Das Heer muss nicht attraktiv sein

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NATIONALFEIERTAG 2012 AM WIENER HELDENPLATZ: ANGELOBUNGAPA/GEORG HOCHMUTH
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Die Wehrpflicht hat ein Imageproblem. Das liegt nicht nur am an sich schwierigen Verhältnis der Österreicher zu ihrer Landesverteidigung. Sondern daran, dass der Sinn eines Präsenzdienstes in Vergessenheit gerät.

Am dritten Tag der Grundausbildung geht der Wandspiegel in der Mannschaftsunterkunft zu Boden. Ohne fremdes Zutun, Materialermüdung. Erneut aufgehängt werde er nicht, erklärt der Ausbildner den Rekruten – weniger streng, mehr entschuldigend. Man habe in der Kaserne derzeit schlichtweg keine Nägel, sagt er. „Das Budget, ihr wisst schon.“

»Stimmt es, dass der Präsenzdienst nur verlorene Zeit ist?«

Ob es in der Kaserne tatsächlich keine Nägel mehr gab oder der Wachtmeister bloß keine Lust hatte, sich des Problems anzunehmen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass es Anekdoten wie diese sind, mit denen jeder Rekrut nach Ende des Grundwehrdienstes bei Freunden und Familie punkten kann. Untermauern sie doch genau jenes Bild des österreichischen Bundesheeres, das allzu viele in ihren Köpfen tragen. Unterfinanziert, unfähig, überflüssig. Das Heer im Allgemeinen, der Grundwehrdienst im Speziellen. Wer sich hierzulande heute noch dazu entscheidet, mit allen Kräften „der Republik Österreich und dem österreichischen Volk zu dienen“ – wie es im Treuegelöbnis heißt –, darf nicht erwarten, dafür Anerkennung zu ernten. Eher sorgt er für Belustigung.

Dass sich erst 2013 knapp 60 Prozent der Österreicher in einer Volksbefragung – wohl vor allem angesichts des ÖVP-Schreckgespenstes von ausbleibenden Zivildienern für den Pflegebereich – für den Erhalt der Wehrpflicht aussprachen, mutet da wie ein Treppenwitz der Geschichte an.

Vor allem aber findet das seit jeher schwierige Verhältnis der Österreicher zu ihrer Landesverteidigung auch in den Köpfen der jungen Männer seinen Niederschlag. Zuletzt entschieden sich vier von zehn Tauglichen für den Zivildienst. Obwohl er drei Monate länger dauert. Das ist neuer Rekord. So könnten sie zumindest „etwas Sinnvolles“ tun, heißt es dann meist. Aber ist der Dienst im österreichischen Bundesheer wirklich nur verlorene Zeit? Mehr als nur Badeschlapfen. In einer Sache haben Kritiker der Wehrpflicht freilich recht: Von der angekündigten Reform, die unter dem Leitsatz der „Attraktivierung“ stand, ist in der Praxis noch wenig zu sehen. Die neuen Ausbildungsschienen und Module – von „Cyber-Sicherheit“ ist da die Rede, von Sprachkursen und mehr Sport –, sind zwar offiziell umgesetzt. Ob die Betroffenen das wissen, ist aber unklar. Das Budget, Sie wissen schon. Bei anderen Initiativen – etwa flächendeckendem WLAN in allen Kasernen oder der Idee, dass Stellungspflichtige die ausgefolgten Badeschlapfen behalten dürfen – erschließt sich die militärische Sinnhaftigkeit nicht wirklich. Dass Grundwehrdiener neuerdings „Feedback-Bögen“ ausfüllen dürfen, in denen sie die Leistung der Vorgesetzten beurteilen können, wirft die Frage auf, ob im Eifer des Reformgefechts nicht jemand eine militärische Organisation mit einer Waldorfschule verwechselt hat. Oder – anders formuliert – ob der eigentliche Sinn des Präsenzdienstes in der öffentlichen Wahrnehmung nicht längst zu stark in den Hintergrund getreten ist.

Der liegt nämlich – entgegen des Zeitgeistes – nicht darin, jungen Männern in Badeschlapfen unbegrenzten Zugang zum Internet zu ermöglichen. Sondern darin, im Ernstfall den Schutz und die Verteidigung der Republik sicherzustellen. Das mag antiquiert klingen. Ist es aber nicht.

Welche Werte zählen? Darüber hinaus kann die Wehrpflicht, wenn sie richtig verstanden und gelebt wird, einem weiteren Zweck dienen: Sie bietet – nach der Schulpflicht – dem Staat eine allerletzte Gelegenheit, einem Teil seiner Bürger (zwangsweise) Werte zu vermitteln, die er für wichtig erachtet.

Werte etwa, die sich im beruflichen Leben als nützlich erweisen – und auch so manchem Unternehmen nicht schaden könnten. Pünktlichkeit etwa. Respekt und Disziplin. Pflichtbewusstsein. Aber auch Werte, die im Privatleben von Bedeutung sein können – Loyalität und Kameradschaft. Auch sie sind nicht so antiquiert, wie sie klingen.

Wie wenige 18-Jährige in der Lage sind, ihre Kleidung zusammenzulegen, sich pünktlich an einem vorab definierten Treffpunkt einzufinden oder gar angemessen mit einem Vorgesetzten zu sprechen, bestätigt, wie nötig all das ist. Die Schule scheint Derartiges kaum zu vermitteln. Und bei so manchem scheint auch das Elternhaus allein überfordert. Eine weitere Funktion, die gerade ein differenziertes Schulsystem österreichischer Prägung nicht leisten kann, erfüllt das Heer. Es stellt Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, mit unterschiedlichen privaten und beruflichen Hintergründen vor die vollendete Tatsache, miteinander klarkommen zu müssen. Nicht zuletzt der steigende Anteil an Migranten der zweiten und dritten Generation stellt das Heer vor eine besondere Aufgabe. Denn: Welche Republik die jungen Zuwanderer mit österreichischer Staatsbürgerschaft hier verteidigen sollen – und warum vor allem – scheint vielen von ihnen zu Beginn nicht klar.

Dass anfangs nur das gemeinsame Feindbild – also der Ausbildner – für Gemeinschaftsgefühl sorgt, mag nach modernen pädagogischen Gesichtspunkten zwar ein Schönheitsfehler sein. Es ist aber zuletzt kaum ein Hindernis dafür, füreinander einzustehen.

Am Imageproblem des Heeres können diese Erkenntnisse so rasch freilich nichts ändern. Vielmehr sind sie Teil des Problems. Denn: Sonderlich attraktiv – um in der Diktion der Reformierer zu bleiben – klingt all das nicht. Vor allem aber wird dem Großteil der Betroffenen das, was sie in ihrer Ausbildung an sozialen Kompetenzen mitbekommen, selbst gar nicht bewusst. Zumindest vorerst nicht. Erst der verklärte Blick zurück mag helfen. Und vielleicht erscheinen die Worte so vieler Väter – denen das Heer „schließlich auch nicht geschadet“ hat – dann in anderem Licht.

Der Autor hat im vergangenen halben Jahr den Grundwehrdienst in Niederösterreich und Wien abgeleistet.

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