Die Bindestrich-Muslima

"Wir sind junge Österreicher wie alle anderen." Dudu Kücükgöl kämpft an vorderster Front gegen das Islamgesetz. Sie ist damit zum Gesicht der jungen Muslime des Landes geworden.

Dudu Kücükgöl ist müde. In drei Wochen hat sie drei Pressekonferenzen absolviert und zuletzt „nur drei Stunden geschlafen“, wie sie bei der Begrüßung entschuldigend anmerkt. „Öffentlichkeit“, sagt Kücükgöl, „ist anstrengend.“ Aber sie wirkt. Seit einigen Wochen ist die junge Frau mit der sorgfältigen Aussprache und dem stets korrekten Kopftuch ziemlich bekannt. Man sah sie im Fernsehen, hörte sie im Radio. Es ging dabei um die Kritik am geplanten Islamgesetz oder um den IS-Terror. Kücükgöl fiel stets auf – mit rhetorischem Talent und Selbstsicherheit.

Nicht anders ist es dieses Mal, bei einem Gespräch im Museumsquartier. Denn Selbstbewusstsein gehört sozusagen zum Programm. Kücükgöl ist Vorstandsmitglied der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ). Dem Verein geht es quasi um das Bindestrich-Prinzip: „Wir wollen eine „österreichisch-islamische Identität kreieren und zeigen, dass sich beides vereinbaren lässt“, sagt die 31-Jährige. Dass Religion für muslimische Jugendliche zur Identität gehört, ist für sie klar: „Zumindest bei den meisten ist das so.“ Die MJÖ vertrete „junge Menschen, die hier geboren oder aufgewachsen sind“. Man fühle sich nicht angesprochen, wenn von Fremdenfeindlichkeit die Rede sei: „Wir sind junge Österreicher wie alle anderen.“ Und so wolle man – Stichwort Islamgesetz – auch behandelt werden.

Weniger in der Botschaft als im entschiedenen Ton unterscheidet sich die MJÖ damit von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), der offiziellen Vertretung der Muslime. Zu dieser geht Kücükgöl dann auch etwas auf Distanz: „Es ist gut, dass es sie gibt, aber ich fühle mich von der ersten Generation der Muslime nicht unbedingt vertreten. Sie verstehen unsere Lebensrealität nicht. Die wissen nicht, wie es ist, wenn man hier in den Kindergarten geht oder neidisch auf den Osterhasen ist. Die ältere Generation stammt aus einem anderen Kulturkreis.“ Kücükgöl stört es auch, dass manche IGGiÖ-Vertreter nicht akzentfrei Deutsch sprechen – ein Seitenhieb auf den IGGiÖ-Präsidenten Fuat Sanaç. Dabei musste auch sie selbst Deutsch erst lernen. Kücükgöl wurde in Ankara in der Türkei geboren. Als sie sieben Jahre alt war, zog die Familie zum Großvater nach Österreich. Kücükgöl wuchs als Älteste von drei Geschwistern im niederösterreichischen Großweikersdorf bei Tulln auf: „Dort hatte ich keine türkischen Freunde, daher habe ich mich mit zehn Jahren komplett auf Deutsch umgestellt.“ An die Jugend in der Marktgemeinde hat Kücükgöl, die in Wien lebt, nur schöne Erinnerungen.

9/11 und die Folgen. Ein besonderes Jahr war für sie 2001, in positiver wie auch negativer Hinsicht: einerseits weil sie damals zur MJÖ fand, andererseits wegen der Anschläge auf das World Trade Center in New York. Geschockt sei sie gewesen und die folgende Feindlichkeit gegenüber Muslimen habe sich ihr eingeprägt. „Die derzeitige Stimmung wegen des IS-Terrors erinnert mich daran“ – mit einem Unterschied: „Es war ein schreckliches Ereignis, das aufgearbeitet wurde – die IS liefert täglichen Horror.“ Im Winter 2001 kam Kücükgöl aber eben auch – über die Einladung zu einem Ski-Camp – zur Jugendorganisation: „Ich habe sofort gewusst, dass ich hier richtig bin.“

