Gestapo-Hotel: Erinnern an der Tafel

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Das Métropole, einst erstes Hotel der Stadt, dann Gestapo-Zentrale, ist heuer Thema des "Into the City"-Programms der Festwochen. Unter anderem mit einer feierlichen Gedenktafel.

Wien. Für Wolfgang Schlag ist der Morzinplatz ein „kontaminierter Ort“. „Es ist der hässlichste Platz der Innenstadt. Vielleicht ist er der hässlichste Platz von ganz Wien.“ So, wie man den Morzinplatz seit Jahrzehnten behandelt, sei das aber auch kein Wunder. Wolfgang Schlag hat sich nun trotzdem ein Jahr lang intensiv mit ihm befasst – er ist Kurator des Festwochen-Programms „Into the City“. In diesem geht es heuer um das Hotel Métropole am Morzinplatz.

Einmal war dieses eine der besten Adressen der Stadt. 1873, zur Weltausstellung, als eines der ersten Grandhotels Wiens eröffnet, zählte es zu den großen Bauten im Ringstraßenstil. Mark Twain verbrachte hier den Großteil seines zweijährigen Wien-Aufenthalts, die Wiener Gesellschaft feierte hier große Bälle, angeblich nannte man das Métropole das „jüdische Sacher“ – die Ausstattung entsprach der des Sacher, die Besitzerfamilien waren jüdischen Glaubens.

1938, unmittelbar nach dem „Anschluss“, wurden sie enteignet. Vom Hotel ist so gut wie nichts geblieben, erzählt Schlag, das habe die Spurensuche für die Festwochen wieder gezeigt: ein Tischtuch, eine Speisekarte, eine Ledermappe, das Kochbuch eines Hotelkochs. Viel mehr ist nicht auffindbar.

Von der Arisierung blieb nichts

„Es war eine stille Arisierung. Das Hotel wurde 1938 einfach ausgeräumt, vermutlich auch von der Bevölkerung. Eine furchtbare Auslöschung“, so Schlag. Die komplette Ausstattung ist verschwunden, wohl nach wie vor auf viele Wiener Haushalte aufgeteilt. Das Hotel wurde zur Gestapo-Zentrale, im März 1945 schwer bombardiert, die Ruine wurde 1948 abgerissen. 20 Jahre später wurde dort der Leopold-Figl-Hof errichtet.

Die Auslöschung der Geschichte, die Vergessenheit, in die das alte Hotel geriet, war für Wolfgang Schlag ein Grund mehr, sich im Rahmen der „Into the City“-Reihe dem Métropole zu widmen. Galt es doch nach 1938 als ein zentraler Ort des NS-Terrors in Österreich: Mit mehr als 900 Gestapo-Leuten war es deren größte Dienststelle. Mehrere 10.000 Menschen wurden dort von 1938 bis 1945 erfasst, verhaftet, verhört, gefoltert, von dort aus in Gefängnisse, Konzentrationslager und schließlich in den Tod getrieben.

Die Widerstandskämpferin Rosa Breuer-Grossmann wäre beinah eine davon gewesen. Vier Tage lang wurde sie am Morzinplatz gefoltert. Bis sie am 23. Oktober 1943 aus dem vierten Stock sprang und in der alten Hotelhalle aufschlug. Sie überlebte. Ihr Sohn, Hans Breuer, ist nun einer der zentralen Akteure des Projekts Hotel Métropole. Zum Beispiel ist er bei der „Gedenktafel“ dabei: Damit beginnt das Programm schon kommende Woche.

Feierlich gedeckter Tisch

Es ist eine Gedenktafel anderer Art: ein feierlich gedeckter Tisch, an dem Zeitzeugen, Historiker, Anrainer und Künstler diskutieren werden. Entstanden ist das Projekt mit Schülern der Gastgewerbefachschule am Judenplatz, die die Gespräche moderieren und die Ergebnisse ihrer monatelangen Recherchen beisteuern werden – genauso wie ein Originalgericht aus dem ehemaligen Hotelrestaurant.

Offiziell eröffnet wird das heurige Programm „Into the City“ am 28. Mai am Morzinplatz, unter anderem mit einem Konzert von Autor Yno und der Jazzwerkstatt Wien. Die „Into The City“-Zentrale am Morzinplatz 1, ein temporärer Ausstellungsraum, dient als Diskursraum und Ausgangspunkt für künstlerische Aktionen und Rundgänge durch das Viertel.

