Die Hilflosigkeit der Drogenpolitik

(c) APA (Günter R. Artinger)
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Alle Kennzahlen, die das Ausmaß des Drogen-Problems abbilden, steigen seit Jahren. Anstatt neue Lösungsansätze zu suchen, ist die „Drogenhilfe-Industrie“ jedoch mit Selbstverwaltung beschäftigt, sagen Kritiker.

Frau K.s Sohn ist 14 und raucht Marihuana. Besorgt wie Eltern nun einmal sind, wenn es um die Gesundheit ihrer Kinder geht, wendet sie sich an eine von der Stadt Wien finanzierte Drogenhilfeeinrichtung in Floridsdorf. Als sie gemeinsam mit ihrem Sprössling beim zuständigen Sozialarbeiter vorspricht, wird sie bitter enttäuscht. Sie möge sich beruhigen, so der „Experte“, das, was ihr Sohn gerade durchmache, sei nur eine „Probierphase“ und nicht unmittelbar Grund zur Sorge.

Diese wahre Geschichte aus dem Leben veranschaulicht lebhaft, was die nüchternen Kennzahlen zum österreichischen Drogenproblem erklären: Ausmaß und Entwicklung des Elends werden entweder unterschätzt oder kleingeredet. Vor allem Angehörige, Passanten und Anwohner sogenannter Problemzonen sehen das so. Heute, Dienstag, präsentiert dazu auch die EU-Kommission ihren Bericht über die illegalen Drogenmärkte.

Bald mehr Helfer als Betroffene?

Nach Schätzungen des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) ist die Zahl der Konsumenten von harten Drogen wie Heroin oder Kokain seit 1999 um über 50 Prozent gestiegen. Das kostete 2007 175 Personen das Leben. 1999 waren es 136. Und auch Polizei und Justiz wenden immer mehr Zeit dafür auf, straffällig gewordene Suchtkranke zu verfolgen. Trotz der tendenziell verstärkt eingesetzten Anklageniederlegung bei kleineren Vergehen wie etwa dem Besitz geringer Suchtgiftmengen für den Eigengebrauch. Sowohl Anzeigen als auch Verurteilungen zeigen einen starken Trend nach oben. Noch interessanter für die Darstellung gesellschaftlicher Entwicklungen ist, dass sich der Anteil der Verurteilungen wegen Drogendelikten an der Summe aller Schuldsprüche im Strafrecht von 5,4 Prozent (1999) auf 12,6 Prozent erhöht hat. Hat die Drogenpolitik die Kontrolle über ihr eigenes Tätigkeitsfeld verloren?

Zusätzlich zu den Statistiken gibt es dafür noch weitere Indizien. Immer mehr Experten kritisieren nämlich, dass sich in den vergangenen Jahren eine „Drogenhilfeindustrie“ aus Sozialarbeitern, Psychotherapeuten und Ärzten etabliert hat, die sich letzten Endes und mit hohen Kosten selbst verwaltet. Wolfgang Schneider vom deutschen Institut für qualitative Drogenforschung in Münster bezeichnet diese Spielart der Drogenpolitik in einem seiner zahlreichen wissenschaftlichen Fachbücher als „Elendsverwaltung und Sozialkosmetik“. Dabei gilt Schneider in Fachkreisen als liberal. Er kritisiert allerdings, dass sich die Verantwortlichen nicht zwischen (beim Wähler populären) Repressionsmaßnahmen einerseits sowie helfenden und schadensminimierenden Programmen andererseits festlegen. Suchtprävention, so der Experte, werde häufig nur noch zur „Volksberuhigung“ eingesetzt, und weiter: „Wir sind jedenfalls auf dem besten Wege, dass die Anzahl der Drogenhelfer, Suchtmediziner, Präventionsfachkräfte, Casemanager, Qualitätssicherer, Drogentherapeuten, Drogenpolitiker, Schadensbegrenzer, Drogenforscher und Drogenverfolger die geschätzte Zahl der Risikopersonen und Gebraucher illegalisierter Drogen bald übersteigt oder schon überstiegen hat.“

Versagt die Gesellschaft?

Dass das Drogenproblem offenbar größer ist als kommuniziert, zeigt auch eine Studie der Salzburger Rechtspsychologen Walter Hauptmann und Eleonora Hübner. Sie schätzen, dass der gesamtwirtschaftliche Schaden, der 2008 durch den Konsum illegaler Drogen entstanden ist, 26,1 Milliarden Euro betragen hat. Während die Untersuchung vor allem bei Justiz und Exekutive auf Beifall gestoßen ist, ist sie von Sozialarbeitern und dem Drogenkoordinator von Wien, Michael Dressel, scharf kritisiert und als „unwissenschaftlich“ bezeichnet worden. Die Autoren hingegen argumentieren, dass man ihnen bis heute keine methodischen Fehler nachgewiesen hätte. Hauptmann: „Von Drogen leben nicht nur die Dealer, sondern zehntausende Arbeitnehmer. Natürlich klatschen diese Leute nicht Beifall, wenn jemand kommt, der ihnen sagt, dass sie keinen Erfolg haben.“

In Wien, das den Großteil des österreichischen Drogenproblems trägt, weist man die Kritik zurück. Präventionsarbeit etwa, so Drogenkoordinator Dressel, habe schon per Definition einen Erklärungsnotstand. Ist sie nämlich erfolgreich – und davon geht Dressel aus –, sei gar nicht nachzuweisen, dass es die Präventionsarbeit gewesen ist, die beispielsweise ein Kind davon abgehalten hat, zu Drogen zu greifen. In der Hauptstadt ist man der Meinung, die Lage unter Kontrolle zu haben. Einer der größten Erfolge etwa sei, dass es bis auf den Karlsplatz keine Straßenszene gebe. Zudem habe man es in den vergangenen Jahren geschafft, die gesundheitliche und soziale Situation der Betroffenen spürbar zu verbessern, etwa durch Programme mit Ersatzdrogen. Für die steigenden Kennzahlen zur Drogenproblematik sind laut Dressel „gesellschaftliche Entwicklungen“ verantwortlich, nicht die Drogenpolitik.

Die nämlich, sagt Studienautor Hauptmann, schaue seit Jahrzehnten weg, ignoriere das Problem. Im aktuellen Regierungsprogramm wird das Thema Sucht auf 247 Seiten ein einziges Mal erwähnt. In wenig überraschendem Zusammenhang: Die Suchtprävention muss ausgebaut werden. Die PR-Profis Dietmar Ecker und Thomas Hofer sind sich einig, warum das so ist. Mit dem komplexen und unangenehmen Drogenthema sei keine politische Auseinandersetzung zu gewinnen. Zumindest dann nicht, wenn man als Regierender die Verantwortung für offenkundige Probleme trage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2009)

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