Kriminalität: "Problem mit Teil der jungen Flüchtlinge"

Jugendgefängnis
JugendgefängnisClemens Fabry
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Bei bestimmten jungen Tätern stoßen selbst erfahrene Richter an ihre Grenzen. Das Beispiel einer großen Jugendbande zeigt die Vorherrschaft ausländischer Gangmitglieder.

„Was haben Sie denn mit dem erbeuteten Geld gemacht?“, fragt die Richterin den angeklagten 18-jährigen P. „Party, feiern, mit Freunden ausgehen“, antwortet dieser. Die Richterin ist auf Jugendstrafsachen spezialisiert. Und sie hat durchaus Erfahrung. Aber das... Sie braucht ein paar Sekunden. Dann sagt sie: „Legen Sie denn keine Reue an den Tag? Sie kommen mir recht cool vor.“

Diese Szene macht deutlich, womit es Gerichte – hier konkret eine Abteilung des Wiener Landesgerichts für Strafsachen – zu tun haben. Stichwort: Bandenkriminalität. P. wurde angelastet, dass er als Mitglied der Goldenberg-Jugendgang („Die Presse“ berichtete) kriminell wurde: Handyraub auf offener Straße, ein bewaffneter Raub auf eine Bipa-Filiale, ein bewaffneter Raub auf eine Zielpunkt-Filiale und so weiter. Seine Strafe fällt streng aus: fünf Jahre Haft. P. bleibt weiter „cool“. Er nimmt das Urteil sofort an.

Harter Kern

Über die in Wien-Favoriten angesiedelte Bande schreibt der Staatsanwalt: „Der Gruppierung schlossen sich im Laufe der Zeit (seit 2013, Anm.) mehr als hundert Jugendliche und junge Erwachsene verschiedener Ethnien an.“ Bei Weitem nicht alle Mitglieder der Bande sind bisher kriminell in Erscheinung getreten, aber eben ein harter Kern, zu dem P. gehört. Auffällig ist: Vom „Boss“ M. (der 21-Jährige wartet noch auf seinen Prozess) abwärts stammen die meisten jungen Leute nicht aus Österreich. M. kommt, wie der Hauptteil, aus Tschetschenien. Ist also russischer Staatsangehöriger. P. ist Österreicher – mit angolanischen Wurzeln. Und ja: Auch ein paar gebürtige Wiener sind dabei. Unterm Strich aber steht diese Gruppierung exemplarisch dort, wo es (gesellschafts-)politisch ziemlich heikel wird: nämlich beim Thema Ausländerkriminalität.

Übrigens: Das harte Urteil für P. ist atypisch. Es gibt Mitglieder des erwähnten harten Kerns, die nach früheren Straftaten eine milde Justiz erlebt haben. Laut Strafregister weisen einige der nun neuerlich (gemeinsam mit P.) schuldig gesprochenen Tschetschenen etliche Vorstrafen auf. Wegen gravierender Delikte wie Erpressung, Hehlerei oder schweren Raubes. Trotzdem sind die jungen Täter damals mit bedingten oder teilbedingten Strafen (Bewährungsstrafen) davongekommen.

Im jüngsten Sicherheitsbericht des Justiz- und des Innenministeriums, bezogen auf 2013, heißt es: „Im Berichtsjahr wurde von österreichischen Gerichten 34.424 Mal eine Person [...] rechtskräftig verurteilt. Von den Verurteilten waren 85 Prozent Männer, 15Prozent Frauen. Sie verteilen sich auf 6,5 Prozent Jugendliche, 13,1 Prozent junge Erwachsene und 80,3 Prozent Erwachsene. 64,8 Prozent waren Österreicher und 35,2 Prozent ausländische Staatsangehörige.“

Zur Erklärung: Ab 14 ist man strafmündig. Bis zum 18. Geburtstag gilt man als Jugendlicher, bis zum 21. als „junger Erwachsener“. Beide Gruppen werden de lege weniger streng als Erwachsene behandelt.

Detailanalysen, wie viele Personen aus der Gruppe der jungen Verurteilten Nichtösterreicher sind, hat das Justizressort laut eigenen Angaben nicht. Die Gerichtspraxis spricht aber Bände. Ein Beispiel: Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig (sie brachte den Fall des 14-Jährigen, der 2013 in Wien in U-Haft vergewaltigt wurde, ins Rollen) hat derzeit 19 offene Strafakten. Alle betreffen naturgemäß junge Verdächtige. Unter den 19 Akten findet sich nur ein (einziger) Fall, der eine österreichische Staatsangehörige betrifft.

Einsperren als Ultima Ratio

Matschnig: „Wir haben ein Problem mit einem Teil der jungen Flüchtlinge.“ Einige traumatisierte und in Österreich straffällig gewordene Personen würden sich auch durch Androhung von Haft nicht abschrecken lassen. „Diese rücken alle anderen Asylwerber in ein schiefes Licht.“ In einigen Fällen „wissen auch wir Jugendrichter keine Alternative zum Einsperren. Besser werden die Betroffenen in Haft nicht. Aber der Schutz der Bevölkerung geht vor.“ Und: „Einige sind außer Rand und Band, die muss man auch vor sich selbst schützen.“ Eben mittels Inhaftierung.

Laut Sicherheitsbericht lag der Anteil der Fremden an allen Zugängen zur U-Haft im Jahr 2013 bei 70 Prozent. Neuere (nicht direkt vergleichbare) Zahlen ergeben sich aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Justizminister Wolfgang Brandstetter: Mit Stichtag 1. März dieses Jahres waren 54 Prozent aller Häftlinge Österreichs ausländische Staatsbürger. Bei der U-Haft allein waren es 60 Prozent. Auch diese Angaben sind allerdings nicht nach Altersgruppen aufgeschlüsselt.

„Kriminaltouristen“

Die Suche nach Ursachen ergibt Interessantes: Die Kriminalitätsrate von Ausländern aus der Wohnbevölkerung ist nicht höher als die von Österreichern. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (Jahr 2011). Zwar beträgt der Anteil der ausländischen Verdächtigen, der nicht aus der Wohnbevölkerung kommt, bei manchen Vermögensdelikten sogar mehr als 70Prozent. Rechnet man aber diese sogenannten Kriminaltouristen (viele davon Osteuropäer) heraus, ist die Quote ausgeglichen.

Der Hauptgrund für die vielen ausländischen Häftlinge wiederum gründet sich auf den Umstand, dass Gerichte bei nicht integrierten Personen (naheliegenderweise) viel eher Fluchtgefahr annehmen als bei Inländern. Das Resultat: U-Haft. Und auch das zeigt die Praxis: Ist erst einmal U-Haft verhängt, so kommt beim Prozess meist eine (teil-)bedingte Haftstrafe heraus.

Noch einmal zurück zu den Jugendlichen. Was müsste geschehen, damit junge Leute, speziell Nichtösterreicher, seltener straffällig werden? Matschnig: „Bildungsprogramme wären hilfreich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2015)

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