IS-Terror: Gericht fährt harte Linie

WIENER ISLAMISTEN-VERFAHREN: TERRORPROZESS GEGEN ZEHN ANGEKLAGTE: SICHERHEITSKONTROLLEN
WIENER ISLAMISTEN-VERFAHREN: TERRORPROZESS GEGEN ZEHN ANGEKLAGTE: SICHERHEITSKONTROLLEN(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Im bisher größten Jihad-Prozess Österreichs wurden alle zehn Angeklagten, mehrheitlich tschetschenische Flüchtlinge, verurteilt.

Wien. Ab wann ist man Mitglied der Terrororganisation IS (Islamischer Staat)? Ist der bloße Versuch, in die syrischen oder irakischen Aufmarschgebiete des IS zu gelangen, schon strafbar? Es waren grundsätzliche Fragen wie diese, die ein Wiener Schöffensenat (Vorsitz: Andreas Hautz) am Dienstag zu lösen hatte. Da der Begriff der terroristischen Vereinigung im österreichischen Strafgesetzbuch denkbar breit definiert ist, ist die gerichtliche Interpretation dementsprechend ausgefallen: Schon das Hinfahren, Ziel: IS, gilt laut Senat als Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Selbst das „In-Angriff-Nehmen“ der Reise (Zitat Anklage) – ohne Zielerreichung – wurde als vollendete IS-Mitgliedschaft gewertet.

Zehn Schuldsprüche im bisher größten IS-Prozess Österreichs waren die Folge. Der Angeklagte Yunus F., ein vierfacher Familienvater, zuletzt Gelegenheitsarbeiter (seine Familie war von der Türkei nach Österreich ausgewandert), bekam die (relativ) strengste Strafe: drei Jahre Gefängnis. Wenn auch der Senat den Terrorbegriff weit fasste und daher zu Schuldsprüchen kam, die Strafen an sich blieben im unteren Bereich. Für F. galt ein Rahmen von ein bis zehn Jahren. Der Mann hatte sein Tun faktisch zugegeben. Er war quasi derjenige, der Reisen in Richtung Jihad organisierte bzw. durchführte.

Neun weitere Angeklagte, acht Männer im Alter zwischen 18 und 28 Jahren und eine 19-jährige Frau, wurden ebenfalls wegen Beteiligung an der Terrororganisation IS schuldig erkannt. Die Freiheitsstrafen bewegen sich zwischen einem Jahr und 34 Monaten. Das eine Jahr bekam ein zur Tatzeit (August 2014) erst 17-jähriger Tschetschenien-Flüchtling. Seine Strafe wurde bedingt nachgesehen. Alle anderen bekamen unbedingte Haft. Für erhöhte Aufmerksamkeit unter den Zuschauern hatte die einzige Frau auf der Anklagebank (Straflandesgericht Wien) gesorgt: Sie war mit einem Tschador in den – von schwarz maskierten Justizwachebeamten kontrollierten – Gerichtssaal gekommen. Auch die Kunde, dass die 19-Jährige in U-Haft Mutter wurde, sprach sich schnell herum. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Die eigentlichen Taten sind schnell erklärt: Laut Anklage versuchten die zehn Personen, aufgeteilt auf zwei Autos über die Türkei nach Syrien zu reisen. Der Versuch scheiterte allerdings schon bei der Ausreise aus Österreich, als nämlich die beiden Fahrzeuge, eines am Grenzübergang Arnoldstein und eines in Nickelsdorf von Cobra-Kommandos gestoppt wurden. Einige der Angeklagten hatten schon zuvor per Bus die Reise versucht und waren gescheitert.

Jihad oder einfach nur Sommerurlaub?

Im Prozess hörte man von einigen Angeklagten, sie hätten eigentlich nur auf Urlaub fahren wollen. Vom Verfassungsschutz sichergestellte Handychats, bei denen es um den Jihad ging, sprachen allerdings eine andere Sprache.

Staatsanwältin Stefanie Schön hatte den Ausreisewilligen unter anderem „psychische Unterstützung“ des IS vorgeworfen. Dies hatte nicht nur unter den Verteidigern für Staunen gesorgt. Wie sollen neun junge, in Wien lebende Tschetschenien-Flüchtlinge, deren gemeinsame Reise an Österreichs Grenze jäh endet, eine tausende Kilometer weit entfernt agierende Terrororganisation „psychisch unterstützen“? Auch darauf gab das Gericht nun Antwort. „Dass sich nicht IS-Führer al-Baghdadi in Rakka (IS-Hochburg, Anm.) die Hände reibt, ist klar“, so der Richter. „Aber wenn von überall Leute kommen, ist Unterstützung da.“ Dies werde sehr wohl vom IS registriert. „Das bestärkt den IS in seiner Gruppenmoral.“ Im Übrigen habe Organisator F. (er hat sich das Transportieren von potenziellen IS-Gefolgsleuten von diesen bezahlen lassen) Kontakte nach Syrien gehabt. Es habe also Leute gegeben, die wussten, wenn wieder Nachschub kommen sollte.

In Wiener Moschee radikalisiert?

Der wichtigste Begriff lautete nun aber: Unterstützung. Der Richter: „Man muss nicht unbedingt ein Kämpfer sein.“ Und: „Sei es als Arbeiter, Sanitäter, Kinderbetreuer“ – all das „unterstützt den islamischen Staat“. Wenn ein Angeklagter angebe, er sehe den IS als „nicht so schlimm“, sei dies eine „persönliche Wertung“. Am Vorsatz ändere das nichts. So jemand akzeptiere einfach nicht, „wie in Österreich darauf reagiert wird“.

Nur ein Angeklagter, ein 22-Jähriger, hatte gestanden. Ja, er habe versucht, sich dem IS anzuschließen: „Ich wollte meine Religion leben.“ Zudem habe er heiraten und eine Familie gründen wollen. Der in Grosny geborene Mann hatte sich in der Altun-Alem-Moschee in Wien Leopoldstadt zu einem streng gläubigen Muslim entwickelt. Offenbar unter dem Einfluss des früher dort aktiven Predigers Mirsad O. Dieser sitzt inzwischen wegen Terrorverdachts in Graz in U-Haft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)

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