Bioethikkommission: Impfpflicht für Gesundheitspersonal

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Das Expertengremium empfiehlt, dass sich Ärzte und das Pflegepersonal gegen ansteckende Krankheiten impfen lassen müssen. Eine Impfpflicht für Schul- und Kindergartenkinder hält man hingegen nicht für nötig.

Wien. Wie sehr darf man die Selbstbestimmung des Einzelnen zum Wohl aller einschränken? Welches Risiko darf man dem Individuum aufbürden, um jenes der Gesellschaft zu senken?

Diese heiklen Fragen stellte sich 2014 die Bioethikkommission im Auftrag des damaligen Gesundheitsministers Alois Stöger (SPÖ). Das Expertengremium suchte nach ethisch vertretbaren Möglichkeiten, um die Impfrate bei gefährlichen, von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheiten (z.B. Masern) zu heben. Ein brisantes Thema – über weniges wird so viel gestritten wie über das Impfen. Der Grund: Der Impfschutz funktioniert nur dann gut, wenn viele mitmachen, denn nur dann gibt es eine „Herdenimmunität“, die auch Menschen schützt, die sich gar nicht impfen lassen können (weil zu jung oder zu krank). Doch gerade in den gebildeten Schichten wachse die Impfskepsis, sagt Arnold Pollak, emeritierter Universitätsprofessor für Kinder- und Jugendheilkunde.

Die Kommission hat gestern, Montag, nun verschiedene Vorschläge zum Impfen präsentiert. Der weitreichendste betrifft das Gesundheitspersonal. Die Experten halten hier eine gesetzliche Impfpflicht für gerechtfertigt. Einerseits geht es um die „Vorbildwirkung“, andererseits, sagt die Leiterin der Kommission, Christiane Druml, hätten die Patienten das Recht, „nicht mit einer potenziell tödlichen Krankheit angesteckt zu werden“. Immerhin hat es diese Berufsgruppe oft mit gefährdeten Gruppen (z. B. Neugeborenen, Menschen nach einer Transplantation) zu tun. Wobei auch nach jetziger Rechtslage ungeimpftes Personal solche Patienten nicht betreuen darf. Bis zum Berufsverbot würde Christiane Wendehorst, Universitätsprofessorin für Zivilrecht, im Fall einer Impfverweigerung nicht gehen. Aber: Der Betreffende müsse in einer weniger sensiblen Abteilung arbeiten.

Pflichtberatung für Eltern

Eine Impfpflicht für eine andere Berufsgruppe findet sich indessen nicht in den Empfehlungen: jene für Lehrer und Kindergartenpersonal. Fast müsste man sagen: noch nicht. Denn: „Wenn Sie mich fragen, ich hoffe, das kommt später noch“, sagt Mediziner Pollak. Man wolle derzeit aber einen Schritt nach dem anderen machen.

Bei den Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen will man anderswo ansetzen: Die von den Schulen zurückgefahrenen kostenlosen Impfprogramme sollen wieder ausgebaut und auf Kindergärten ausgedehnt werden. Denn zuletzt hatte ein Gerichtsurteil für Verunsicherung gesorgt. Dieses wurde so (über)interpretiert, dass eine schriftliche Aufklärung der Eltern via Formular über die Risken einer Impfung nie ausreiche.

Weiters soll in Schulen und Kindergärten von den Eltern aktiv der Nachweis eines ausreichenden Impfschutzes eingefordert werden. Bei fehlendem Schutz soll es eine verbindliche Beratung geben. Was passiert, wenn sich Eltern weigern, lässt die Kommission offen. Das komme auf den Einzelfall an, sagt Juristin Wendehorst. Gebe es an der Schule ein Kind, das aus Gesundheitsgründen (z.B. Leukämie) nicht geimpft werden kann und durch andere Ungeimpfte besonders gefährdet ist, müsse man abwägen. Eine generelle Impfpflicht für Kinder als Voraussetzung für den Schul- oder Kindergartenbesuch, wie es sie in den USA gibt, empfiehlt man aber nicht. Auch wenn sich das die Leiterin der Arbeitsgruppe in der Kommission, Ursula Köller, „persönlich vorstellen kann“.

Aber, stellt Druml klar, solange es für Eltern schwer sei, an seriöse Informationen über Impfungen zu kommen, sei das kein Thema. Um Informationsdefizite zu beseitigen, empfiehlt die Kommission übrigens eine allgemein zugängliche, umfassende Dokumentation rund ums Impfen: Statistiken über Krankheitsfälle und Komplikationen sowie über Nutzen und Nebenwirkungen von Impfungen, auch die Häufigkeit von Impfschäden soll dargestellt werden.

Eine – noch nicht offizielle – Reaktion zu den Vorschlägen, konkret zu einer Impfpflicht für Gesundheitspersonal, gibt es von der Ärztekammer: Zwang könne nur das letzte Mittel sein, sagt Sprecher Martin Stickler. Er sei überzeugt, dass es genüge, die Ärzte auf die Wichtigkeit der Impfungen aufmerksam zu machen. Außerdem komme es darauf an, von welchen Impfungen man rede. Eine genaue Liste hat die Kommission aber nicht präsentiert. (uw)

LEXIKON

www.Stellungnahme:diepresse.com/impfenDie Bioethikkommission ist ein interdisziplinäres Expertengremium, das den Bundeskanzler in medizinisch-gesellschaftlichen Fragen berät. Die Stellungnahmen sind bloß Empfehlungen. Jene zur Strafbefreiung der Suizid-Beihilfe etwa hat keine große Chance auf Umsetzung. Die Empfehlungen zur Fortpflanzungsmedizin wiederum wurden nach und nach umgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2015)

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