Schubhaftzentren: Volle Belegschaft, leere Zellen

So sah Vordernberg kurz vor der Eröffnung aus. Viel lebendiger geht es hier jetzt auch nicht zu.
So sah Vordernberg kurz vor der Eröffnung aus. Viel lebendiger geht es hier jetzt auch nicht zu.(c) Stanislav Jenis
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Nicht nur in Vordernberg steht ein Schubhaftzentrum leer. Derzeit bewachen in ganz Österreich 260 Beamte nur 25 Insassen. Dass die Zahlen wieder stark steigen, ist auch mit einer Gesetzesänderung nicht zu erwarten.

Die Fenster im Anhaltezentrum Vordernberg in der Steiermark haben durchaus symbolischen Charakter. Mehr als vier Meter hoch an der Vorderfront soll der offene Blick nach innen einen neuen Weg im Umgang mit Schubhäftlingen markieren. Offenheit, ein Austausch mit der Bevölkerung vor Ort, ein Gefängnis, das vom Aussehen her keines ist, das waren die Intentionen der Architekten. Mehr als ein Jahr nach der Eröffnung können die großen Fenster nicht verdecken, was das Innenministerium derzeit wohl nicht so gern im Fokus der Öffentlichkeit sehen würde: leere Zimmer und Aufenthaltsräume, Sessel, die auf Tische gestellt sind, weil sie niemand benützt. Nur an manchen Schreibtischen ist ein leuchtender Bildschirm von außen zu sehen.

Die Gemeinde Vordernberg hat ein Problem. Nur drei Schubhäftlinge sind derzeit in dem 24 Millionen Euro teuren Gebäude untergebracht. Sie werden von 30 Beamten und rund 50 Mitarbeitern der privaten Sicherheitsfirma G4S betreut. Es ist der vorläufige Tiefpunkt eines Projekts, das als wirtschaftlicher Aufschwung für eine strukturschwache Gemeinde gedacht war. Und es wirft nun die Frage nach der Zukunft des Anhaltezentrums auf, noch bevor es jemals voll ausgelastet war.

Als Grund für diese Entwicklung nennt das Innenministerium ein aktuelles Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichtshofs, das besagt, dass Dublin-III-Fälle (siehe Glossar) nicht in Schubhaft genommen werden dürfen. Es mussten in ganz Österreich dadurch 65 Schubhäftlinge auf freien Fuß gesetzt werden, Vordernberg verlor so quasi über Nacht 30 Insassen.

Doch das Gesetz allein ist nicht schuld an der Misere, denn auch schon vorher waren Österreichs Anhaltezentren deutlich unterbelegt. In den Wiener Schubhaftzentren gibt es eine Kapazität von 790 Plätzen, für die 180 Beamte zuständig sind. Belegt sind aber nur 160 Plätze, 20 davon von Schubhäftlingen. Der Rest der Häftlinge sind der Verwaltungsverwahrung – etwa Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, weil sie eine Geldstrafe nicht begleichen können – und der Gerichtsverwahrung zuzuordnen. In Salzburg ist es ähnlich: Von einer Maximalbelegung von 150 Personen ist man weit entfernt. Derzeit betreuen 50 Beamte 14 Personen – zwei davon sind Schubhäftlinge. Österreichweit kümmern sich damit 260 Beamte um 25 Schubhäftlinge. Auch in den Jahren davor waren die Zentren nicht voll, dennoch wurde Vordernberg gebaut.

„Unsere Planungsgrundlagen haben anders ausgesehen, als wir Vordernberg bauten“, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums. Man sei davon ausgegangen, dass die Zahl der Flüchtlinge (und damit die der Abschiebungen) steige. Doch die Zahl der Schubhäftlinge fällt – der Grund ist die höhere Anerkennungsquote, die 2014 bei rund 40 Prozent lag, davor waren es laut BMI durchschnittlich 25 Prozent.

Vordernberg sollte als menschenwürdiges Schubhaftzentrum mit moderner Architektur ein internationales Vorzeigeprojekt sein. Eine Tatsache, die rund um die Diskussion über die Betreuung der Häftlinge durch die private Sicherheitsfirma G4S infrage gestellt wurde. Der Qualität der Betreuung sei bisher aber nichts entgegenzusetzen, heißt es auf Anfrage der „Presse am Sonntag“ bei der Caritas Steiermark, die sich in Vordernberg um die Schubhäftlinge kümmert. Auch ein Bericht der Volksanwaltschaft, der nächste Woche präsentiert wird, soll dem Vernehmen nach positiv ausfallen.


