Die Rebellen des Rollbalkens

Typologie. Wo man einkaufen kann, wenn – eigentlich – geschlossen ist.

Wien. Auch wenn es mit der Öffnungszeiten-Einigung nicht geklappt hat: Schon jetzt gibt es ein Netz an Geschäften, das die Stadt auch sonntags versorgt. Hier eine kurze Typologie.

Die Bäcker-Greißler

Sie sind oft die Retter in der Not: die Geschäfte, die außerhalb gewöhnlicher Öffnungszeiten mit dem Notwendigsten aushelfen. Neben klassischen Bäckereien, die sonntags gewöhnlich zu Mittag schließen, sind es vor allem die Migranten-Bäcker mit Greißler-Sortiment, die sonntags oder spätabends offen haben und die mit sehr flexiblen Öffnungszeiten so etwas wie die neuen Greißler sind.

Rund ein Drittel der Wiener Bäcker ist heute in türkischer Hand, viele von ihnen öffnen bis Sonntagabend, einzelne die ganze Nacht. Manche haben zusätzlich eine Konzession als Imbiss, dann gibt es Sonder-Konstruktionen, die Call-Shops sind und nebenbei Lebensmittel verkaufen – und sich rechtlich in Grauzonen bewegen. Wer das tut und wer nicht, ist für Laien nicht ersichtlich, wie Alexander Hengl vom Wiener Marktamt erklärt. Denn ein Bäcker oder Händler, der außerhalb gewöhnlicher Öffnungszeiten Lebensmittel verkaufen will, kann ein Gastgewerbe anmelden. Solche dürfen ihre Speisen und Getränke sowie alle Zutaten, die dafür verwendet werden, Waren des üblichen Reisebedarfs (Toilettartikel etc.) oder Geschenkartikel auch werktags nach 21 Uhr oder sonntags verkaufen.

Viele verstoßen dennoch gegen die Ladenöffnungszeiten. Denn lang wurden diese in Wien leger gehandhabt, jeder kannte einen Bäcker ums Eck, der sein Greißler-Sortiment sonntags (illegalerweise) verkauft hat. Seit zwei Jahren aber werden die Kontrollen intensiviert. 80 Inspektoren des Marktamtes sind in Wien unterwegs, die Zahl der Anzeigen steigt. Pro Jahr sind es mindestens 500, sagt Hengl. Fast doppelt so viele wie vor fünf Jahren. Manche werden mehrmals pro Jahr angezeigt, ihnen drohen Strafen bis zu 1090 Euro. Mittlerweile, so Hengl, entziehen die Bezirke nach mehreren Strafen den Gewerbeschein, findige Geschäftsleute widersetzen sich, indem sie den Geschäftsführer austauschen und mit denselben Öffnungszeiten wieder aufsperren. In Wien, schätzt Hengl, gibt es um die 50 Geschäfte, die sich konsequent den Öffnungszeit-Regelungen widersetzen.

Die Nachtschicht

Auch wenn sie rar sind, es gibt Geschäfte, die (teilweise auch nur am Wochenende) niemals schließen: die Bäckerei Prindl in der Jägerstraße, direkt am Augarten etwa verkauft die ganze Nacht neben frischer Backwaren auch das übliche Greißler-Sortiment. Auch am Brunnenmarkt, am Neubaugürtel, am Naschmarkt gibt es solche Bäckereien/Greißler. Aber mitunter bewegen sich auch 24/7-Versorger in einer rechtlichen Grauzone: Bäcker dürfen die ganze Nacht produzieren und ausliefern. Um ihre Imbisse (oder deren Zutaten) verkaufen zu dürfen, müssen sie aber ein Gastgewerbe anmelden. Brot zu nachtschlafender Stunde gibt es in Wien übrigens auch vollautomatisch: Der Bäcker Felzl hat voriges Jahr in der Schottenfeldgasse seinen ersten Brotautomaten eröffnet, aus dem von 20 Uhr bis sechs Uhr früh Brot gekauft werden kann.

Die Kiosk-Feinkost

Neben solchen Innovationen gibt es die fest etablierten Grätzel-Versorger: den Kiosk in der Kaunitzgasse etwa, eine Mischung aus Trafik, Imbiss und Greißler, der jeden Sonntag bis 23 Uhr öffnet – und von den Besuchern des Apollo-Kinos gegenüber gut lebt, aber auch Basics für die Küche verkauft.

Auch im Wiener Prater gibt es (legal, denn für den Prater gelten, wie für Ausflugsziele oder Sommerbäder, Sonderregelungen in der Öffnungszeitenverordnung) klassische Greißler: Der Wiesengreißler etwa verkauft im Prater von Obst bis zu Zeitschriften alles auch sonntags bis 20 Uhr. Ebenfalls im Prater, im Feinkostladen „Zur grünen Hütte“, gibt es Bio-Gemüse bis Mehlspeisen, sonntags bis 22 Uhr. Wer Exklusives sucht, wird auch in vielen Wiener Vinotheken fündig, die sonntags – ebenfalls dank Konzessions-Mix – neben Wein oft Käse, Nudeln oder Antipasti verkaufen.

Die Etablierten

Mit den Geschäften an Verkehrsknoten und den Tankstellen gibt es freilich seit jeher Orte, an denen man sonntags das Notwendige bekommt: auch, wenn das mitunter mühsam ist. Wenn zum Beispiel vor dem Merkur-Minimarkt am Westbahnhof ein Sicherheitsmann steht, der Kunden nur einzeln einlässt, sobald ein anderer das Geschäft verlässt. Der Sonntags-Einkauf im chaotisch-überfüllten Billa am Franz-Josefs-Bahnhof oder am Praterstern ist ohnehin ein skurriles Erlebnis.

Wobei sich die Situation in den vergangenen Jahren entschärft hat, öffnen doch in Wien sonntags mittlerweile einige Billa-Filialen an Bahnhöfen und auf dem Flughafen, Spar-Filialen (z.B. Bahnhof Wien Mitte, Babenbergerstraße, AKH). Dazu kommen der U3-Supermarkt am Westbahnhof, Okay-Geschäfte oder die kleinen Supermärkte an Dutzenden Tankstellen über die Stadt verteilt – wenngleich sich die Preise dort – ebenso wie das Sortiment – dann doch nur für den Notkauf am Sonntag anbieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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