Das Programm besteht unter anderem aus einer Ausstellung mit Werken aus der Kunstsammlung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW), einer Fotoausstellung zum Simon-Wiesenthal-Archiv, einer Tagung regionaler Historiker und einem internationalen Symposium. Spielorte sind der Morzinplatz, das DÖW im Alten Rathaus oder das Künstlerhaus.

„Geschichte begreifen“

„Das Wichtigste ist, dass diese künstlerische Erinnerungsarbeit nicht in verschlossenen Räumen stattfindet“, sagt Kurator Schlag. Es gehe darum, eine lebendige Verbindung zum Heute zu finden. „Das ist die einzige Möglichkeit, Geschichte zu begreifen“, sagt Schlag, der heuer die zehnte Auflage des „Into the City“-Programms betreut.

Dabei sollen, der Name sagt es, gesellschaftspolitische Themen künstlerisch aufgearbeitet und hinaus in die Stadt – weg von den gewöhnlichen Spielorten der Festwochen – gebracht werden. Voriges Jahr etwa ist es um Erinnerungskultur gegangen, Austragungsort war der Schwarzenbergplatz.

Ein Ort, der, ebenso wie der Morzinplatz, eine „Spannung in sich“ trägt, wie Schlag sagt. Das Projekt am Morzinplatz „schreit nach Fortsetzung“, schließlich wüssten viele Wiener nicht um die Geschichte. Viele nehmen an, die Gestapo-Zentrale sei dort gestanden, wo sich heute die Freifläche inklusive Denkmal befindet.

Dauerhaftes Gedenken

Das Denkmal soll, so Schlag, „dauerhaft kontextualisiert“ werden, etwa durch eine Tafel, die die Geschichte des Hotels erzählt. Was bleibt außerdem am Morzinplatz? Der Gedenkraum im Leopold-Figl-Hof, der bisher nur auf Anfrage zugänglich war, soll künftig jeden Donnerstag von 16 bis 21 Uhr öffentlich zugänglich sein. Dafür sorgt die „Initiative Gedenkraum“ einer Gruppe von Bewohnern.

In einem Jahr soll zudem ein Buch von einem Historikerkollektiv über das Hotel Métropole erscheinen. Vielleicht ein weiterer kleiner Schritt, um den Morzinplatz langsam zu dekontaminieren.

PROGRAMM IM KÜNSTLERHAUS

Die Wiener Festwochen, die Donnerstagabend mit dem Sommernachtskonzert der Philharmoniker in Schönbrunn offiziell eröffnet wurden, finden noch bis 21. Juni statt. Das Programm in der Verantwortung von Intendant Markus Hinterhäuser und Schauspielchef Stefan Schmidtke umfasst in Summe 39 Produktionen.

Am Samstag, den 16. Mai wird das Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus eröffnet. Bis 21. Juni soll es als Treffpunkt für Künstlerinnen, Künstler und Publikum ein Ort der Begegnung, des Gesprächs und Spielstätte für sieben Produktionen sein. Am Eröffnungstag gibt es u.a. ab 16 Uhr eine Leselounge der Wiener Festwochen mit Infos zum Programm, von 16 bis 21 Uhr

die „Videoinstallation 21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden“ von Mats Staub

und ab 21 Uhr das Künstlerfest, ab 24Uhr eine DJ-Line mit Lampert.

Unter anderem finden dort auch jeweils samstags um elf Uhr Salongespräche statt. Am 23. Mai geht es dabei zum Beispiel um „Terror der Erinnerung. Recht auf Vergessen“, am 30. Mai um „Die Abwesenheit Gottes“ oder am 6.Juni um „Die Erschöpfung der Welt“.

Festwochen-Partys. Ebenfalls im Festwochen-Zentrum findet die „Fête brut“ in der Brut-Bar statt, jeweils Samstag ab 23 Uhr bei freiem Eintritt – am 23. Mai zum Beispiel mit Flavia (AR) & Sturzhelm Binder&Gesterngirl.

Das Filmprogramm. 1. bis 4. Juni, 18Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus: „The Memory of Justice“ von Regisseur Marcel Ophüls. Ein Projekt des Stadtkinos, in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum, der Film Foundation und den Wiener Festwochen.

Der Eintritt ist frei, Reservierung der Zählkarten unter office@stadtkinowien.at wird empfohlen.

Ebenfalls im Stadtkino: Homage to Mieczysław Weinberg, am Sonntag, den 14. Juni. Alle Details zum Programm:

www.festwochen.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2015)

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