Wien 2046: Ein Fünftel Muslime

(c) Clemens Fabry
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Laut einer Hochrechnung der Akademie der Wissenschaften schrumpft der Anteil der Katholiken auf ein Drittel, Orthodoxe und Muslime legen dagegen zu.

Wien. Wächst Wien weiter wie bisher, leben im Jahr 2046 etwa 2,1 Millionen Einwohner in der Bundeshauptstadt. Im Vergleich zu heute wird sich zu diesem Zeitpunkt einiges geändert haben – unter anderem auch, woran die Menschen glauben. 33 Prozent der Wiener könnten dann Katholiken sein – 2011 waren es noch 41 Prozent. Gleichzeitig könnte der Anteil der Muslime von zwölf auf 21 Prozent steigen. „Könnte“, weil es sich bei diesen Zahlen um eine Prognose handelt, die im Wirel-Projekt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erarbeitet wurde. Und weil Prognosen keine genaue Auskunft über die Zukunft geben können, sondern lediglich anhand von vorliegenden Daten und Annahmen mögliche Szenarien entwerfen.

Wie schwierig es ist, Aussagen über die Zukunft der Religionen in Wien zu treffen, lässt sich schon daran ablesen, dass nicht einmal gesicherte Daten für die Gegenwart bereitstehen. Zuletzt statistisch erhoben wurde die Religionszugehörigkeit in Österreich nämlich bei der Volkszählung 2001. Seit diesem Zeitpunkt gibt es nur noch Schätzungen, die unter anderem auf Basis von demografischen Daten und Migrationszahlen erstellt wurden. „Das ist daher jetzt unsere letzte Chance, dieses Bild noch darzustellen“, sagt Projektmitarbeiter Ramon Bauer im Gespräch mit der „Presse“. Die Forscher nutzen dazu ausgeklügelte statistische Modelle, orientieren sich an bisher geltenden Mustern. Ergänzend gab es Interviews, etwa zur Intensität des Glaubens, Gründen für den Austritt aus einer Glaubensgemeinschaft und auch zur Religionszugehörigkeit in Partnerschaften.

Anhand dieser Daten wurden drei Szenarien entwickelt. Wobei das Hauptszenario sich vor allem an der derzeitigen Situation anlehnt, Bauer spricht von einem „Integrationsszenario“. Daneben wird in einem zweiten Szenario (Säkularisierungsszenario) angenommen, dass die Politik das Thema Migration künftig restriktiver behandelt, es also künftig nur mehr Migration aus EU-Staaten geben wird. Das dritte Szenario (Segmentationsszenario) beruht wiederum auf der Annahme, dass Migration weniger Restriktionen unterliegt. Je nach der Grundannahme verändert sich auch die Demografie der Bevölkerung – und mit ihr die Verteilung der Religionszugehörigkeit.

• Hauptszenario: Bei einer weitgehenden Fortschreibung der derzeitigen Entwicklung sehen die Forscher, dass der Anteil der Katholiken bei 33 Prozent liegt – in absoluten Zahlen wäre das zwar mit 697.000 Menschen im Vergleich zu 2011 mit 680.000 Katholiken ein Zuwachs. Was auch mit daran liegt, dass die Zahl der Kirchenaustritte mittlerweile den Plafond erreicht haben dürfte. „Jede Religionsgruppe“, sagt Bauer, „hat einen harten Kern, der bleibt.“ Prozentuell würde man dennoch verlieren, nur noch ein Drittel der Wiener wäre dann katholisch. Dagegen würden die Muslime mit 21 Prozent auf rund ein Fünftel kommen – weil sie im Vergleich zur Gesamtbevölkerung jünger sind und es damit mehr potenzielle Eltern gibt. Wobei, schränkt Bauer ein, das Wachstum zu diesem Zeitpunkt schon deutlich langsamer vonstatten ginge. „Wir sehen, dass die Geburtenrate bei den Muslimen seit den 1990er-Jahren deutlich zurückgeht“, die Gruppe nähere sich der Gesamtfertilitätsrate immer stärker an. Ähnlich sieht es bei den Orthodoxen aus, die jetzt schon eine recht niedrige Geburtenrate aufweisen.

• Beschränkung der Migration: Bei der Annahme, dass Migration künftig massiv beschränkt wird, ergeben sich für das Jahr 2046 freilich andere Zahlen. Die Forscher gehen von einer Nullzuwanderung von außerhalb der EU aus, gleichzeitig würden Menschen abwandern, und da die Geburtenrate niedrig ist, würde die Stadt Wien schrumpfen. 2046 würde man sich bei etwa 1,6 Millionen Menschen einpendeln, dem Wert von 2004. Für die Religionszugehörigkeit würde das bedeuten, dass der Anteil der Muslime zwar noch bis etwa 2020 steigen, bis 2046 aber auf etwa zehn Prozent abnehmen würde. Die Katholiken könnten sich dann zwar über 35 Prozent freuen – doch würden sie hinter die Gruppe ohne Bekenntnis zurückfallen, die dann mit 39 Prozent am stärksten wäre.

• Erleichterung der Migration: Das dritte Szenario geht von der Annahme aus, dass Migration weniger Restriktionen unterliegt und die derzeit wirkenden Integrationsbemühungen gestoppt werden. In diesem Fall rechnen die Forscher mit einer deutlichen Zunahme der Zuwanderung von außerhalb der EU und einem Zuwachs auf 2,3 Millionen Wiener. In Zahlen würden die Katholiken dann einen Anteil von 31 Prozent an der Bevölkerung haben, die Muslime und die Nichtreligiösen liegen in diesem Szenario mit 24 Prozent gleichauf, die Orthodoxen bei zwölf Prozent.

Ein für Bauer auffälliges Ergebnis der Forschungsarbeit: Immer mehr Kinder haben kein Bekenntnis, vor allem Kinder aus gemischtreligiösen Partnerschaften. Und Religion hat auch Auswirkungen auf die Frage, wie viele Kinder ein Paar bekommt. „In interreligiösen Partnerschaften gibt es weniger Kinder“, so Bauer. Bildung scheint hier aber wichtiger zu sein als der kulturelle Hintergrund: Je besser gebildet Orthodoxe und Muslime seien, desto weniger Kinder bekämen sie. Dass sich die durchschnittliche Kinderzahl dem Durchschnitt der anderen Wiener Glaubensgemeinschaften angleicht, sei laut Bauer aber auch Ausdruck des „Anpassens an die Mehrheitsgesellschaft“.

AUF EINEN BLICK

Das Projekt: Das Wirel-Projekt (Zusammengesetzt aus „Wien“ und „Religion“) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersucht die Struktur der Religionszugehörigkeit und des Glaubens in Wien. Auf Basis der letzten verfügbaren Daten wurde zuletzt bis zum Jahr 2046 hochgerechnet.

Konferenz: Ab Donnerstag werden die Detailresultate bei einer Konferenz in Wien vorgestellt. „Religion in Vienna: Urban Trends in a European Context“, 20. und 21. November, Albert-Schweitzer-Haus, Garnisongasse 14–16, 1090 Wien. Die Tagung findet in englischer Sprache statt.

Webseite zum Projekt:vidwirel.oeaw.ac.at

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2014)

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