Fall Alijew: Ein Strafverfahren, über das die Welt staunt

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Woran sollen sich Geschworene orientieren, wenn selbst der Staatsanwalt den Richter für befangen hält? Wem soll man noch trauen, wenn alle von Geheimdiensten reden? Eine Analyse des skurrilsten Prozesses Österreichs.

Wenn Zeugen interessante Aussagen machen, aber die meisten Zuhörer innerlich abschalten, weil (angeblich) alles manipuliert ist, dann ist Alijew-Prozess. Wenn so oft eine (angebliche) Bombe platzt, dass man sich daran gewöhnt, dann ist Alijew-Prozess. Und wenn die Staatsanwaltschaft Wien findet, der Richter sei nicht objektiv, und daher dessen Ablöse verlangt, dann, ja – wie gehabt.

Nun steht nicht weniger als der Ruf der österreichischen Strafgerichtsbarkeit auf dem Spiel. 2007 wurden in Almaty, Kasachstan, zwei Bankmanager ermordet. Unter Verdacht geriet Rachat Alijew. Er war früher als Botschafter in Wien tätig, setzte sich nach Bekanntwerden der Morde zuerst nach Niederösterreich, dann nach Malta ab. Alijew war einst ein Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten. Die kasachische Führung wollte das Verfahren gegen ihn selbst erledigen. Doch Österreich übernahm die Strafverfolgung. In Kasachstan mangle es an Rechtsschutzstandards, hieß es. Alijew sei dort nicht sicher.

Der Tod kam erst in Wien

Am 28. Februar dieses Jahres wurde der Verdächtige erhängt aufgefunden. In Wien. In seiner U-Haft-Zelle. Bis heute gibt es keinen fertigen Befund der Gerichtsmedizin. Ein Umstand, der Verschwörungstheorien blühen lässt. Der Prozess wird nunmehr gegen zwei mutmaßliche Alijew-Komplizen geführt. Auch diese beiden, darunter der Ex-Chef des kasachischen Geheimdienstes, Alnur Mussajew, hatten sich nach Österreich abgesetzt. Erst voriges Jahr wurden sie, so wie Alijew, in U-Haft genommen. Seit einigen Tagen sind sie wieder frei. Der Wiener Drei-Richter-Senat sieht keinen dringenden Tatverdacht. Wie denn auch? Wenn die Staatsanwaltschaft Wien „alle Beweismittel aus Kasachstan ungeprüft übernimmt“, wie der Senatsvorsitzende schreibt. Alle belastenden Beweismittel, sei hier sinngemäß ergänzt.

Angehörige der Opfer sind empört. Das ist die Staatsanwaltschaft auch. Auch sie findet, dass der Richter parteilich sei. Die interessante Frage, warum denn ein Richter für zwei unter Mordanklage stehende Männer Partei ergreifen sollte, muss offenbleiben. Antworten auf solche Fragen sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Vielmehr muss der Senat über seine eigene – mutmaßliche – Befangenheit entscheiden. Das hat er getan. Ziemlich vorhersehbares Resultat: Die Richter finden nicht, dass sie befangen sind.

Ein Zeuge, der aus Kasachstan, eingeflogen wurde, sagte: „Herr Richter, die ganze Welt sieht auf diesen Prozess.“ Dies mag etwas dick aufgetragen sein. Wenn schon, dann müsste man korrigieren. Die ganze Welt staunt über diesen Prozess, wäre wohl treffender. Denn es geht ja noch weiter: Der prominenteste Vertreter der Opfer, der Wiener Staranwalt Gabriel Lansky, wird von der Staatsanwaltschaft ebenfalls als Verdächtiger gesehen. Für das zugehörige Ermittlungsverfahren ist übrigens – um nicht auch an dieser Front über Befangenheiten diskutieren zu müssen – Linz zuständig, nicht mehr Wien. Lansky steht unter Spionageverdacht. Zum Vorteil Kasachstans und zum Nachteil Österreichs. Lansky bestreitet das entschieden. Und rechnet mit einer Einstellung der Ermittlungen.