Hier hat sie auch ihren Mann kennengelernt, mit dem sie nun zwei Töchter hat, eine drei und eine fünf Jahre alt. Mit ihm teilt sie sich den Haushalt – „wer gerade Zeit hat, putzt oder kocht.“ Immerhin hat Kücükgöl neben ihrem MJÖ-Engagement auch noch einen Job. Die studierte Wirtschaftspädagogin ist interne Revisorin bei einer Schweizer Firma. „Für heute“, bemerkt Kücükgöl ein wenig stolz, „hat mir mein Mann sogar das Kopftuch gebügelt.“

Apropos Gleichberechtigung: Kücükgöl, die den Koran ausführlich studiert hat, findet, dass sich nicht nur „österreichisch-islamisch“, sondern auch „islamisch-feministisch“ gut vertragen. Nachsatz: „Natürlich weiß ich, dass es Strömungen im Islam gibt, die eine andere Sicht zu Frauen haben als ich.“ Warum sie eigentlich selbst Kopftuch trägt? „Weil es für mich ein religiöses Gebot ist.“ Und Punkt. Sie habe diese Debatte wirklich satt, sagt sie. Und nicht nur diese. Auch über die Frage, ob und warum es in der türkischen Community ein Sprachproblem gibt („Die erste Generation hat sich eben nicht akzeptiert gefühlt“) oder ob die MJÖ konservativ sei oder nicht, will sie lieber nicht diskutieren. „Konservativ“ sei ein Etikett, das sie verweigere, man vermittle ein „zeitgemäßes, kontextbezogenes Islam-Verständnis.“ Genauso steht es in den Unterlagen zur Pressekonferenz.

Leidenschaftlich wird Kücükgöl hingegen, wenn es um die Frage geht, inwieweit der Islam mitverantwortlich für den IS-Terror sei und ob in Moscheen nicht auch Zweideutiges gepredigt werde. Sie zitiert eine britische Studie, wonach „Jihadisten religiöse Analphabeten und oft Konvertiten sind. Es gibt keinen Übergang von einem konservativen Islam zum Jihadismus. Im Gegenteil, ein gefestigter Glaube schützt vor Jihadismus.“ Es sei unfair, Religion und Terror zu verknüpfen: „Genau wie die USA die Schlagworte Demokratie und Frauenrechte für den Irak-Krieg missbraucht haben, wird hier Religion für Machtinteressen missbraucht. Es ist nicht immer der Islam schuld.“ Und: „Keiner hasst IS mehr als wir Muslime.“ Aber wenn der Zorn so groß ist, wäre nicht eine muslimische Wiener Anti-IS-Demo auf der Hand gelegen? „Ich verurteile, aber distanziere mich nicht“, sagt Kücükgöl – und schon sieht ihre Begleiterin auf die Uhr. Der nächste Termin, ein Fotoshooting, wartet.

Politikerin in spe? Wie geht es denn nun weiter – mit Kücükgöl selbst? Mit bald 32 Jahren entwächst sie der Muslimischen Jugend. Strebt sie eine Funktion in der IGGiÖ an oder gar in der Politik? Sie zögert kurz: Ein Generationenwechsel in der Glaubensgemeinschaft wäre nötig, sagt sie. Und zur Politik: „Wenn es ein Angebot für eine Chance zur Mitgestaltung gibt, dann ja. Aber nur meinen Namen für Stimmenfang unter den Muslimen hergeben – das würde ich nicht tun.“ Aber das hätte ohnehin keiner vermutet.

Steckbrief

Dudu Kücükgöl
ist Jahrgang 1982. Die Wirtschaftspädagogin ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist Vorstandsmitglied der MJÖ.

MJÖ
Die Muslimische Jugend ist Mitglied der Bundesjugendvertretung und ein eigenständiger Verein. Sie ist keine Jugendorganisation der Glaubensgemeinschaft und hat laut eigenen Angaben etwa 30.000 Mitglieder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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