Maßnahmen gegen Jihadisten: Deradikalisierung von der Couch aus

(c) EPA (Olivier Matthys)
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Seit sechs Monaten gibt es die Hotline für Deradikalisierung. Kämpfer oder Angehörige rufen selten an, dafür häufig Personen, die die Debatte verunsichert.

Wien. Wie bringt man Jugendliche in Österreich davon ab, in den Jihad nach Syrien zu ziehen?

Eines der ersten umgesetzten Projekte ist die im Familienministerium angesiedelte Deradikalisierungshotline, an die sich Angehörige und Betroffene wenden können. Die Erfahrungen, die hier mit dem in Österreich jungen Phänomen IS-Sympathisanten im letzten halben Jahr gesammelt wurden, sind richtungsweisend für weitere Schritte im Kampf gegen den Terror.

Getragen wird das Projekt von sechs großteils teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern. Unter ihnen sind Psychologen, Politologen, Sozialarbeiter und eine Sozialantropologin. Allen gemein ist, dass sie unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Denn obwohl die Hotline das österreichische Vorzeigeprojekt im Kampf gegen den Terror ist, haben die Mitarbeiter keinen fixen Arbeitsplatz. Die heiklen Gespräche führen die Betreuer großteils zu Hause von der Couch aus, sie arbeiten teilweise in einem Gemeinschaftsbüro umringt von Mitarbeitern anderer Firmen – oder bekommen stundenweise Asyl in diversen Jugendzentren. Das Projekt ist mit 300.000Euro bis Ende des Jahres budgetiert. Bis Anfang Mai hat das Telefon 313 Mal geklingelt. In den seltensten Fällen waren es aber wirklich Angehörige oder Betroffene, die angerufen haben, sondern viel häufiger besorgte Bürger, Lehrer und Sozialarbeiter, die sich den Rat der Experten holen.

„Bei uns glühen immer dann die Leitungen, wenn Medien wieder über Einzelfälle berichten“, sagt Verena Fabris, Leiterin der Stelle. Die 43-Jährige hat Politikwissenschaften studiert, war zunächst Journalistin und ist seit zehn Jahren im Sozialbereich tätig, in dem sie unter anderem Arbeitsmarktprojekte für Roma und Migranten geleitet hat. Bevor sie die Hotline übernommen hat, war sie bei der Volkshilfe tätig.

Überreaktion

Dass der Name Deradikalisierungshotline leicht irreführend ist, weil in erster Linie verängstigte Bürger und nicht Betroffene betreut werden, stört sie nicht. „Die Stimmung ist aufgeheizt, Begriffe wie Islam, Islamismus und Terror sind durch unreflektierte Medienberichterstattung eins geworden. Für die Menschen ist es schwierig zu unterscheiden, was Gefahr, was jugendliche Provokation und was einfach völlig normal ist“, sagt Fabris. So gibt es auch Lehrer, die sich Sorgen machen, wenn ein Mädchen in der Pubertät anfängt, ein Kopftuch zu tragen. „Das ist für gläubige Muslime normal und bedeutet in den seltensten Fällen Gefahr.“

Eine andere Sozialarbeiterin berichtet von einem Fall eines achtjährigen Buben, bei dem plötzlich der Verfassungsschutz vor der Tür gestanden ist, weil er in der Schule Köpfungsszenarien gekritzelt hat. Er war im übrigen Schiite, Angehöriger einer von der IS verfolgten Minderheit. Die Mitarbeiterinnen der Hotline geben auch regelmäßige Workshops für Lehrer, damit es zu keiner Überreaktion kommt. „Gerade diese aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft führt zu Ausgrenzung, das wiederum bietet einen Nährboden für Radikalisierung.“ Extremistische Gruppierungen würden an den Bedürfnissen der Jugendlichen und ihren Ausgrenzungserfahrungen andocken. „Diesen Gruppierungen ist es egal, woher du kommst, wie du ausschaust, was du getan hast. Sie nehmen die Jugendlichen mit offenen Armen auf, geben Orientierung und Werte.“

Kleine Erfolge

Betroffene würden sich zwar nur in Einzelfällen melden, kleine Erfolge gebe es aber. So betreue sie derzeit eine Aussteigergruppe junger Mädchen. „Häufig ist die Sympathie für den IS ein Ausdruck von Problemen, die ganz woanders liegen. In fast allen Fällen gibt es familiäre Konflikte, Probleme in der Schule oder bei der Jobsuche sowie Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen.“ Diese versuche man mit klassischer Sozialarbeit zu lösen, immer wieder würden Imame der Islamischen Glaubensgemeinschaft hilfsbereit zur Seite stehen.

Konkrete Aussteigerprogramme wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht – weder für IS-Anhänger, noch für Neonazis. „Das fehlt leider noch, wäre aber dringend nötig“, sagt Fabris. Geplant ist derzeit nichts.

AUF EINEN BLICK

Seit Herbst 2014 ist die sogenannte Deradikalisierungshotline in Betrieb. Im ersten Entwurf der Idee sollte die Einrichtung im Innenministerium angesiedelt sein. Nach Kritik, dass die Nähe zur Polizei die Hemmschwelle für Anrufer erhöhe, wechselte das Projekt ins Familienministerium. Seither hatte das sechsköpfige Team etwas mehr als 300 Kontakte. Jihad-Willige und deren Angehörige sind jedoch selten dabei. Meistens rufen Personen an, die sich durch die öffentliche Debatte über das Thema verunsichert fühlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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