Folter, Mord, oder war alles anders? Urteile auf dem Prüfstand

FALL BAKARY J. - EX-BEAMTE WOLLEN WIEDERAUFNAHME
FALL BAKARY J. - EX-BEAMTE WOLLEN WIEDERAUFNAHMEAPA/HERBERT NEUBAUER
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Drei zuweilen als „Folterpolizisten“ bezeichnete Exbeamte im Fall Bakary J. tun es, ein Wiener Frauenmörder tut es nun auch: Die Genannten versuchen, ihre Schuldsprüche loszuwerden.

Wien. Erst vorigen Mittwoch beschloss der Nationalrat, dass sich Parteien eines Zivil- oder Strafverfahrens ab 1. Jänner 2015 an den Verfassungsgerichtshof wenden können – wenn sie meinen, ihr erstinstanzliches Urteil sei auf Basis eines verfassungswidrigen Gesetzes gefällt worden. Diese neue Beschwerde gilt als rechtsstaatliche Errungenschaft, wird aber wohl nicht rasend oft eingebracht werden. Was es im Strafrecht aber längst gibt und derzeit verstärkt Beachtung findet: Die Wiederaufnahme eines Verfahrens. Damit lassen sich – sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen – rechtskräftige Strafurteile kippen.

Einen Antrag auf Wiederaufnahme brachten etwa jene drei Expolizisten ein, die wegen des Quälens des Schubhäftlings Bakary J. rechtskräftig zu je acht Monaten bedingter Haft verurteilt wurden. Die Männer widerriefen ihre Geständnisse. Zwei der drei Exbeamten gingen im Rahmen einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit, um ihr Vorhaben zu erläutern. Ihre Anwältin sprach von einem angeblichen neuen Zeugen, wurde aber nicht konkret. Zudem setzen die Verurteilten auf neue medizinische Gutachten zur schweren Kopfverletzung, die das Opfer erlitten hat. Ob die Wiederaufnahme „durchgeht“, ist noch offen. Kritiker meinen, dass der Vorstoß wenig Substrat habe und nur unter dem Eindruck von Entschädigungsforderungen des Opfers entstanden sei.

Aber nicht nur die mitunter als „Folterpolizisten“ bezeichneten Exbeamten, auch der Jusstudent Philipp Korotin aus Wien-Hietzing, der in einem aufsehenerregenden Geschworenenprozess des Mordes schuldig befunden wurde (später bestätigte der OGH den Schuldspruch) und lebenslange Haft erhielt, macht nun mit einem Antrag auf Wiederaufnahme von sich reden. Der 26-Jährige hatte im Juli 2010 seine damals 21-jährige Freundin, Stefanie P., in seiner Wohnung erstochen und ihre Leiche zerstückelt. Nun will er einen neuen Prozess.

Sein Anwalt, Nikolaus Rast, stützt den Antrag auf die Aussage eines Drogenhändlers. Dessen Angaben würden den Studenten entlasten und legten nahe, dass andere Täter am Werk gewesen sein könnten. Das Gericht habe es unterlassen, den Mann als Zeugen zu vernehmen, habe nur dessen Aussage vor der Polizei verlesen. Wie dieser Antrag nun bewertet wird, ist ebenfalls offen.

Neue Tatsachen oder Beweise

Klar ist: Die Latte für eine tatsächliche Wiederaufnahme liegt hoch. Laut Strafprozessordnung müssen zum Beispiel „neue Tatsachen oder Beweismittel“ beigebracht werden, die einen Freispruch oder eine Verurteilung wegen eines vergleichsweise milder zu beurteilenden Delikts erwarten lassen.

Platz eins der spektakulärsten Prozess-Wiederaufnahmen nimmt wohl der Mordfall Claudia Deubler ein. Für diese 1993 an der Salzburger Taxilenkerin begangene Tat saß der Fliesenleger Peter Heidegger acht Jahre schuldlos im Gefängnis, ehe der Prozess (Ersturteil: 20 Jahre Haft) neu aufgerollt, der Mann freigesprochen und rehabilitiert wurde. Später wurde Deublers wahrer Mörder verurteilt.

Laut der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage stieg die Zahl der bundesweit bei Gerichten eingebrachten Anträge auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zwischen 2002 und 2005 stark an (von 125 auf 208, siehe Grafik). Seitdem schwankt die Zahl. 2008 war sie am höchsten (259 Anträge). Nur ein Viertel bis ein Drittel der Anträge (auch der Staatsanwalt kann einen neuen Prozess begehren) wird positiv erledigt. Ein Trend hin zu mehr Wohlwollen oder mehr Strenge bei Beurteilung der Anträge lässt sich aus der Statistik nicht herauslesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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