Das Land der Bürgerlisten

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Bei den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen treten so viele Listen an wie nie zuvor - nämlich 1844. Einige haben sich direkt aus der VP abgespaltet, wie die Liste »Wir für Retz«.

Mit der Abspaltung sei das so eine Sache, sagt Günther Hofer. „Wir sind ja alle langjährige ÖVP-Mitglieder.“ Das hindert den Retzer Unternehmer und seine Mitstreiter aber nicht daran, sich von der Heimatpartei abzuwenden und mit der Liste „Wir für Retz“ für die niederösterreichischen Gemeinderatswahlen am 25.Jänner anzutreten. Die Retzer Revoluzzer sind dabei nicht allein. Insgesamt 1844 Listen treten in zwei Wochen in 570 von 573 Gemeinden an.

Die drei Statutarstädte St.Pölten, Krems und Waidhofen an der Ybbs wählen erst 2016 bzw. 2017. Einzig in der Statutarstadt Wiener Neustadt wird am landesweiten Termin gewählt. Dort treten übrigens gleich zehn Listen an.

Im Vergleich zu den letzten Gemeinderatswahlen im Jahr 2010 gibt es somit laut Wahlkommission um 89mehr wahlwerbende Listen. Die ÖVP ist traditionellerweise die einzige Partei, die in allen 570 Gemeinen antritt. Die SPÖ tritt in 559, die FPÖ in 341und die Grünen in 126 Gemeinden an. Neu hinzukommen heuer die Neos, die in 45 Gemeinden, allen voran jene rund um Wien, antreten. Zieht man die Listen der etablierten Parteien ab, bleiben noch etwa 200 Namenslisten über, die keiner Partei zuzuordnen sind.

Alfred Gehart vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Gemeinden, ist dieser Tage damit beschäftigt, all diese Listen zu prüfen und zuzuordnen. „Überall dort, wo ÖVP oder eine andere Partei draufsteht, ist es einfach. Wenn die Zuordnung aber nicht eindeutig ist, wird es schwierig. Sie können sich vorstellen, wie beschäftigt wir sind.“ Er hofft, dass die Zuordnung bis „zum 25. in der Früh“ fertig sein wird.


Seit Neunzigern „Listenkultur“. Dass sich immer mehr Bürger zu eigenen Listen formieren oder von einer Partei abspalten, war übrigens nicht immer so. „Mitte der Neunziger sind die ersten Namenslisten aufgetaucht“, sagt Gehart. Mittlerweile sei eine wahre „Listenkultur“ entstanden, die seiner Meinung nach aber bereits „das obere Level“ erreicht habe. Die meisten Listen formieren sich aufgrund eines konkreten Themas, etwa dem Bau von Windrädern, wie einst in der Gemeinde Wullersdorf – ebenso wie Retz dem Bezirk Hollabrunn zugehörig.

Manchmal geht es aber auch um persönliche Befindlichkeiten, wie das in Retz der Fall war. Dort sind nämlich von der VP-Liste relativ kurz vor Abgabefrist gleich der dortige Wirtschaftsbund-Obmann, Günther Hofer, (der diese Funktion aus Vereinbarkeitsgründen bereits zurückgelegt hat) sowie ÖAAB-Obmann Walter Fallheier und Herbert Presler (ebenfalls ÖAAB) abgesprungen. Bei allen Dreien war dabei die Unzufriedenheit mit ihrer Reihung auf der VP-Liste ausschlaggebend. Hofer hätte sich lieber als Spitzenkandidat statt Drittplazierter gesehen. Fallheier meint, er und sein Kollege Presler seien, ohne informiert worden zu sein, einfach von Platz fünf bzw. sieben auf 14 bzw. 16 gereiht worden. Das allein dürfte es aber nicht gewesen sein. Die Zusammenarbeit und auch der Umgangston habe nicht mehr gepasst, heißt es.