Qualität für wenige. Trotz der freien Plätze gibt es seitens des Innenministeriums keine Pläne, künftig alle Schubhäftlinge nach Vordernberg zu verlegen. Auch für die fast leeren Anhaltezentren und ihre 260 Beamten in Wien und Salzburg sei derzeit keine neue Verwendung angedacht. Ab Juli rechne man aber wieder mit mehr Insassen, so der Innenministeriumssprecher. Die Lücke im Fremdenpolizeigesetz soll dann geschlossen werden, eine Schubhaft von Dublin–III-Fällen danach wieder möglich sein.

Für Vordernberg ist dieser Lückenschluss entscheidend. „Die Auslastung ist ein Problem“, sagt Bürgermeister Walter Hubner (SPÖ). Er versucht gar nicht erst, die Situation schönzureden. Seit April 2009 hat er sich für die Planung und Umsetzung des Zentrums eingesetzt. Jetzt sitzt der große, hagere Mann mit der Brille im historischen Besprechungssaal des Rathauses und sucht Argumente, warum er trotzdem mit dem Zentrum zufrieden ist. Er hat um ein Treffen mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gebeten, dort sollen ein paar Entscheidungen über die Zukunft getroffen werden.


Haft als Schub für die Region. Denn billiger wird der Betrieb des Zentrums trotz der fehlenden Insassen nicht. Neben den 30 Beamten arbeiten laut Hubner auch 50 G4S-Mitarbeiter (nicht alle Vollzeit) dort. Das Zentrum befindet sich, was die Mitarbeiterzahl betrifft, im Vollbetrieb. Als würden 200 Häftlinge dort betreut. Was die jetzt tun? „Schulungen, Urlaub abbauen“, sagt Hubner.

400.000 Euro überweist das Innenministerium seit Bestehen des Zentrums monatlich an die Gemeinde, die diesen Betrag wiederum (5000 Euro für Schneeräumung und Verwaltungsaufwand behält sich die Gemeinde ein) an G4S überweist. Nur circa 10.000 € weniger kostet das Zentrum derzeit, weil weniger Verpflegung gebraucht wird.

Die fehlende Flexibilität bei den Kosten hat mit dem Pauschalvertrag zu tun, den das Ministerium mit dem Ort Vordernberg und dieser wiederum mit G4S geschlossen hat – mit einer Laufzeit von 15 Jahren. Weniger Schubhäftlinge würden nicht automatisch weniger Personal bedeuten, weil die Infrastruktur erhalten werden müsse, sagt Hubner. „Das Innenministerium muss Vorgaben machen und etwa sagen, dass die Bücherei geschlossen wird oder der Shop.“ Aber so ein Ansuchen sei nicht gekommen, auch müssten dann die Verträge im Gemeinderat geändert werden. Ein großer Aufwand, der wiederholt werden muss, sollte sich die Situation wieder ändern.

Hubner geht davon aus, dass mit Juli wieder mehr Häftlinge nach Vordernberg kommen. Von der Hoffnung einer vollen Auslastung des Zentrums hat er sich schon verabschiedet. Mit 100 bis 150 Insassen rechnet er jetzt.

Er zögert nicht, als er die Zahl nennt. Auch wenn er weiß, wie unpopulär seine Aussagen sein mögen. Aber Hubner hat ein Gefängnis, und es ist nicht voll. Er ist auf viele Schubhäftlinge angewiesen, um sein Versprechen zu erfüllen. Die Gemeinde hat sich durch das Zentrum Arbeitsplätze und einen wirtschaftlichen Aufschwung erhofft. Denn Vordernberg verschwindet. Seit 1980 hat sich der Ort von 2000 Bewohnern auf die Hälfte reduziert. Die Jungen wandern ab, die Alten bleiben zurück. Dabei war der Ort zu Zeiten der Monarchie mit dem Erzabbau ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Um 1840, erzählt Hubner, waren die Preise für Grundstücke in Vordernberg teurer als auf der Wiener Ringstraße. Heute zeugen nur mehr die schmucken Häuser, von denen unzählige unter Denkmalschutz stehen, von dem Glanz der alten Zeit. Mitten im Ortskern verfällt das alte Dorfgasthaus.

