Abnorme Rechtsbrecher: Spital statt Gefängnis

(c) FABRY Clemens
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800 "abnorme Rechtsbrecher" werden von der Justiz angehalten. Doch Kranke gehören in Krankenhäuser. Meint der Justizminister.

Der Todesfall in der Sonderanstalt Göllersdorf (Niederösterreich) verstört. Der Mann litt an Paranoia. Anfang Februar starb er. Mit 47 Jahren. Ausgerechnet Göllersdorf. Gerade dort ist man auf die Behandlung von nicht zurechnungsfähigen „geistig abnormen Rechtsbrechern“, wie es im Strafgesetzbuch heißt, spezialisiert. Ein Gutteil dieser mit Stichtag 1.April 2015 gezählten „geistig Abnormen“, nämlich 126 Personen von insgesamt 375, wird in Göllersdorf angehalten.

Andere psychisch derart kranke Rechtsbrecher sind auf andere Anstalten, wie etwa das Forensische Zentrum Asten (Oberösterreich), verteilt. Und längst ist es zur Dauerlösung geworden, dass unzurechnungsfähige Rechtsbrecher auch in öffentliche psychiatrische Krankenanstalten eingewiesen werden können. Aber nur unter der Ägide der Justiz – Grund dafür: In den Häusern der Justiz gibt es zu wenig Platz und zu wenig Personal.

Zu den knapp 400 unzurechnungsfähigen Tätern kommen bundesweit noch einmal so viele zwar zurechnungsfähige, aber dennoch geistig (zumindest vorübergehend) beeinträchtigte – und straffällig gewordene – Menschen. Diese Gruppe muss zusätzlich zur Einweisung in der Regel auch noch eine Haftstrafe hinnehmen. Zur Erklärung: Die Unterbringung an sich ist keine Strafe, sondern eine sogenannte vorbeugende Maßnahme.

So komplex ist er also schon in den Grundzügen, der Maßnahmenvollzug, der seit Jahren – ebenso wie der reine Strafvollzug – im Gerede ist. ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter sieht den schleppenden Fortgang von Reformen aller Art so: „Mir ist klar, dass der Straf- und der Maßnahmenvollzug vernachlässigt wurden. Man kann damit keine Wahlen gewinnen.“ Er gelobt aber – trotz Rückschlägen, siehe Göllersdorf – dranzubleiben. „Man kann sich nicht immer nur mit Wohlfühlthemen befassen“, sagt er kämpferisch.Nur: Der Kampf ist bereits im Gang. Spätestens seit Jänner dieses Jahres, seit dem Vorliegen eines Expertenberichts zum Thema Maßnahmenvollzug („Die Presse“ berichtete), kristallisiert sich die größte Herausforderung heraus: Sowohl die Experten als auch der Minister treten dafür ein, dass sich künftig die Länder um die psychisch kranken Anstaltsinsassen kümmern. Frei nach dem Motto: Gesundheits- statt Justizressort.

„Die nach §21(1) StGB eingewiesenen Personen gehören ins Krankenhaus und nicht ins Gefängnis.“ Zur Erklärung: Ebendiese sind die erwähnten Personen, die eine Straftat „unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen haben“, wie es in der vom Minister zitierten Gesetzesstelle heißt.

Das Aufheulen der Länder darf als zu erwartender Reflex betrachtet werden. Doch die Ablehnungsfront hat zum Beispiel das ÖVP-geführte Niederösterreich nicht erreicht: Dort seien bereits „konstruktive Sondierungsgespräche“ geführt worden, so der Minister. „Wir begrüßen eine Verbesserung, sollte das zusätzliche Kosten für das Land bedeuten, müssen diese im Rahmen des Finanzausgleichs beglichen werden. Strafvollzug ist Bundeskompetenz“, heißt es aus dem Büro von ÖVP-Landeshauptmannvize Wolfgang Sobotka.

Salzburg wird gern als Vorbild für den Maßnahmenvollzug genannt, weil hier eine enge Kooperation zwischen Sachverständigen, Ärzten und Gericht gelebt wird. Ebenso wie in Niederösterreich steht man inhaltlich hinter dem Vorhaben, psychisch kranke Rechtsbrecher künftig in Spitälern zu behandeln– von den Kosten will man aber nichts wissen. „Die Kosten sollte das Justizministerium übernehmen“, sagt Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl (ÖVP). In Wien ist man ebenfalls vorsichtig, man möchte konkrete Vorschläge abwarten. Brandstetter: „Via Finanzausgleich können die Lasten verteilt werden, das muss möglich sein.“

Während sich also zwischen Bund und Ländern langwierige Gespräche anbahnen, zeigen die Schilderungen einer Gefängnispsychiaterin, wie dringend der Handlungsbedarf wäre. „Der Bedarf ist riesig, und es gibt viel zu wenig Personal – und dieses ist schlecht bezahlt. Für eine ordentliche Therapie, die dringend notwendig wäre, gibt es keine Zeit. Darum werden die Häftlinge mit Medikamenten zugepumpt“, erzählt die Ärztin, die anonym bleiben möchte, von ihrer Arbeit in der Justizanstalt Josefstadt. Ein großes Problem sei auch, dass die Psychiatrien generell schon überbelegt seien, denn fehlende Ressourcen in diesem Bereich gebe es nicht nur im Gefängnis. „Wenn du jemanden hast, der einfach ausflippt, musst du eigentlich mit dem Häftling ins Spital fahren. In der Praxis ist das häufig nicht möglich, weil es keine Plätze gibt, die Wartelisten zu lang sind.“ Was dann passiert? „Wenn es nicht anders geht, werden Häftlinge nackt ausgezogen, damit sie sich nicht wehtun können, und in eine Beobachtungszelle gesteckt. Beruhigen sie sich nicht, werden sie zwangsbehandelt.“ Das ist rechtlich betrachtet nicht erlaubt, Zwangsbehandlungen dürfen nur in der Psychiatrie erfolgen. „Ich finde es ganz wichtig, dass psychisch Kranke künftig gleich in einem Spital sind, um dort optimal betreut zu werden.“

Eine Option gibt es noch: Laut Regierungsprogramm soll ja ein neues Gefängnis gebaut werden. Im Raum Wien. Für bis zu 500 Insassen. Kommt das, so könnte man Häftlinge aus bestehenden Anstalten dorthin verlegen und den frei gewordenen Platz zu Abteilungen für die „Maßnahme“ umbauen. Budgetmäßig dürfte aber auch das schwierig werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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