Bereits zum zehnten Mal wurden heuer im Wiener Rabenhof die Big Brother Awards vergeben. Der Big Brother Award wird an jene Personen, Institutionen, Behörden und Firmen vergeben, die sich im Feld der Überwachung, Kontrolle und Bevormundung ganz besonders verdient gemacht haben. TEXT UND BILDER VON GÜNTER FELBERMAYER
Die Gewinner bekommen einen Preis und einen Platz in der Hall of Shame, so wie ihre Vorgänger aus den letzten neun Jahren. Durch den Gala-Abend führten Thomas Rottenberg und Dagmar Streicher. Hier surfte Rottenberg am Beginn des Abends stilsicher mit dem Handy auf Facebook und Google - keine Unbekannten, was Datenschutzverletzungen angehen.
Die Besucher der Gala mussten zuvor schon beim Eingang des Rabenhofs durch den "Gedankenscanner".
Unter dem Motto "Ihre Gedanken möchten wir haben" wurden die Besucher Teil einer Performance der "United Aliens".
"Schließen Sie die Augen für fünf Sekunden", so der Befehl.
Bleibt die Frage - was stellen die "United Aliens" nun mit den gesammelten Gedanken an?
Für Schwangere gab es einen eigenen "Scanner", um auch schon die Gedanken des Ungeborenen zu erfassen.
Warum gibt es die Big Brother Awards? Ganz einfach, weil jeder Mensch das Grundrecht auf eine unbeobachtete Privatsphäre besitzt. Die Sicherung dieser Privatsphäre wird im Zeitalter der globalen Kommunikation zur wesentlichen demokratischen Herausforderung.
Für die Initiatoren der Big Brother Awards steuern wir durch die Verletzung der Privatsphäre direkt auf eine lückenlose soziale Kontrolle und kommerzielle Verfügbarkeit aller Individuen zu. Jetzt aber live auf der Bühne: Die Showband "Ecliptica".
Die Laudatorin Barbara Mayerl vom "Format" hatte sich schon vor ihren Worten auf der Bühne durchleuchten lassen. Sie präsentierte die Award-Gewinner in der Kategorie Politik: Die Sicherheitssprecher Günter Kößl (ÖVP) und Rudolf Parnigoni (SPÖ). Sie haben sich maßgeblich dafür eingesetzt, dass seit 1.Jänner 2008 die Polizei ohne richterlichen Beschluss bei "Gefahr in Verzug" IP-Adressen verfolgen und Handystandorte peilen darf.
Stefan Kaltenbrunner, stellvertretender Chefredakteur von "Datum", präsentierte die "Sieger" in der Kategorie "Business und Finanzen".
Über den fragwürdigen Award darf sich der Vorstandsvorsitzende der TIWAG, Bruno Wallnöfer, freuen. Er hat um 150.000 Euro einen Detektiv gegen einen Kritiker angesetzt und diesen mit existenzbedrohenden Klagen bekämpft.
Das Kunst-Technologie-Philosophie-Kollektiv "Monochrom" trat mit einer Performance auf, die in der Zukunft in einem total überwachten Staat spielte.
Einzige Hoffnung in der Zukunftsvision: Zwei Postler - "Weil wir haben uns noch nie unsere Arbeit von Maschinen wegnehmen lassen" - die mit einer Zeitreise einen Auserlesenen dazu überreden, die Big Brother Awards zu gründen.
Special Guest war Simon Davies, Direktor der internationalen Organisation Privacy International. Er erfand den Big Brother Award in Großbritannien und startete am 26.10.1998 in London und im Frühjahr 1999 in den USA.
Laudator für die Kategorie Kommunikation und Marketing war Martin Blumenau von FM4.
Der Gewinner: UPC. Der Internetprovider benutzt einen sogenannten Adressfehler-Dienst. Vertippt sich der User, erscheint anstatt einer Fehlermeldung eine Seite mit Werbelinks oder Suchergebnissen, auf die man ansonsten nie gekommen wäre.
Die Gewinner der Awards holen sich den Preis übrigens traditionellerweise nicht ab, was die Veranstalter schade finden.
Nur einmal wollte sich eine Institution den Preis direkt abholen - die Post. Dort hatte man scheinbar nicht genau durchgelesen, warum sie nominiert waren - und Preis ist eben Preis.
Laudator für die Kategorie "Lebenslanges Ärgernis": Uni-Professor Herbert Hrachovec.
Und diesen Preis räumen alte Bekannte der Big Brother Gala ab: Die Post AG als "notorischer Datenhändler". Die Begründung der Jury: Es gibt Ersttäter, Rückfällige und Gewohnheitsstäter - und es gibt die österreichische Post AG, die unbeirrt ein und dasselbe Ziel verfolgt: Die persönlichen Daten ihrer Kunden weiterzuverkaufen.
Laudator für die Kategorie "Behörden und Verwaltung": Der Kabarettist Reinhard Nowak.
"Freuen" über den Award darf sich die Direktorin von "Wiener Wohnen", Daniela Strassl. Sie ließ 220.000 Fragebögen mit versteckter Kundennummer zur Erhebung der Lebensumstände (Zufriedenheit mit Wohnung, Nachbarn, Sicherheit, etc.) an Mieter verteilen. Die Barcode-Nummer war versteckt auf die Rückseite gedruckt und macht die "anonymen" Angaben mit dem jeweiligen Datensatz des Mieters verknüpfbar.
Und wieder ein Showact auf der Bühne: Die Rapperinnen von MTS.
Ralf Bendrath von der deutschen Aktion gegen Vorratsdatenspeicherung erzählte von seinen Erfolgen in Deutschland und präsentierte den Publikumspreis. Dieser wird nicht von der Jury vergeben, sondern von den Besuchern und Usern der Big Brother Award-Homepage.
Gewinner: Die Telekom Austria. Auf Begehren einer Vorarlberger Anwaltskanzlei, die im Auftrag von Pornofirmen tätig wurde, gab die Telekom Austria die persönlichen Daten der Kunden von hunderten Breitbandanschlüssen weiter. In hart an der Drohung formulierten Mahnschreiben forderte man eine Pauschalgebühr von rund 800 Euro für den Download "urheberrechtsgeschützter Werke" die Rechteinhabern wie "Cazzo Film" oder "Muschi Movie" gehören. Die Telekom hat sich die Auszeichnung wirklich verdient.
Weil es auch viele Menschen gibt, die sich für den Schutz unserer Privatsphäre einsetzen, wird der Positivpreis "Defensor Libertatis" vergeben, Laudatorin war Bady Minck, Medienkünstlerin und Regisseurin.
Die Gewinnerin: Meryem Marzouki, Kosmopolitin und Doyenne der Bürgerrechte im Informationszeitalter. Meryem war Gründungsmitglied der ersten weltweiten Dachorganisation Global Internet Liberty Campaign 1996 und wirkte seitdem bei jeder großen Aufklärungskampagne gegen Zensur und Verschlüsselungsverbote, gegen Überwachung, Gängelung und Kontrolle federführend mit. Parallel dazu baute sie in Frankreich mit IRIS eine der schlagkräftigsten Truppen im Kampf gegen die Überwachungslawine in Europa auf.
Zum Abschluss der Gala wurden alle Mitwirkenden auf die Bühne geholt und die Plastik-Waffen von "Monochrom" mit Blumen geschmückt.
Jene Behörden, Personen und Organisationen wurden jetzt also bereits zum zehnten mal beim Namen genannt, die zu unserer Zukunft als gläserne Menschen beitragen. Das Motto "Name Them and Shame Them!" sollte man sich also merken.
''Stoppt die Überwachungslawine!''
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