Kehrseite: Das Geschäft mit der Grippe

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Unzählige Österreicher sind krank. Außer unangenehm ist die gefährliche Viruserkrankung aber vor allem eines: finanziell einträglich. Das Spiel mit der Angst stößt auch auf Kritik.

Die Presseinformationen von Ärzten, Apothekern und Pharmakonzernen verheißen nichts Gutes: Das derzeit umgehende Grippevirus mit dem Namen „Brisbane“ sei einmal mehr besonders gefährlich und aggressiv. Allein in Wien erkrankten in der Vorwoche fast 14.000 Personen. Bundesweit sollen es bis zum Ende der Grippewelle 400.000 gewesen sein.

Die Folge: 2000 bis 3000 Tote prognostizieren Medizin und Pharmaindustrie für ganz Österreich. Die Standesvertretung der Apotheker legt noch eins drauf und schreibt in einer Aussendung von bis zu 6000 Todesopfern. Jährlich. Gleichzeitig wird jedoch betont, dass man sich von der drohenden Gefahr gleichsam freikaufen könne. Schutzimpfungen (vorher) und antivirale Medikamente (im Krankheitsfall) würden helfen. Für die Bevölkerung sind die Warnungen und Geschäftsinteressen der Absender – es geht um Millionenbeträge – jedoch kaum von der realen Bedrohung zu unterscheiden. Das ruft nun Kritiker auf den Plan.

„Vieles, was da geschieht, erweckt durchaus den Verdacht der ,Geschäftemacherei‘“, sagt Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger. Obwohl er betont, dass die echte Influenza als Krankheit keinesfalls unterschätzt werden dürfe, sei die Bevölkerung oft einseitigen Informationen ausgesetzt, „denen die meisten Menschen nur staunend gegenüberstehen können“. Denn: Das Wissen über die eigene Gesundheit bewege sich häufig nur innerhalb sehr enger Grenzen. Als Beispiel nennt er nach außen hin unabhängig wirkende Informationskampagnen, die alljährlich auf den Sinn von Impfungen und Medikamenten hinweisen. Bachinger: „Mündige Konsumenten müssten sich eigentlich fragen, wer die mit großem Aufwand betriebenen Aktionen bezahlt.“

Millionen für Bevorratung

Die Antwort lautet: Das Geld kommt von dort, wo es letztendlich wieder hinfließen soll, von Apothekern und Konzernen. Die „Initiative Influenza“ etwa wird vom Pharmariesen Roche finanziert. Die Geschäftsaussichten sind nicht schlecht. Bei einer (im internationalen Vergleich geringen) Impfungsrate von zwölf Prozent und einem durchschnittlichen Serumspreis von 20 Euro macht das allein bei Impfungen einen jährlichen Umsatz von fast 20 Mio. Euro.

Noch einträglicher ist das Geschäft mit Medikamenten, die im Krankheitsfall gegen die Grippe eingesetzt werden. Derer gibt es mit Relenza (GlaxoSmithKline) und Tamiflu (Roche) nur zwei Präparate. Als in den Jahren 2005 und 2006 weltweit die Angst vor dem Übergreifen der Vogelgrippe auf den Menschen umging, klingelten die Kassen. Allein bei Tamiflu stieg der jährliche Umsatz von 200 Millionen (2004) auf 1,7 Milliarden Euro. Inzwischen hat sich die mediale Hysterie gelegt, der Umsatz mit Tamiflu auf hohem Niveau bei 1,3 Mrd. Euro stabilisiert. Für Österreich allein gibt Roche keine Tamiflu-Umsatzzahlen bekannt.

Auslöser für das große Geschäft waren u.a. Empfehlungen von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und EU an die Staaten, sich mit Medikamentenreserven auf die drohende Pandemie vorzubereiten. Auch die Republik Österreich griff tief in die Tasche, legte (im Jahr 2012 ablaufende) Vorräte für 50Prozent der Bevölkerung (vier Mio. Menschen) an. Trotz stark verbilligten Dosispreises von 14 statt 40,40 Euro in der Apotheke eine Anschaffung in zweistelliger Millionenhöhe.

Ministerium „hatte keine Wahl“

Um auch Privatabnehmer über die Vorzüge von Tamiflu zu informieren, zitierte Roche am 16.Jänner 2008 den Vorstand des Wiener Instituts für Sozialmedizin, Michael Kunze, der in dem Pressetext ausdrücklich antivirale Medikamente wie Tamiflu empfahl. Arbeiten vermeintlich unabhängige Ärzte Hand in Hand mit gewinnorientierten Konzernen?

