Gesundheit: Arme Kinder sind häufiger krank

(c) APA/ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
  • Drucken

124.000 Kinder in Österreich leben in Armut. Das bedeutet nicht nur Verzicht im Alltag. Sie schlafen schlechter, sind häufiger krank – und haben eine geringere Lebenserwartung.

Wien. Die Geschichte steht exemplarisch für 124.000 Österreicher unter 18 Jahren: Die 14-jährige Petra wächst mit ihren Geschwistern bei der Mutter auf. Die Mutter ist prekär beschäftigt, nicht immer versichert. Petra muss sich um ihre kleinen Geschwister kümmern, während die Mutter in der Arbeit ist. Einmal wird der Strom abgedreht, die Wohnung ist kalt, die Kinder weinen, Petra, selbst ein pubertierender Teenager, muss sich, anstatt um sich selbst, um andere kümmern und ist völlig überlastet und „ständig müde“.

Dieses Fallbeispiel brachte Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich, am Mittwoch. Anlass dafür war die Präsentation des Jahresberichts der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, für den verschiedene Studien zusammengetragen wurden. Fazit: Wer arm ist, ist häufiger krank, spürt Schmerzen intensiver und stirbt früher – das gilt auch für Kinder. Eine Situation, aus der es schwer ein Entrinnen gibt: „Die Folgen ändern sich auch mit späterem Wohlstand nicht“, sagt Liga-Präsident Klaus Vavrik. Fünf Zahlen zum Thema und die Konsequenzen.

124.000Kinder und Jugendliche leben in Österreich in manifester Armut. Das bedeutet: Sie können ihre Grundbedürfnisse nicht mehr decken. Ihre Eltern können vielleicht die Wohnung nicht mehr heizen, die Miete nicht mehr zahlen, keine Kleidung kaufen oder – laut Definition – nicht ein einziges Mal im Monat Verwandte oder Freunde zum Essen einladen. Weitere 156.000 Kinder und Jugendliche sind von Armut bedroht. Wie sich das auf die Gesundheit auswirkt? Laut Zahlen der Statistik Austria aus dem Jahr 2014 ist die Bevölkerung unter der Armutsgrenze drei Mal so krank wie jene Österreicher mit hohem Einkommen.

70 Prozent – um so viel häufiger haben Kinder aus einkommensschwachen Familien einen Unfall im Vergleich zu jenen aus einkommensstarken Familien, ergab eine Studie aus dem Jahr 2009. Einmal verletzt, erhöht sich bei den ärmeren Kindern auch das Risiko für Komplikationen sowie die Krankheitsdauer. Was auch mit der fehlenden Inanspruchnahme von Leistungen zu tun haben könnte. So zeigt eine Auswertung der Statistik Austria, dass Menschen mit einem geringen Bildungslevel wie einem Pflichtschulabschluss weitaus weniger benötigte Behandlungen in Anspruch nehmen als Menschen mit einem höheren Bildungsniveau. Tendenz steigend.

20–30 Prozent jener Menschen, die Anspruch auf Mindestsicherung haben, stellen keinen Antrag, schätzt Schenk. Genaue Zahlen gibt es dazu freilich nicht. Als Grund nennt er Stigmatisierung, aber auch Probleme, einen Antrag auf Mindestsicherung zu stellen. In Niederösterreich, dem Burgenland und Kärnten seien die dafür zuständigen Ämter besonders unfreundlich, was viele abschrecken würde. Wer gibt schon gern zu, dass er versagt habe, sagt auch Carina Spak, Leiterin von AmberMed, wo unversicherte Menschen medizinisch betreut werden. Wobei auch eine vorhandene Krankenversicherung keine optimale Betreuung garantiere. Spak kritisiert etwa verpflichtende Selbstbehalte, die es Kindern nicht ermöglichten, Medikamente zu erhalten, wenn ihre Eltern nicht von der Rezeptgebühr befreit sind. Auch werden nicht alle Rehabilitationsmaßnahmen von der Kasse gezahlt.

5–8 Jahre früher sterben Jugendliche und Erwachsene, die als Kinder in Armut aufgewachsen sind, berichtet die Liga. Es ist eine Konsequenz daraus, dass arme Kinder als Jugendliche und Erwachsene dreimal so häufig von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes etc. betroffen sind. Sie sind auch häufiger psychisch krank.

2–3 Mal höher ist auch das Schmerzempfinden von Kindern, die in armen Verhältnissen aufwachsen, zitiert die Liga eine Studie aus dem Jahr 2011. Arme Kinder würden weiters häufiger an Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen leiden. Durch die fehlende Sicherheit sei das Einschlafen doppelt schwierig, sagt Schenk. Als Lösung für die Probleme fordert die Liga unter anderem die Abschaffung von Selbstbehalten, die Kassenfinanzierung von notwendigen Therapien, bessere Netzwerkarbeit sowie einen Ausbau der „Frühe Hilfe“-Projekte, wo bereits Schwangere in prekären Lebenslagen bereut werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.