Begleitumstände wie aus einem Krimi

Mehr noch: Gegen eine Staatsanwältin, die früher für Lansky arbeitete, sowie gegen zwei Polizisten wird wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat bzw. Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt. Bittere Pikanterie: Die verdächtige Anklägerin (sie selber bestreitet den Vorwurf, dennoch wurde sie dienstfreigestellt) arbeitet ausgerechnet für die Zentrale Korruptionsstaatsanwaltschaft, also für jene Behörde, die vor allem sogenannte Amtsdelikte bekämpfen soll. Und in all dem Durcheinander taucht fast täglich fragwürdiges Datenmaterial auf, das von einem Lansky-Server illegal abgesaugt worden ist. Rund um dieses - das Alijew-Verfahren betreffende - Datenmaterial ist obendrein ein medienträchtiger (gleichwohl vom eigentlichen Thema nur ablenkender) Streit zwischen Staranwälten ausgebrochen, eben zwischen Lansky und einem der ehemaligen Alijew-Anwälte, nämlich Stefan Prochaska. 

Wie behält man den Blick auf das Wesentliche? Was ist überhaupt wesentlich? Dazu ein aktuelles Beispiel aus dem Gerichtssaal (ebendort gibt Prozessleiter Andreas Böhm fast an jedem Verhandlungstag zu erkennen, wiesehr ihn zum Beispiel widersprüchliche Aussagen kasachischer Zeugen stören): Der Bruder eines 2006 in Kasachstan ermordeten Oppositionspolitikers meinte als Zeuge, Alijew sei seinerzeit für eben dieses Verbrechen und später auch für die Morde an den Bankmanagern verantwortlich gewesen. Beweise konnte der Zeuge freilich nicht liefern. Aber er erklärte, dass Alijew selbst sicher kein Oppositioneller gewesen sei. Rhetorische Frage des Zeugen mit Blick auf Alijews frühere Rolle: "Kann man einen Wolf ein Schaf nennen?"

Ist es wesentlich, welche politische Gesinnung der in U-Haft verstorbene Ex-Botschafter hatte? Enge Sichtweise: natürlich nicht. Es geht um Doppelmord. Und die Staatsanwaltschaft sagt selbst, dass für dieses Verbrechen rein finanzielle Motive (und nicht politische Machenschaften) ausschlaggebend gewesen seien.

Offene Sichtweise: selbstverständlich ist der politische Hintergrund relevant. Denn die Staatsanwaltschaft Wien könnte sich irren. Und eine von der despotischen kasachischen Führung eingefädelte und dem kasachischen Geheimdienst KNB inszenierte Verschwörung gegen Alijew und Co. nicht erkennen. Wer vermag von vorn herein auszuschließen, dass eine Gruppe (macht-)politisch anders denkender Kasachen von der Führung des zentralasiatischen Riesenlandes - vielleicht bis nach Österreich - verfolgt wird?

Wenn Laien anstelle von Profis entscheiden 

Am Ende müssen Geschworene, juridische Laien, all dies - vor allem aber die Schuldfrage entscheiden. Alleine. Ohne Berufsrichter. So sieht es das - in diesem Punkt europaweit einzigartige - österreichische Recht vor. Im Falle von Schuldsprüchen droht den beiden Angeklagten (beide bekennen sich nicht schuldig) bis zu lebenslange Haft. Wie hoch die Strafen dann tatsächlich ausfallen würden, müsste von den Geschworenen im Zusammenwirken mit den Berufsrichtern entschieden werden.

Warum sollen Laien komplexe Probleme besser lösen können als Berufsrichter? Dies fragen Kritiker der Laiengerichtsbarkeit - auch der Justizminister zählt zu diesen - immer wieder. Gerade dieses Strafverfahren stellt die acht Laienrichter vor eine große Herausforderung. Gerade hier tun sich Untiefen auf, über die man (siehe oben) nur noch staunen kann. Damit steht die Jury des Alijew-Prozesses – ob sie will oder nicht (für gewöhnlich ist das Erfüllen der Geschworenenpflicht nicht sehr beliebt) – vor einer Herkulesaufgabe.

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