Justizanstalt Simmering: Das Gefängnis der offenen Türen

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data-desc=''/Bild: Daniel Novotny / Die Presse Josef Schmoll, Direktor der JustizanstaltDaniel Novotny / Die Presse
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Sie gilt als eines der liberalsten Gefängnisse Österreichs: ein Besuch in der Justizanstalt Simmering, jenem Gefängnis, in dem etwa Ernst Strasser seine Haft als Freigänger verbringt.

Wenn Josef Schmoll spricht, dann klingt das fast zu nett für einen Gefängnisdirektor. Oder für das Bild, das man von einem Gefängnisdirektor so hat. Wenn er in seinem Büro unter dem Bild einer weißen Taube, die durch aufgebogene Gitterstäbe fliegt, sitzt und von seinen Häftlingen erzählt. Von einem, der vom Ausgang schon „fett wie die russische Erde“ zurückgekommen sei, sich betrunken gern prügle, „aber an sich ein netter Mensch“ sei. „Auch wenn das jetzt komisch klingt, wenn das der Gefängnisdirektor sagt.“

Wären da nicht die schweren Tore, die Sicherheitskontrollen, der Stacheldraht. Und vor allem die Zellen mit der schweren Tür, die schon, wenn sie nur für einen Moment zugeht, ein beklemmendes Gefühl schafft. Wären nicht die klirrenden Schlüssel der Beamten oder die Tristesse des Anblicks der Insassen, die zu Mittag im Hof im Kreis spazieren, beobachtet durch Plexiglas. Wäre all das nicht, dann würde es beim Rundgang zwischen Ausbildungswerkstätten, Hütten vom Weihnachtsmarkt im Hof, bei Gesprächen über Freizeitaktivitäten, Ausflüge, Ausbildungen und Therapien so wirken, als sei das ein netter Ort.

Bewerben um einen Platz hinter Gitter. Im Verhältnis ist es das wohl. Simmering ist bekannt als eine der liberalsten Vollzugsanstalten des Landes. Dort, im ehemaligen Schloss Kaiserebersdorf und in den angebauten Gebäudeteilen, sitzen keine „schweren Jungs“. Oder sie kommen erst, wenn sie nur noch eine Freiheits- oder Reststrafe von weniger als fünf Jahren zu verbüßen haben. Häftlinge aus ganz Österreich bewerben sich dort um einen Platz, vor allem wegen der Ausbildungsmöglichkeiten – vom Maurer und Tischler bis zum Bäcker oder Restaurantfachmann.

Simmering, so erklärt Schmoll, ist eine Anstalt des gelockerten Vollzugs. Es ist das Gefängnis, das wegen zwei bekannter Insassen, Ernst Strasser und Josef Martinz, die dort als Freigänger derzeit ihre Strafen absitzen, im Fokus steht. Etwa dann, wenn wie zuletzt Fotografen warten, um die prominenten Freigänger morgens auf dem Weg zur Arbeit zu verfolgen. Dass Josef Schmoll morgens die Gefängnistore aufsperren lässt, die Freigänger den Bau verlassen und zur Arbeit fahren, das ist Alltag. Zuständig ist die Vollzugsanstalt für 528 Straftäter. 79 davon sind mit Fußfessel zu Hause. Von den 449, die im Haus sind, sind 96 Freigänger. Sie leben in Wohngruppen, versorgen sich selbst, kochen gemeinsam, gehen auswärts arbeiten. Dass ein Insasse, wie jüngst Ernst Strasser, schon nach acht Wochen Freigänger wird, das komme häufig vor. Gewöhnlich bleibt jeder Häftling für einen achtwöchigen Beobachtungszeitraum. In Einzelfällen, bei kurzen Strafen, trete manch einer seine Haft direkt als Freigänger an. „Wenn er seinen Job verliert, wäre es ja vorbei“, sagt Schmoll.

Freigang beantragen, das kann jeder, dessen vermutliche Reststrafzeit weniger als drei Jahre beträgt. Je nach Delikt, Vorstrafen und Verhalten in Haft entscheidet die Anstaltsleitung. Genauso wie sie über Ausgang entscheidet. Da gehe es, sagt Schmoll, vor allem auch um das Gefühl, das er, die Sozialarbeiter, die Beamten oder die Psychologen bei einem Strafgefangenen haben. Er zeigt Briefe von Häftlingen, mit denen diese um Ausgang bitten. Seitenweise Handgeschriebenes, junge Männer, Dealer, Suchtkranke, Kleinkriminelle, die triste Familien- und Lebensgeschichten ausbreiten. Die schreiben, warum Schmoll ihnen vertrauen sollte. Oder von Erfolgen berichten. Von einer Ausbildung, davon, nicht mehr rückfällig zu werden. Einem zum Beispiel sei nach langer Kriminalkarriere bei einem Theaterworkshop in Haft „der Knopf aufgegangen“.


Balance zwischen Strafe und Chance. „Wenn man ihre Geschichten kennt“, sagt Schmoll und legt die Briefe weg, „darf man sich bei vielen nicht wundern.“ Die Aufgabe sei es, eine Balance zwischen Strafe und Resozialisierung zu finden. Mögliche Lebenswege aufzuzeigen. „Egal, wie man zum Strafvollzug steht. Dass wir Leute jahrelang wegsperren und dann herauslassen, das funktioniert nicht. Irgendwann kommt Tag X, an dem sie herauskommen.“ So versucht er, seine Häftlinge langsam an die Freiheit zu gewöhnen. Arbeitsplätze für „danach“ zu finden, auch wenn das nicht leicht sei. Haftentlassene sind abgestempelt, knapp jeder dritte hat bei seiner Entlassung eine Jobzusage.

Die Rückkehrerquote ist hoch. Um die 80 Prozent derjenigen, die in Simmering eine Haft antreten, kommen nicht zum ersten Mal. „Trotzdem“, so Schmoll – ehrenamtlich ist er übrigens Vizepräsident des Roten Kreuzes, die Arbeit als Rettungsfahrer und Katastrophenhelfer habe sein Menschenbild geprägt –, „ich sage immer: ,Man muss an die Menschen glauben.‘“ Auch wenn es manchmal viele Anläufe braucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2015)

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