Rachat Alijew: Ein mysteriöser Tod

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Da ein erster Schnelltest ergeben hat, dass Rückstände eines Schlafmittels im Blut des in Haft verstorbenen Ex-Botschafters vorhanden gewesen sind, gibt es Zweifel an der Suizidversion.

Wien. „Ein Vortest des Blutes von Rachat Alijew hat Spuren von Barbituraten ergeben.“ Diese Bestätigung der Staatsanwaltschaft Wien entfaltete noch am Freitag eine geradezu katapultartige Wirkung: Seit dieser Enthüllung werden immer neue Überlegungen zum Gefängnistod des früheren kasachischen Botschafters angestellt. Eine Vielzahl von Fragen prasselt über die offiziellen Stellen herein. Diverse Spekulationen bis hin zu Verschwörungstheorien blühen. Tatsache ist, dass die behördliche Untersuchung der Todesumstände nicht abgeschlossen ist. „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

1Was spricht dafür, dass Ex-Botschafter Alijew in seiner Einzelzelle im Gefangenenhaus Wien Josefstadt Suizid begangen hat?

Vieles. Alijew saß wegen eines dringenden Tatverdachts in U-Haft. Er habe, so hieß es, mit zwei Komplizen (diese warten weiter auf ihren Prozess) und „weiteren Beteiligten“ (diese befinden sich nicht in Gewahrsam der österreichischen Justiz) im Februar 2007 den kasachischen Bankern Zholdas Timraliew und Aybar Khasenov Betäubungsmittel verabreicht und diese danach erdrosselt. Die Anklage ging und geht von einem finanziellen Motiv aus. Alijew drohte eine lebenslange Haftstrafe. Der vorläufige Nachweis von einem Schlafmittel im Blut könnte die Suizidthese verstärken: Alijew könnte, die Ausweglosigkeit seiner Situation fürchtend, Schlafmittel eingenommen und danach seinen Kopf in die aus Mullbinden bestehende Schlinge gelegt haben. Die Mullbinden stammten aus der Krankenabteilung des Gefängnisses, also aus jener Abteilung, in der der 52-Jährige zuletzt in einem Einzelhaftraum eingesperrt war. Das Schlafmittel könnte in die Anstalt geschmuggelt worden sein. Drogenhandel lässt sich in Österreichs Gefängnissen trotz Haftvisiten durch die Justizwache kaum in den Griff bekommen. Allein im Vorjahr langten bundesweit etwa hundert Meldungen über Suchtgiftfunde bei der Vollzugsdirektion ein. Übrigens: Bei Häftlingen heiß begehrt sind Mobiltelefone, vor allem Smartphones (Internet). 2014 wurden Gefangenen österreichweit rund 700 Handys abgenommen. Für Suizid spricht auch, dass die Gänge der Anstalt durch Kameras und die Zellentüren elektronisch überwacht werden und eine erste Überprüfung keinerlei Hinweise auf das Eindringen eines etwaigen Mörders hat erkennen lassen.

2Was spricht gegen die offizielle Selbstmordversion, welche Auffälligkeiten kamen bisher ans Licht?

Die durch den Schnelltest, dessen Resultate wohlgemerkt keineswegs exakt sind, nachgewiesenen Barbiturate können wohl kaum Rückstände jener Medikamente gewesen sein, die Alijew unter anderem wegen Herzproblemen regelmäßig eingenommen haben soll. Dies wurde der „Presse“ von einem Gerichtsmediziner erklärt, der nicht namentlich genannt werden will. Insofern muss nun ganz genau geprüft werden, ob es nicht doch Möglichkeiten gegeben hat, dem Gefangenen derartige Substanzen zu verabreichen. Die Anwälte Alijews gaben sich am Freitag betont zurückhaltend. Sie verwiesen lediglich auf eine von ihnen für Montag angekündigte Pressekonferenz. „Wir wollen nicht vorschnell mit nicht gesicherten Informationen an die Öffentlichkeit gehen“, sagte zum Beispiel Manfred Ainedter.

Eigenartig ist auch, dass – noch zu Lebzeiten Alijews – eine Seite aus dessen Tagebuch herausgerissen worden sein soll. Die Vollzugsdirektion bestreitet das allerdings. Weiters auffällig ist die mutmaßliche Drohung von zwei ehemaligen Zellengenossen Alijews, die derzeit Beschuldigte in einem Erpressungsprozess sind. Sie sollen gemeint haben, wenn Alijew nicht 3000 Euro zahle, könne er getötet werden und alles werde wie ein Selbstmord aussehen. Nimmt man diese Drohung für bare Münze, würde aber die Spekulation, ein Geheimdienst könne hinter Alijews Tod stecken, ins Leere gehen.

3Was tun die Behörden, und wann ist mit endgültigen Ergebnissen in der rätselhaften Causa zu rechnen?

Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter in alle Richtungen, also auch in Richtung Mord. Auf das Vorliegen des toxikologischen Gutachtens der Wiener Gerichtsmedizin wird mit Spannung gewartet. Das kann noch Wochen dauern. Erst dann hat man Gewissheit, ob es sich bei den im Blut gefundenen Rückständen tatsächlich um ein Schlafmittel gehandelt hat, und wenn ja, um welches Präparat.

ZUR PERSON

Rachat Alijew war von 2002 bis 2005 und noch einmal 2007 Botschafter Kasachstans in Wien. Der einstige Vizegeheimdienstchef und Wirtschaftsboss war früher mit einer Tochter des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew verheiratet. Nach der Trennung gründete er im Exil in Österreich erneut eine Familie. Zuletzt – schon mit Mordvorwürfen konfrontiert – lebte er auf Malta und Zypern. Im Juni des Vorjahres kam er in Wien in U-Haft. Er bestritt immer die ihm zur Last gelegten Taten und sprach von einem Geheimdienstkomplott.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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