HCB: Giftbelastung seit über einem Jahr

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Die mit HCB kontaminierte Milch aus Kärnten stammt von Kühen, die mit Heu aus dem Vorjahr gefüttert wurden. Niemand weiß, wie lange die Region dem Umweltgift schon ausgesetzt ist.

Seit wann sind Bevölkerung und Tiere des Kärntner Görtschitztales dem Umweltgift Hexachlorbenzol (HCB) eigentlich schon ausgesetzt? Erst die Antwort auf diese zentrale Frage wird zeigen, ob die Konsumenten belasteter Milch- und Fleischprodukte aus der Region tatsächlich mit gesundheitlichen Folgen rechnen müssen. Kurze Akutbelastungen steckt ein gesunder Organismus in der Regel weg. Hält die Einwirkung des Umweltgiftes jedoch länger an, dann wird es bedenklich.

Bedenklich wie jene Informationen, die „Die Presse am Sonntag“ aus Kreisen der Kärntner Agrarbehörde erhielt. Dort gibt es inzwischen gesicherte Hinweise darauf, dass sich die in Milch und in allen Fleischsorten nachgewiesene Substanz seit über einem Jahr in der Umwelt befinden muss. Vielleicht sogar länger. Zuletzt hatte es geheißen, dass die ersten positiven Messungen aus dem Frühling 2014 stammen. Ob, und wenn ja, in welchem Umfang Menschen schon davor HCB aufgenommen haben, weiß derzeit noch niemand.

Heu aus dem Sommer 2013. Diese neuen Erkenntnisse tragen wohl nicht zur Beruhigung der ohnedies schon schwer verunsicherten Bevölkerung in der Region bei. Auf die Spur gekommen ist das Agrarressort dem Detail bei Hintergrundrecherchen zu jenen Betrieben, die nachweislich HCB-belastete Milch an Molkereien verkauften. Dabei stellte sich nun heraus, dass die betroffenen Tiere Heu verfüttert bekamen, das bereits im Sommer 2013 auf den Futterwiesen der Region gemäht wurde. Tierfutter gilt derzeit als zumindest eine von vermutlich mehreren Stationen, die das Hexachlorbenzol auf seinem Weg von der Deponie in Brückl über die Verwertung im Wietersdorfer Zementwerk bis hinein in die Nahrungskette passieren musste.

Momentan sieht es so aus, als ob die Mahd im Sommer 2013 die letzte nachweisbare Zeitmarke ist, die mit der HCB-Belastung in Verbindung gebracht werden kann. Ob es auch davor schon Verunreinigungen gab, wird wohl nicht mehr so leicht zu erheben sein.

Bereits 1926 hat die Donau Chemie mit der Deponierung der u.a. mit HCB belasteten Abfälle in Brückl begonnen. Erst 1981 war damit Schluss. Anschließend lagerte der zusätzlich mit Arsen, Quecksilber und Aluminium versetzte Chemiecocktail drei weitere Jahrzehnte im Boden, ehe im Jahr 2012 das Wietersdorfer Zementwerk, das nur wenige Kilometer entfernt liegt, mit der behördlich genehmigten Verwertung der Altlast begann. Mangelhafte Prozesse im Rahmen dieser Verwertung gelten derzeit als die wahrscheinlichste Quelle für die HCB-Freisetzung. Allerdings meldeten sich in den vergangenen Tagen auch Experten zu Wort, die diese „Ein-Täter-Theorie“ bezweifeln.

Erstmals in Milch nachgewiesen wurde HCB schließlich im Frühling 2014. Die kleine und genossenschaftlich geführte Molkerei Sonnenalm entdeckte die Substanz bei einer routinemäßigen Untersuchung auf Pestizidrückstände. Die Belastung lag unter dem Grenzwert von 0,01 Milligramm pro Liter, dennoch informierte man die Behörden. Die Öffentlichkeit erfuhr davon nichts. Über den Sommer verbesserten sich die Werte, ehe die Belastung Ende November plötzlich den Grenzwert überstieg und deshalb nicht mehr als Amtsgeheimnis behandelt werden konnte.

Bemerkenswert erscheint jedenfalls, dass die belasteten Proben ausgerechnet bei der kleinen und auf besonders naturnahe Milchproduktion setzenden Sonnenalm-Molkerei entdeckt wurden. Sie bezieht ihre Milch von gerade einmal 15 Lieferanten. Die übrigen 32 Milchbauern der Region haben Verträge mit dem Marktführer Berglandmilch.

Am Standort Klagenfurt sucht der Milchkonzern seit Jahren und in Abständen von wenigen Wochen nach Pestizidrückständen in der Rohmilch. „HCB ist dabei bisher noch nie entdeckt worden“, sagt Geschäftsführer Josef Braunshofer. Dazu muss man wissen, dass Berglandmilch in Klagenfurt Rohmilch aus allen Kärntner Regionen zusammenführt, vermischt und dann Proben zieht. Die kleine Sonnenalm-Molkerei wird jedoch nur von Höfen beliefert, die nahe am verdächtigen Zementwerk liegen.

Auch Fleisch kontaminiert. Vor schweren Zeiten stehen seit Samstag nicht nur die 47 Milchbauern der Region, sondern auch 260 Viehbetriebe. Seit zehn Tagen wird jedes geschlachtete Tier auf HCB untersucht. Von elf Proben waren drei „sauber“. Drei weitere – allesamt Rinder – überschritten den HCB-Grenzwert für Fleisch (0,2 mg/kg) zum Teil erheblich (0,6 mg/kg). Die anderen – darunter Schweine und Rotwild – blieben darunter, waren aber immer noch belastet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2014)

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