Ein Häftling für fünf Euro die Stunde

Themenbild
Themenbild(c) Bilderbox (Erwin Wodicka)
  • Drucken

Jeder Österreicher hat das Recht, Sträflinge für private Dienste wie Reparaturen zu buchen. In Anspruch nehmen diese Möglichkeit vor allem Justizbeamte, denn sie zahlen deutlich weniger.

Wien. Sie reparieren bei Bedarf kaputte Waschmaschinen oder Autos, helfen beim Bau des Gartenhäuschens, putzen das Büro und verlegen Leitungen im Keller der Wohnung. Um die privaten Dienste eines Häftlings – egal, ob auf dem Anstaltsgelände, in Unternehmen oder bei sich zuhause – darf in Österreich grundsätzlich jeder ansuchen, wobei die Arbeit freiwillig erfolgen und bezahlt werden muss.

Gebrauch von dieser Möglichkeit machen neben Privatfirmen, die den größten Teil der Arbeitgeber ausmachen, insbesondere Dienststellen des Bundes, Landes, der Gemeinde sowie gemeinnützige Organisationen – aber auch Bedienstete der Justizanstalten, für die es dabei besondere Ermäßigungen gibt. Lediglich 4,65 Euro die Stunde kostet sie ein Arbeiter oder Handwerker aus dem Gefängnis. Alle anderen – auch die Privatfirmen – müssen den jeweiligen Kollektivvertragslohn zahlen, also mindestens das Doppelte von dem, was für Justizbeamte bzw. Bund, Land und Gemeinden fällig wird. Den Häftlingen bleibt dennoch immer nur ein Bruchteil davon – nämlich zwischen 1,50 bis 1,80 Euro pro Stunde. Denn vom Stundenlohn werden der Vollzugskostenbeitrag sowie die Arbeitslosenversicherung abgezogen.

Derselbe Nettolohn steht ihnen zu, wenn sie für Unternehmen auf Gefängnisarealen arbeiten. Bei Freigängern ist darüber hinaus eine Prämie (mit Obergrenzen) möglich, die sie behalten dürfen.

Gelockerter Vollzug

In Frage kommen für auswärtige Tätigkeiten im Übrigen nur Freigänger und Häftlinge aus dem gelockerten Vollzug – also Insassen, die die letzten zwölf Monate ihrer Haft absitzen. Zuvor muss dabei ein sogenannter Dienstverschaffungsvertrag unterschrieben werden. Zudem wird jede Person und jedes Unternehmen auf Liquidität überprüft, damit die Bezahlung der Insassen gesichert ist. Angesucht werden kann direkt beim entsprechenden Gefängnis oder bei der Vollzugsdirektion Wien. In der Justizanstalt Wien-Simmering beispielsweise arbeiten täglich 70 Freigänger bzw. Häftlinge aus dem gelockerten Vollzug außerhalb der Anstalt. In der Justizanstalt Stein in Krems sind es täglich 16. Österreichweit bringen diese Insassen der Staatskasse 4,5 Millionen Euro pro Jahr. Die Summe sämtlicher Arbeitsleistungen inklusive der anstaltseigenen Betriebe macht zehn bis elf Millionen aus. Zum Vergleich: Der gesamte Strafvollzug kostet etwa 400 Millionen Euro. Häftlinge, die in großen Gruppen mit spezieller Bewachung zu Arbeitsplätzen außerhalb der Anstalt gebracht werden, gehören aber der Vergangenheit an. Dafür fehlt das Personal.

„Der Freigang ist ein wesentlicher Bestandteil des modernen Vollzugs, da hier die Insassen optimal auf die Zeit nach der Entlassung vorbereitet werden“, sagt Erwin Kopecky, stellvertretender Leiter für wirtschaftliche Angelegenheiten der Vollzugsdirektion Wien. „Und nicht wenige von ihnen werden nach ihrer Entlassung in den Firmen weiterbeschäftigt.“

„Typisch österreichisch“

„Vorsichtige Kritik“ an diesem System übt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. „Das kritische Spannungsverhältnis besteht dann, wenn es ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Insassen und dem Justizbeamten gibt“, sagt Patzelt. „Wenn ein Häftling eine Arbeit nicht annehmen will, darf es nicht zu seinem Nachteil sein, diese Gefahr kann aber innerhalb dieses Gefüges nicht ausgeschlossen werden.“ Schließlich könne man sich nicht darauf verlassen, dass sich jeder Justizbedienstete immer anständig verhält. Positiv hervorzuheben sei die Möglichkeit für Häftlinge, auch außerhalb der Justizanstalt ihrem erlernten Beruf nachzugehen und dabei etwas Geld zu verdienen.

Wenngleich also das System an sich „nicht böse“ sei, sei es typisch österreichisch – nämlich „ein bisschen intransparent und nicht ganz abgesichert, was verbessungswürdig ist“. Auch hält es Patzelt für „fragwürdig“, warum Häftlinge nur einen Bruchteil ihres Lohnes behalten dürfen. „Es kann nicht sein, dass ein Insasse einen Teil seiner Justizvollzugskosten zurückverdient, weil er bereit ist, solche Tätigkeiten anzunehmen, während andere das nicht tun“, sagt Patzelt. Ein recht ordentliches System sei eben nicht dasselbe wie ein sehr gutes.

AUF EINEN BLICK

Strafvollzug. Um die privaten Dienste eines Häftlings darf in Österreich grundsätzlich jeder ansuchen, solange die Arbeit freiwillig erfolgt und bezahlt wird. Gebrauch von dieser Möglichkeit machen auch die Bediensteten der Justizanstalten, für die es dabei besondere Ermäßigungen gibt. Lediglich fünf Euro die Stunde kostet sie ein Arbeiter oder Handwerker aus dem Gefängnis. Wer nicht in einer Justizanstalt arbeitet, muss den jeweiligen Kollektivvertragslohn zahlen, also mindestens das Doppelte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.