Nur sechs Vordernberger arbeiten im Schubhaftzentrum. Dabei wurde in der Ausschreibung festgehalten, dass die Mehrheit der Security-Mitarbeiter aus dem Ort kommen muss. Immerhin: 80 Prozent der G4S-Mitarbeiter kämen aus der Region, sagt Hubner. Im Café im Ort erklärt man das so: „Sie haben eh was ausgeschrieben. Aber Diplomsozialarbeiter mit Englischkenntnissen haben wir nicht so viele in Vordernberg“, sagt ein junger Mann. Zufrieden macht das Schubhaftzentrum hier niemanden. Abgesehen von neuen Arbeitsplätzen, erzählen die Cafébesucher, hätte man darauf gehofft, dass die Zentrumsmitarbeiter mit ihren Familien herziehen. Das sei nicht passiert. Wohnungen stehen leer, und die Volksschule muss mit Ende des Schuljahres schließen. Auch an Gebühren für Wasser, Mühlabfuhr etc. kann die Gemeinde mit den wenigen Insassen kaum verdienen.

Geschäft im Ort gehalten. Immerhin konnte der Nahversorger im Ort gehalten werden, der habe jetzt auch einen Shop im Anhaltezentrum. Und in der Bauphase hätte die Gastronomie von den Bauarbeitern profitiert. Das ist jetzt freilich vorbei. „Die kommen nicht raus, und wir dürfen nicht rein“, heißt es aus dem Lokal gleich neben dem Zentrum.

Mittlerweile denkt auch Hubner laut über eine andere Nutzung des Gebäudes nach. Ein Erstaufnahmezentrum lehnt er ab, „da bin ich meinen Bürgern im Wort“, aber eine neue Zielgruppe im Anhaltezentrum könnte er sich vorstellen: Personen, die illegal einreisen, könnten 48 Stunden bis zur Identitätsfeststellung angehalten werden. Auch Menschen, die ihre Verwaltungsstrafen im Gefängnis absitzen, wären eine Möglichkeit. Im Ort selbst hat man ein andere Idee. „Man könnte ein Seniorenzentrum daraus machen“, sagt ein Mann. „Genug alte Leute im Ort“, sagt eine Frau, „haben wir ja.“

Flüchtlingswesen: Glossar von A bis Z

•Anhaltezentrum: So werden Einrichtungen bezeichnet, in denen Schub- und Verwaltungsstrafhäftlinge untergebracht werden. Anhaltezentren unterstehen der Verwaltung des Innenministeriums. Und: Hier wird keine Strafhaft vollzogen. Derzeit befinden sich Schubhäftlinge in Polizeianhaltezentren in Wien-Hernals und Roßau sowie Salzburg und Vordernberg.

•Asylberechtigte: Personen, deren Asylantrag positiv entschieden wurde. Sie sind Österreichern weitgehend gleichgestellt.

•Asylverfahren: Es beginnt in einer Erstaufnahmestelle des Bundes. Derzeit ist die größte Traiskirchen in Niederösterreich, wo rund 1600 Menschen untergebracht sind. Die Erstaufnahmestelle entscheidet, ob Österreich für das weitere Verfahren zuständig ist, indem versucht wird, Fluchtweg und -gründe zu rekonstruieren. Die Klärung dieser Fragen sollte im Allgemeinen nicht länger als 20 Tage dauern.

•Dublin III: Im Dublin-Verfahren wird laut EU-Gesetz der für die Prüfung eines Asylantrages zuständige Staat festgestellt. Demnach soll der Asylantrag in jenem EU-Land geprüft werden, das als Erstes betreten wurde. Für Flüchtlinge mit Familienangehörigen in einem EU-Staat oder unbegleitete Minderjährige gilt diese Regel nicht.


•Flüchtling: Das ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Guppe oder wegen ihrer polititschen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann.“

•Grundversorgung: Der Bund ist für die Versorgung von Flüchtlingen mit Unterkunft und Nahrung sowie Taschengeld im Zulassungsverfahren zuständig. Wird ein Asylwerber zum Asylverfahren zugelassen, übernehmen diese Aufgabe die Länder.

•Schubhaft: Keine Strafhaft. Sie wird von der Verwaltungsbehörde verhängt, wenn eine Person einen negativen Asylbescheid erhält und trotzdem nicht freiwillig ausreisen will.

•Subsidiärer Schutz: Diesen Schutz erhalten Personen, deren Asylantrag zwar mangels Verfolgung abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsland bedroht wird. Dieser Status ist befristet, kann aber verlängert werden.

•Wirtschaftsflüchtling: Personen, die ihr Wohnsitzland aus primär wirtschaftlicher Not verlassen. Sie sind im Sinne der UNHCR keine Flüchtlinge und haben somit in der Regel kein Recht auf Asyl.

•Zurückschiebung: Ist die zwangsweise Außerlandesbringung eines Fremden, der unrechtmäßig eingereist ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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