Entschädigung: „Inoffizielle“ Contergan-Opfer kämpfen

Shoshana Duizend-Jensen
Shoshana Duizend-Jensen(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Weil ihre Eltern damals eine Frist versäumten, sahen einige Contergan-Opfer nie Geld. Jetzt aber kämpfen sie um Unterstützung – von Deutschland und Österreich.

Wien. Am Anfang steht ein Warum. Kein schicksalhaftes, sondern ein konkretes: Warum konnte eine Frau – Kinderärztin noch dazu –, die 1961 nach der Einnahme von Contergan ein behindertes Kind zur Welt brachte, keinen Zusammenhang zum Contergan-Skandal sehen? Und warum war sie nicht die Einzige?

Darüber hat Shoshana Duizend-Jensen, das Kind von damals, viel gegrübelt. Die Historikerin ist eines von geschätzten sieben „inoffiziellen“ Contergan-Opfern in Österreich. Inoffiziell deswegen, weil ihre Eltern versäumten, sich bis zum 31.12. 1983 bei der deutschen Contergan-Stiftung für behinderte Menschen zu melden. Die Folge: Anders als die zwölf offiziellen österreichischen Geschädigten hat Duizend-Jensen keinen Anspruch auf eine Entschädigungsrente. Ihr entgehen derzeit bis zu 1090 Euro im Monat.

„Es gab Zeiten“, erzählt die Wienerin, „da habe ich das meiner Mutter vorgeworfen.“ Erst mit 30 Jahren erfuhr sie die Wahrheit, die dann ein Gutachten eines deutschen Arztes bestätigte. Geschwiegen, so glaubt sie, habe ihre Mutter, weil sie es aus Schuldgefühl verdrängt habe. Und: „Man hat ja nichts von der Stiftung gewusst.“

Gesetz soll novelliert werden

Der Grund: Wegen der dank Rezeptpflicht vergleichsweise geringen Opferzahl war der Contergan-Skandal hierzulande nicht so präsent. Am Land noch weniger als in der Stadt: „In unserem kleinen steirischen Dorf bekam das keiner mit“, sagt Cornelia Z., auch eine „Nicht-Anerkannte“. „Wenn dich wer fragt“, habe ihr die Mutter geraten, „sagst du, du hattest einen Unfall.“ Das macht Z. bis heute.

Das heißt: noch. Denn spät, aber doch beginnen sich die „Inoffiziellen“ zu wehren – gleich an mehreren Fronten. Einerseits wollen laut Duizend-Jensen jene, die erst jetzt von der Stiftung abgelehnt wurden, den Bescheid bis zur letzten Instanz bekämpfen. Andererseits hat Duizend-Jensen einen Wiener Anwalt beauftragt. Hans Otto Schmidt, der bereits vor einigen Jahren für Hepatitis C-Opfer eine Lösung erstritt, soll den Nicht-Anerkannten helfen.

Juristisch hat Schmidt einen schweren Stand: Die Frist für Schadenersatzforderungen sei offensichtlich abgelaufen und der Stichtag der Stiftung in Deutschland per Gesetz geregelt. Weshalb es Schmidt mit Unterstützung der Opfer zunächst auf diplomatischem Weg versucht: Heimische Politiker sollen deutsche zu einer Lösung anregen. Im Idealfall zur Streichung des Frist-Paragrafen.

Sollte dies nicht klappen, will Schmidt nach Anknüpfungspunkten im in punkto Fristen liberaleren US-Schadenersatzrecht suchen. Doch der Anwalt ist sachte optimistisch. Tatsächlich haben sowohl Justizministerin Maria Berger als auch Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky bereits an ihre deutschen Amtskolleginnen geschrieben. Die Antwort aus dem Büro von Ursula von der Leyen, der zuständigen deutschen Familienministerin, klingt vage, aber nicht schlecht: Im Herbst, so heißt es, werde das Conterganstiftungsgesetz ohnehin novelliert.

Die Stiftung selbst, die längst nicht mehr vom Contergan-Hersteller, der Firma Grünenthal, sondern vom deutschen Staat finanziert wird, hätte nichts gegen die Abschaffung oder Verlängerung der Frist, u. a. weil der Kreis der tatsächlich leistungsberechtigten „Inoffiziellen“ nicht groß ist. „Wahrscheinlich wären es weltweit 100“, schätzt Vorstandsmitglied Stefan Breuer. Er weiß aber auch, dass die Nicht-Anerkannten in den Opferverbänden keine Stimme haben. „Auch unter Behinderten gibt es nicht immer Solidarität“, sagt Duizend-Jensen.

Denn: Geld wollen, brauchen alle, weshalb Deutschland zuletzt die Renten für die Offiziellen verdoppelte und Grünenthal eine 50 Millionen-Euro-Zahlung ankündigte. Geld benötigen die Betroffenen etwa für Hilfe im Haushalt. Trotz vieler Belastungen (verkürzte Arme, keine Daumen, Wirbelsäulenverkrümmung, Herzschrittmacher etc.) managt Duizend-Jensen Arbeits- und Familienalltag ohne fremde Unterstützung: „Das Pflegegeld reicht nicht für eine Hilfe.“ Ähnlich geht es Cornelia Z., die sogar Alleinerzieherin war: „Knöpfe zumachen“, sagt sie, „geht bald nicht mehr.“

Auch Österreich soll zahlen

Unabhängig von der einer Lösung mit Deutschland, wälzt Duizend-Jensen einen weiteren Plan. „Wie das einige andere Staaten auch machen, soll Österreich freiwillig Entschädigung an alle, anerkannte wie nicht-anerkannte, Opfer zahlen.“

Als nächsten Schritt will sie aber einmal eine Selbsthilfegruppe gründen. Warum erst jetzt, so spät? „Gute Frage“, sagt sie, „ich glaube, ich hatte einfach keine Kraft.“

Chronologie

1957 bringt die deutschen Firma Grünenthal Contergan als harmloses Beruhigungs-und Schlafmittel auf den Markt. In Österreich wird das thalidomidhältige Medikament als „Softenon“ ab 1958 zugelassen. Es wird gerne von Schwangeren verwendet, weil es die Übelkeit lindert. Anders als in Deutschland ist es rezeptpflichtig.

1961, als sich die Fehlbildungen bei Neugeborenen häufen, nimmt Grünenthal Contergan vom Markt. Die Zahl der Opfer wird weltweit auf bis zu 12.000 geschätzt.

1968 beginnt der Gerichtsprozess, der 1970 eingestellt wird. Es wird eine Stiftung eingerichtet. die an die Opfer zahlt. Derzeit beziehen zirka 2800 Menschen weltweit diese Rente. Sie beträgt zw. 300 und 1090 Euro pro Monat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2008)

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