Das unterschätzte Risiko Berg

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139 Menschen kamen von Mai bis Oktober im Gebirge ums Leben. Die Gründe liegen oft in mangelnder Vorbereitung und überbordendem Ehrgeiz.

Wien. Wenn es bereits den ganzen Tag regnet, die Meteorologen einen Wettersturz prognostizieren, mit Schneefall auf bis zu 900 Meter – dann sind das ideale Bedingungen, um einen der schwierigsten Klettersteige Österreichs zu begehen. Das mussten sich zumindest jene drei Bergsteiger gedacht haben, die Mitte Mai von Hallstatt in die Seewand einstiegen. Die leichtsinnige Aktion hielt 49 Bergretter auf Trab, der Einsatz dauerte fast 24 Stunden. Zwei Bergsteiger waren bald gefunden, der dritte, der seine in Not geratenen Kameraden verlassen hatte und weitergeklettert war, konnte erst mitten in der Nacht auf über 1700 Metern völlig unterkühlt aus dem vereisten Steig befreit werden, wie Bernhard Schmied, Gebietsleiter Salzkammergut der Bergrettung Oberösterreich im Magazin „Bergundsteigen“ berichtete.
Nicht alle Notfälle gehen so glimpflich aus. Diese Woche veröffentlichte das Kuratorium für alpine Sicherheit aktuelle Zahlen: Vom 1. Mai bis 20. Oktober starben 139 Menschen auf dem Berg. Erst vergangenes Wochenende stürzte ein Familienvater mit seinem dreijährigen Sohn in der Rückentrage auf der Hohen Wand in Niederösterreich in den Tod.

139, das ist im Vergleich zu 2013 ein leichter Rückgang, den Andreas Würtele vom Kuratorium auf den verregneten Sommer zurückführt. Tendenziell ist den Statistiken der Bergrettung seit 2009 aber eine Steigerung der Einsätze wie auch der Zahl der Todesopfer (siehe Grafik) zu entnehmen. „Wir haben vermehrt auch größere Einsätze, Sucheinsätze mit hohem Zeit- und Personalaufwand“, erklärt Franz Lindenberg, Präsident der österreichischen Bergrettung.

Der Berg boomt, ob beim Trendsport Klettern, auf den immer beliebteren Klettersteigen oder beim klassischen Wandern. Das zeigt schon der Zulauf zu den alpinen Vereinen, die ihr Kursangebot stetig ausbauen.
Was mit dem Boom allerdings nicht mithält, sind Gefahrenbewusstsein, Risikoabschätzung und oft grundlegende Fertigkeiten. „Manche versuchen, schlechte Vorbereitung und ungenügenden Trainingszustand mit Material zu kompensieren, aber das funktioniert nicht“, sagt Bergretter-Chef Lindenberg. Das macht sich besonders bei den Klettersteigen bemerkbar. Die Einsatzzahlen sind hier zuletzt stark gestiegen. Doch oft müssen die Retter nicht ausrücken, um Verletzte zu bergen, sondern weil jemand entkräftet in der Wand hängt und weder vor noch zurück kann, berichtet Kuratoriums-Chef Würtele: „Das Problem ist die Selbstüberschätzung. Viele tun sich schwer, ihr Können dem Schwierigkeitsgrad anzupassen. Und es gibt eine Tendenz zu immer schwereren Steigen auf einem Niveau, bei dem man eigentlich Kletterer sein muss.“

Die Zugangsschwelle hat sich zusehends gesenkt. Das bestätigt auch Thomas Baumgartner vom Alpinreferat der Alpenvereins-Sektion Austria: „Früher musste man, bevor man überhaupt ein guter Kletterer werden konnte, ein guter Bergsteiger sein. Diese Fertigkeiten, die für Zu- und Abstieg wichtig sind, fehlen heute oft. Es reicht eben nicht, ein paar Klimmzüge zur Vorbereitung zu machen und zu glauben, das geht dann schon.“

(c) Die Presse

Die Suche nach Schuldigen

Und wenn etwas passiert, egal, ob auf einem Klettersteig oder einem partiell gesicherten Steig, wie man sie in den nur harmlos klingenden „Wiener Hausbergen“ häufig findet, wird ein Schuldiger gesucht: „Da taucht dann etwa der Vorwurf auf, dass Steige nicht permanent kontrolliert werden. Aber selbst wenn jede Woche jemand kommt, und Schrauben nachzieht, verhindert das noch keinen Unfall“.

Doch was dann? Essenziell, so der Tenor der Bergexperten, sind gute Vorbereitung und Planung. Auch das kann man im reichen Kursangebot der alpinen Vereine lernen. Ist eine stärkere Reglementierung sinnvoll? „Da sehe ich die Gefahr, dass der Alpinismus, der ja von Freiheit lebt, nicht mehr das ist, was er sein sollte“, sagt Bergretter Lindenberg: „Ein Alpinist muss Eigenverantwortung übernehmen. Aber es scheint, dass die Gesellschaft verlernt hat, Risken einzuschätzen.“
Und Risken abzuwägen gegen Gipfelsiege und andere Erfolge, die sich so schön herzeigen lassen. Alpenvereins-Mann Baumgartner meint dazu: „Problematisch wird es, wenn Menschen den Ehrgeiz aus der Berufswelt auf die Bergwelt übertragen, wenn es nur darum geht, auf Facebook posten zu können, welch hohen Berge man nicht schon wieder bestiegen hat.“

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