Prostitution in Wien: Wo man Männern nicht in die Augen schaut

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Beiläufig stehende Frauen, um die Ecke schleichende Autos, hin und wieder ein Beamter in Zivil. Die Polizei will die Prostitution aus der Schutzzone Stuwerviertel vertreiben. Geht das? Zweifel einer Anrainerin.


Es ist ein Ort, an dem man fremden Männern nicht in die Augen schaut. Ein Blick könnte als unfreiwilliges Angebot aufgefasst werden. Gehwege, über die man nach Hause eilt, hoffend, kein Auto möge just in dem Moment um die Ecke schleichen. Es sind Straßen, die jede Wartende, jede Spaziergängerin zur Prostituierten machen. Zumindest potenziell.
Das Geschäft des Stuwerviertels beginnt zeitig in der Früh. Acht Uhr morgens, an der Venediger Au stehen zwei Frauen auf dem Gehsteig. Man könnte meinen, die beiden warten auf einen Arbeitskollegen, um sie mit dem Auto abzuholen. In Jogginghosen und Jeans, unauffällig gekleidet mit hellen Jacken, einer kleinen Tasche um die Schulter, die eine gemächlich rauchend, der anderen steht ihre Müdigkeit ins Gesicht geschrieben.


An der Venediger Au bestimmt das Warten auf die Autos die Zeitrechnung. Warten, nicht auf den Arbeitskollegen, sondern auf die Freier, die schon frühmorgens hier ihre Runden drehen.
Man erkennt sie an der gemäßigten Fahrgeschwindigkeit. Im ersten, maximal zweiten Gang umkreisen sie im Schneckentempo mit ihren Autos die Häuserblöcke des Stuwerviertels. Ein Viertel, das eigentlich ruhig, fast idyllisch wäre, mit schattigen Alleen aus Linden und Kastanien, die den Häuserzeilen einen Charme geben, der manche sehnsüchtig an Berlin denken lässt, mit Kinderspielplätzen, unauffälligen Geschäften, schummrigen Eckbeiseln.


Vieles hier erinnert an die heimelige Atmosphäre eines Dorfes, die Bewohner der schmucklosen Gründerzeithäuser kennen einander: Wenn man nicht im Spitz zwischen Lassallestraße und Ausstellungsstraße wohnt, hat man keinen Grund hierherzukommen, denn die Gässchen zwischen den beiden Ausfallstraßen lassen sich nicht einfach durchqueren; leicht verliert man sich in der schrägen Anordnung. Die Bewohner wissen, wer die Eindringlinge sind, die langsam fahren und nervös schauen, damit sie die Frauen an den Straßenecken rechtzeitig ins Blickfeld bekommen.

Das Dorf und die Eindringlinge. Die Straßenprostitution gibt es schon lange im Stuwerviertel, der einstigen Hafengegend, der stillen Nachbarin des Praters. Kaum ein Bezirksvorsteher, der den Freiern und ihren Mädchen nicht den Kampf angesagt hat. Geschafft hat es keiner. Der jetzige rote Bezirkschef, Gerhard Kubik, hat sich eine komplizierte Einbahnstraßenregelung ausgedacht und kniehohe Betonsperren auf den Straßen aufstellen lassen: Nun geistern die Freier auf verschlungenen Wegen durch die Gässchen, die Parkplatzsuche ist für Anrainer komplizierter geworden.
Doch Mädchen stehen nicht nur in den Straßen, sie warten auch in den Bordellen, die sich fast in jeder Straße eingemietet haben. Manche mit einer schlichten Klingel, wie am Max-Winter-Platz, wo die Nummer 15a mit „gemütlichem Traumservice“ einer „Diane“ lockt, an der Tür gut sichtbar die Aufkleber der akzeptierten Kreditkarten; da gibt es die schrille „Susi Bar“, deren pinkfarbenes Neonlicht samt roter Laternen auch tagsüber leuchtet, Kameras scannen die Kunden beim Eintreten; die „Bussi Bar“, die mit übergroßen Schlumberger-Flaschen in der Vitrine Luxus verheißt; den „Club 9“, dessen Bedienstete bei Schönwetter auf der Straße eine Zigarette rauchen.