Während Kunze ein Jahr nach der Aussendung „gar nicht glücklich“ mit der Aussendung ist und betont, dafür „nicht einen Cent“ bekommen und sich nachträglich „fürchterlich über den Ablauf geärgert“ zu haben, argumentiert der Roche-Konzern die Nennung eines von der Republik Österreich bezahlten Universitätsprofessors so: „Im Pharmabereich liegt es nahe, sich für fachlich korrekte Aussagen neben eigenen Statements von z.B. Forschungs- und Entwicklungsleitern auch an medizinische Experten zu wenden.“

Zwei Jahre nach dem Vogelgrippe-Hype analysiert man auch im Gesundheitsministerium die Geschehnisse von damals. „Das war keine leichte Zeit für uns“, erinnert sich Hubert Hrabcik, Generaldirektor für öffentliche Gesundheit. Neben der medizinischen Bedrohung sei man auch unter öffentlichem Druck gestanden. „In so einer Situation ist es schwer zu sagen, dass man nichts macht.“ Was im Übrigen spätestens ab dem Zeitpunkt unverantwortlich gewesen wäre, als in der Türkei die ersten Fälle von Vogelgrippe bei Menschen bekannt wurden. Anstatt Tamiflu (und in kleinerem Ausmaß auch Relenza) zu kaufen, hätte es nur eine Alternative gegeben: „Zuschauen und hoffen, dass nichts passiert.“

Deutliche Kritik an der offensichtlich lukrativen Verquickung von prognostizierten Todesfällen, Impfungs- und Medikamentenempfehlungen kommt vom Wiener Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment, das sich auf Kosten-Nutzen-Analysen im Gesundheitsbereich spezialisiert hat. „Wer mit Zahlen umgehen kann, weiß, dass es keinen einzigen Beleg dafür gibt, dass man mit Impfungen oder Medikamenten irgendjemandem den Grippetod ersparen könnte“, sagt Institutsleiterin Claudia Wild. Überhaupt seien ersparte Todesfälle eigentlich nicht messbar.

Kritik an hohen Kosten

Den Politikern könne man die gigantische Bevorratung mit Medikamenten aus Angst vor der Vogelgrippe (H5N1-Virus) nicht übel nehmen. „Die wollen schließlich gewählt werden.“ Kritik angebracht sei jedoch bei Medizinern, die sich damals bereitwillig vor den Karren spannen ließen. Immerhin gebe es für die Wirksamkeit von Tamiflu gegen H5N1 bis heute keinen Beweis. Zudem steht die Wirkung der Behandlung der „normalen“ Grippe mit Medikamenten laut Wild in keinem Verhältnis zu den Kosten. Studien hätten gezeigt, dass sich die mittlere Symptomdauer um höchstens 0,5 bis 2 Tage verkürze. Die Erkrankung einfach auszusitzen und mit Hausmitteln zu behandeln sei meistens zumindest ökonomisch sinnvoller. Anders verhielte es sich bei der Impfung. Insbesondere bei Hochrisikogruppen wie Krankenhausbediensteten oder Kindern zahle sich der vorsorgliche Schutz auch finanziell aus.

„Angst machen gehört dazu“

Dass die kolportierten Zahlen der jährlich tausenden Grippetoten zu hoch gegriffen sind – bei der Statistik Austria wurden 2007 lediglich sieben Opfer registriert –, geben inzwischen auch die Warner zu. Aber: „Ein bisschen Angst machen gehört zum Teil schon dazu“, glaubt Sozialmediziner Kunze, dessen medial verbreitete Todesbilanz zwischen 2000 und 4000 pendelt. Denn obwohl „niemand seriös sagen kann“, wie viele Menschen tatsächlich an der Grippe sterben, richte die Krankheit durch Sterbefälle nach Lungenentzündungen oder Herz-Kreislauf-Schwächen enormen wirtschaftlichen, natürlich auch individuell-persönlichen Schaden an. Folgerichtig sei eine etwas forsche Gangart beim Bewerben der Vorsorge vertretbar.

GRIPPE IN ZAHLEN

14.000 Neuinfektionen wurden in der Vorwoche in Wien registriert. Bundesweit werden bis zu 400.000 Kranke erwartet. Die Opferschätzungen reichen bis zu 6000 Toten jährlich. Die Statistik Austria registrierte 2007 exakt sieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2009)

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