Patriarchalischer Stil. „Inhaltlich gab es keine Probleme. Aber es fehlt die Wertschätzung. Es wird nicht diskutiert, sondern von oben herab bestimmt, das ist ein alter patriarchalischer Stil, den wir nicht mehr wollen“, sagt Hofer. Auf die Frage, seit wann es dieses Problem gibt, meint er nur: „Die ÖVP hat mit diesem Stil in den letzten vier Legislaturperioden gearbeitet, das ist eine lange Geschichte.“ Auch Walter Fallheier, im Hauptberuf Lehrer, meint, die Zusammenarbeit mit der Retzer VP-Parteiführung habe nicht mehr gut funktioniert. „Alle Ideen oder Projekte, die von uns, also der Arbeitnehmer-Vertretung kamen, wurden zwar nicht direkt boykottiert, aber hinterfragt und extrem kritisiert. Sie hatten ein Problem mit einer so aktiven Gruppe. Auch jetzt fährt die ÖVP eine sehr aggressive Linie gegen die Liste ,Wir sind Retz‘. Sie haben Angst, dass wir den Bürgermeister stellen wollen.“ Der amtierende Bürgermeister, Karl Heilinger, verabschiedet sich nämlich in den Ruhestand. Die VP schickt dafür Peter Schmidt als Spitzenkandidaten ins Rennen – er ist Mitglied des Bauernbunds.

In der VP sieht man die vorangegangenen Streitigkeiten naturgemäß anders. Johann Gschwindl, Bezirksgeschäftsführer für die VP Hollabrunn, begründet die Konflikte damit, dass „einer was werden wollte“. Obwohl viele der Liste „Wir für Retz“ nach wie vor Parteimitglieder der ÖVP sind, meint er: „Ihre Bünde können sie natürlich nicht mitnehmen. Sie werden nicht ausgeschlossen, aber ihre Funktionen sind vorerst ruhend gestellt.“ Für ihn ist die neue Liste ein politischer Gegner. „Da sind schon einige dabei, die wir gern im Team gehabt hätten, aber jeder ist ersetzbar.“ Er kritisiert naturgemäß den Trend zur Bürgerliste, da dieser den Bürgern schade. „Der Verlierer ist natürlich Retz. Wenn Politiker streiten, geht nichts weiter.“ Um Retz allein sorgt er sich aber nicht: „Retz war immer eine ÖVP-Hochburg, da war immer alles klar. Jetzt treten mit sechs Parteien so viele an, wie noch nie. Jetzt könnte es eng werden.“

1844

Listen
treten bei den Gemeinderatswahlen in 570 Gemeinden in Niederösterreich an.

200

Listen davon sind keiner etablierten Partei zuzuordnen.

89

Listen mehr als bei den letzten Gemeinderatswahlen 2010 stehen diesmal zur Auswahl.

11.725

Mandate werden vergeben, das sind um 56 mehr als vor fünf Jahren.

1,5

Mio. Menschen sind wahlberechtigt, genau genommen 1.519.491.

»Es fehlt die Wertschätzung. Es wird von oben herab bestimmt und nicht diskutiert.«

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Themenbild
Innenpolitik

Niederösterreich: Die kleine Wahl im großen Land

Die Gemeinderatswahl gibt den Startschuss ins Wahljahr.
N� GEMEINDERATSWAHLEN 2015:  WAHLPLAKATE IN WIENER NEUSTADT
Österreich

Niederösterreich: Gemeinderäte gesucht

Gemeinderäte sind nah am Bürger. Wegen der örtlichen Machtverhältnisse fehlt es vor allem Kleinparteien an Personal.
Österreich

Niederösterreich-Wahl: Grün-Pinker Zweikampf um Umland

Grüne und Neos sprechen eine ähnliche Zielgruppe an. Die einen thematisieren Verkehr und Umwelt, die Pinken Schulden und Missmanagement.
Österreich

Niederösterreich: Die erste Wahl des Jahres 2015

Wer an der Gemeinderatswahl am 25. Jänner teilnehmen kann, wer kandidiert, was die Themen sind, und welche Eigenheiten es gibt.
Helmut Mödlhammer
Österreich

Der Bürgermeister: Vom Ortschef zum Verwalter

Niederösterreich. Am 25.Jänner stehen in Niederösterreich die Gemeinderatswahlen an – und dadurch die Bürgermeister im Fokus.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.