Genau diese Etablissements sind nun im Visier der Polizei. Seit einigen Wochen geht man nicht nur gegen den „illegalen Straßenstrich“ vor, sondern auch gegen die rund 15 Rotlichtlokale, in denen Prostitution „angebahnt und ausgeübt“ wird, so die behördliche Sprachregelung. Mit Strafen bis zu 3000 Euro möchte man das Geschäft unprofitabel machen, so Peter Goldgruber, Leiter der Sicherheits- und Verkehrspolizeilichen Abteilung. „Wir zeigen sie regelmäßig an, bis es ihnen zu blöd wird.“ Zu teuer, um genau zu sein. Wie oft die Polizei die Verwaltungsstrafe tatsächlich verhängt, sagt sie nicht. Nur: „Regelmäßig.“

Anzeigen, „bis es zu blöd wird“. Früher kümmerte die Polizei die Lokale wenig. Dabei war das Gesetz das gleiche: Das Wiener Prostitutionsgesetz verbietet in einem 150-Meter-Umkreis von Schulen, Spielplätzen, religiösen Gebäuden oder Kindergärten die Prostitution. Im Stuwerviertel dürfte wegen der vielen Parks, Moscheen und Schulen kein Bordell existieren. Das Rotlichtviertel – eine einzige Schutzzone. Ein aberwitziger Gedanke.
Die Prostitution scheint die Polizei deshalb vermehrt zu beschäftigen, weil die Frauen aus dem Ausland nach Wien gebracht werden und ihre Zahl angeblich zugenommen hat. Daten zeigt man keine. Waren es früher vor allem Österreicherinnen, prostituieren sich nun mehrheitlich Ungarinnen und Slowakinnen. „Wenn man das lässt, dann geht es über“, meint Leopold Kraft, Leiter des Stadtpolizeikommissariats Brigittenau.


Womöglich hat die neue Geschäftigkeit auch damit zu tun, dass das Stuwerviertel als Wohngebiet immer attraktiver wird? In ein paar Jahren kommt die Wirtschaftsuniversität ums Eck, jetzt schon werden Häuser saniert, Zwei-Zimmer-Eigentum um 300.000 Euro angeboten. Bei der Polizei weiß man davon selbstredend nichts. „Um Immobilien kümmern wir uns nicht“, sagt Kraft. Von einem „angenehmen Effekt für die Bewohner“ spricht er aber.


Ein einziges Lokal hat bis jetzt zugesperrt; die Prostituierten aus den Bordellen stehen also noch nicht auf der Straße. Sollte es im Stuwerviertel auf Dauer zu ungemütlich werden, dann könnte sich die Szene anderswohin verlagern – etwa ins Grätzel um die Nordbahnstraße. Dass man die Rotlichtszene dauerhaft aus dem Viertel hinauswerfen könnte, hält nicht einmal die Polizei für realistisch. „Glauben Sie, man kann Diebstahl ausrotten?“, fragt Kraft.
In der Camouflage des Alltags stehen sie noch immer auf der Straße. Die junge Frau mit dem schwarzen, langen Haar, weiße Jacke, enge Jeans, beiläufig telefonierend. Die Wartende vom Max-Winter-Platz, direkt vor der Volksschule, dort, wo die Autos vorfahren können. Das blonde Mädchen auf der Wolfgang-Schmälzl-Gasse, das nicht einsteigen möchte, auch dann nicht, als die beiden Burgenländer aus dem Auto sie lautstark dazu auffordern.

Beiläufig, punktgenau. So beiläufig und doch punktgenau steht es sich im Stuwerviertel, dass beim Warten auf einen Bekannten an der Ausstellungsstraße ein silbernes Auto hält. Das Fenster wird heruntergekurbelt, der Fahrer gibt ungeduldig Handzeichen. „Komm her“, bedeuten sie. Blind und taub möchte man sein. Schließlich gibt der Freier auf, braust davon. Und sucht um die Ecke weiter.

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