in dieser Zeit haben. Es kann sein, dass derjenige reden will, dann hört man zu. Die meisten haben aber Fragen: Man will die Rettungsaktion verstehen, ist vielleicht noch gar nicht über den Zustand der Verletzten informiert. In dem Fall vermittelt man Informationen. Wenn jemand verstorben ist, gerade wenn es Kinder sind, dann will man sie sehen, weil man es nicht glauben kann. Auch da ist zu klären, ist das möglich, ist es ratsam und dann wird mit den Angehörigen gemeinsam entschieden, was tut man als nächstes. Auch wie man andere Angehörige informiert.

Was sagt man, wenn jemand Schuldgefühle hat? „Hätte ich doch bloß . . .“

Das ist Standard, das tun alle. Wir hören dann zu. Wir geben Information, wenn wir das Gefühl haben, da ist Information notwendig, vielleicht geht man auch durch, was man alles richtig gemacht hat. Aber wir reden gar nicht so sehr dagegen, denn man kann mit den Leuten da nicht argumentieren. Wenn es wirklich ein Fehler war, dann wird man einen Fehler nicht ausreden, sondern eher darauf hinweisen, dass der Fehler nicht Absicht war, sondern aus Unwissenheit passiert ist.

Was tut man, wenn man als Laie in so eine Situation kommt?

Im Grunde kann man dasselbe tun wie wir. Hingehen, vorstellen, fragen, ob man bleiben darf und dann wirklich bleiben und nicht davonrennen. Gemeinsam versuchen, die nächsten Schritte zu setzen. Nicht in Panik geraten und so pragmatisch wie möglich Unterstützung geben.

Das heißt, jede Art von „Es wird schon wieder“ ist verboten?

Diese lapidaren Sätze kann man sich verkneifen. Gescheiter ist es zu schauen, was brauchen die Menschen an Informationen. Ich kann begleiten, aber nicht trösten.

Meistens wollen die Hinterbliebenen sofort zur Unfallstelle.

Natürlich.

Soll man sie hinlassen?

Wir versuchen im Allgemeinen den Leuten, wenn sie den Leichnam oder die Unfallstelle sehen wollen, einen möglichst sicheren Rahmen zu geben. Man lässt nicht jeden Angehörigen sofort zum Leichnam, wenn der nicht vorher hergerichtet wurde. Wenn ich zu einem Unfallort komme, dann sieht der Angehörige natürlich den Leichnam, dann versuche ich das in einem Rahmen zu gestalten, in dem das möglichst schonend möglich ist. Aber der gleiche Fehler wäre es, jemanden um jeden Preis zu schonen, so dass ich gar nichts herzeige. Für Angehörige ist es ganz wichtig – meist später irgendwann einmal – den Unfallort zu sehen. Weil da so viele Informationen drinnen stecken. Sie wollen wissen, haben meine Angehörigen leiden müssen, hätte man es verhindern können? Wie ist es genau dazu gekommen? Da ist der Unfallort eine Stelle, wo man sich Informationen erhofft. Außerdem ist er im Nachhinein einer der Orte, wo man sich den Verstorbenen besonders nahe fühlt oder wo man noch einmal ein Zeichen setzen will.

Was geht in den Betroffen vor, realisieren sie den Unfall oder ist alles vom Schock überlagert?

Das ist ganz unterschiedlich. In solchen Situationen sind wir hin- und hergerissen: Zum einen schützt uns unser Körper, das heißt wir können es nicht ganz wahrhaben. Gleichzeitig realisieren wir es. Die Menschen sind auch total verzweifelt und außer sich. Sie sind unter Umständen wütend. Sie haben oft ganz heftige Reaktionen. Gerade am Anfang wechselt das ganz schnell. Von einer ruhigen Reaktion auf eine sehr laute.

Wie sieht es mit Medikamenten aus?

Wenn es der Betroffene braucht, dann sollte er welche bekommen. Nur oft werden Medikamente gegeben, um die Helfenden oder viel mehr die anderen Angehörigen zu schützen. Weil es die Umgebung so schwer aushält, dass ein Mensch so verzweifelt ist und schreit. Dann sagen andere Angehörige sofort: Jetzt gebt's ihm ein Beruhigungsmittel. Und wenn man dann auf den Betroffenen zugeht und sagt: Da nehmen Sie ein Beruhigungsmittel, dann sagt der normalweise: "Ich will das nicht, lasst mich in Ruhe." Und je mehr man versucht, dem ein Beruhigungsmittel einzureden, desto mehr eskaliert das Ganze. Wir sagen da: Mit dem Symptom gehen. Wenn jemand weint und verzweifelt ist, dann lass ihn auch.

Das heißt, im Idealfall keine Medikamente.

Wenn der Betroffene selbst etwas möchte oder sich lange nicht beruhigen kann, dann hat das durchaus Sinn. Aber es hat keinen Sinn, schnell einmal ein Beruhigungsmittel zu geben, bloß damit es für alle angenehmer wird. Weil es für die Betroffenen schon besser ist, wenn sie im Nachhinein sagen können: Ok, ich habe nichts mehr ändern können, aber ich habe für meine Angehörigen noch etwas tun können. Etwa selber noch aussuchen, welche Kleidung ich dem Bestatter mitgebe. Ich habe selber noch Entscheidungen treffen können. Das ist im Nachhinein ganz schlimm für Hinterbliebene, wenn sie das Gefühl haben, sie waren weggetreten und haben nichts mehr tun können.

Was sind die häufigsten Fehler, die Helfer machen?

Ein klassischer Fehler ist, dass man die Angehörigen zu sehr vor Informationen schützt oder ihnen nicht die Wahrheit sagt. Die Angehörigen sind oft die letzten, die die Informationen bekommen. Aber sie bekommen ja trotzdem mit, dass da was Schlimmes läuft. Und der andere Fehler ist, dass man versucht zu trösten. Ich kann nicht trösten. Ich kann begleiten.

Ja, aber sagen Sie dann gar nichts? Wenn jemand weint, dann sagt man doch etwas.

Es ist gescheiter, einfach danebenzusitzen und das auszuhalten. Zuerst zulassen und dann versuchen, ins Gespräch zu kommen. Aber ihn nicht mit der Situation konfrontiert, sondern versuchen ihm eine kurze Information zu geben, was als nächstes passiert. Auch über praktische Dinge: "Ich sehe, Ihnen ist kalt, kann man Ihnen etwas geben."

Wie anstrengend ist so etwas für Krisenbegleiter selbst?

Wahnsinnig anstrengend. Deswegen schauen wir auch, dass unsere Mitarbeiter nicht zu viele solcher Einsätze haben. Das geht total an die Substanz. Weil ich kann keinen verzweifelten Menschen mitbetreuen, ohne selbst angesteckt zu werden. Das nimmt die Helfer genauso mit.

Gibt es Fälle, die sich mehr einprägen als andere?

Aber sicher. Da gibt es Fälle, die begleiten einen ein Leben lang. Gerade bei einem Großschadensereignis, weil man auch viel länger mit den Leuten zusammen ist und zu tun hat. Da prägen sich die Geschichten schon wesentlich mehr ein.

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