Nächstenliebe braucht kein Mandat

Christentum (Symbolbild)
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In Leibnitz betreut die evangelische Gemeinde unter Pfarrerin Marianne Pratl-Zebinger Flüchtlinge. Ganz ohne Auftrag, nur aus christlichem Bewusstsein.

Am Anfang standen Kaffee und Kuchen. Und eine Gruppe von Asylwerbern, die sich kurz vor Weihnachten im Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde von Leibnitz um einen festlich gedeckten Tisch drängten. „Wir haben Anfang Dezember eher zufällig gehört, dass in Leibnitz Asylwerber in zwei Häusern untergebracht wurden“, sagt Pfarrerin Marianne Pratl-Zebinger. „Und kurz vor Weihnachten haben wir uns gedacht, wir machen einfach einmal das, was wir am Besten können – Kaffee und Kuchen servieren.“ Wobei die Jause natürlich nur das Trägermedium war. Für ein Gespräch. Für menschliche Nähe. Für das Gefühl, willkommen zu sein.

»Gibt es Hilfe, wo sich sonst keiner zuständig fühlt?«

Es ist ein überzeugter Blick, den die junge Pfarrerin aufsetzt, wenn sie spricht. Die gebürtige Grazerin studierte in Wien evangelische Theologie, wurde zunächst in Oberwart zur Pfarrerin ausgebildet – und kam zum Ende der Ausbildung nach Leibnitz. Seit 2012 lebt und arbeitet sie hier. Und sie hat in der Gemeinde einen großen Rückhalt. Denn die Idee, die sie gemeinsam mit ihrem weltlichen Gegenpart, dem Pfarrkurator Gerhard Petrowitsch, entwickelt hatte, stieß auf große Zustimmung.

Sprechen mit Händen und Füßen

Aus der evangelischen Gemeinde kamen Menschen, brachten Süßes und ließen sich von den Menschen aus Syrien, Tschetschenien, Somalia und weiteren Krisenregionen ihre Geschichten erzählen. Was nicht so einfach war, schließlich war da eine Sprachbarriere – viele konnten nur ein paar Brocken Englisch. „Aber die Gespräche sind trotzdem schnell recht dicht geworden“, erzählt Pratl-Zebinger. Weil man im Vorfeld Dolmetscher aus Graz organisiert hatte. Und weil schnell klar wurde, dass ein großer Teil der Kommunikation ohnehin nonverbal abläuft.

Und so erfuhren die Leibnitzer, wer die Menschen sind, woher sie kommen, wie sie sich auf teils abenteuerlichen Wegen nach Österreich durchgeschlagen haben – und wie viele Familie und Freunde in ihrer alten Heimat haben. Und oft nicht wissen, wie es ihnen dort ergeht. „Ich hatte das Gefühl“, sagt die Pfarrerin, „das ganze Weltgeschehen hängt über uns im Raum.“

Für die Pfarre war die Einladung an rund 50 Menschen, die hier auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, der Beginn eines größeren Engagements. Aus der ersten Aktion entwickelte sich ein wöchentliches Treffen, in denen das Haus den Asylwerbern offen steht. Und zu Kaffee, Kuchen und Gesprächen gesellte sich so manches Alltagsproblem. Und plötzlich fand sich die Pfarrerin in der Rolle einer Art Flüchtlingshelferin wieder.

Ein offizielles Mandat dafür gibt es nicht. An sich gibt es einen Betreuer der Caritas für die Asylwerber, doch ist der für die gesamte Südsteiermark verantwortlich und demnach nicht täglich vor Ort. Und von Seiten der Behörden kommt das, was gesetzlich vorgesehen ist. Menschliche Ansprache fällt nicht darunter. „Da sind Menschen zum Sitzen verdammt, sie dürfen nichts tun“, sagt Pratl-Zebinger. „Manche sind ganz auf sich allein gestellt – etwa eine Frau aus Somalia, die sich mit niemandem verständigen kann, weil niemand ihre Sprache spricht.

„Genau da müssen wir sie als Zivilgesellschaft abholen.“ Ganz ohne offiziellen Auftrag. Sondern nach dem, „was man biblisch ganz banal Gastfreundschaft nennt“. Und die schlägt sich nicht nur in Kaffee und Kuchen nieder, sondern auch in Spenden. Mit diesem Geld kann bei kleineren Problemen schnell geholfen werden. Da wird ein Medikament besorgt, das sich ein Asylwerber mit seinen fünf Euro pro Tag nicht leisten kann, dort wird passende Kleidung besorgt. Und man hat eine Sammelkarte für den Zug organisiert, damit die Menschen gelegentlich nach Graz fahren können.

„Ich bin stolz, dass so viele Menschen ehrenamtlich mithelfen“, sagt die Pfarrerin. „Aber es ist auch eine Zerreißprobe – denn wir übernehmen Aufgaben, die eigentlich in der Verantwortung der Gesellschaft liegen.“ Auf der einen Seite würde man den armen Menschen alles mögliche am liebsten einfach schenken – auf der anderen Seite könne das Fallen in eine solche kirchliche Hilfshaltung auch kontraproduktiv sein. Denn damit könnten sich jene, die tatsächlich zuständig wären, zurücklehnen. Und nach und nach staatliche Aufgaben auf die Zivilgesellschaft abwälzen. Es ist ein täglicher Lernprozess für die Pfarrerin. Wie weit kann, wie weit soll die Hilfe reichen. Und wo ist die Grenze, an der man stoppen muss – auch aus Selbstschutz.

Dass man jedoch etwas tun muss, die Asylwerber nicht einfach ihrem Schicksal überlassen darf, das sei für sie schon aus ihrem christlichen Verständnis heraus klar. „Wenn ich weiß, dass da Menschen sind, die Hilfe brauchen, und ich nichts mache – wie könnte ich dann überhaupt noch einen Gottesdienst halten?“ Sie kann es. Und das mit gutem Gewissen, Menschen geholfen zu haben. „Seither sind die Gottesdienste reicher“, meint sie.

Das ist ein Mensch

Woran die Asylwerber glauben, danach hat sie nie gefragt. Es macht keinen Unterschied, ob sie Christen oder Muslime sind, ob und an welchen Gott sie glauben. Und doch freut sie sich, wenn bei der Messe eine Asylwerberin mit ihrer eigenen Bibel auf einer Bank sitzt – und die betreffenden Stellen auf Farsi mitliest. So wie sie sich freut, wenn ihr bei einem Spaziergang die Asylwerber begegnen, wenn sie mit Einheimischen joggen oder Fußball spielen. All das sei wichtig für die Menschen, für die sich sonst niemand zuständig fühlt. Aber auch für den sozialen Frieden: „Wenn man jemanden kennt, sagt man nicht: Das ist irgendein Asylwerber. Sondern: Das ist eine Person, die uns vertraut ist.“

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