Fall Kampusch: Es gab Mitwisser

Am 2. März 1998 wurde die zehnjährige Natascha Kampusch in Wien entführt. Sie sprach immer von einem Einzeltäter.
Am 2. März 1998 wurde die zehnjährige Natascha Kampusch in Wien entführt. Sie sprach immer von einem Einzeltäter.(c) Illustration: Besiana Bandili
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Zwischenbericht: Die Adamovich-Kommission drängt Ministerin Fekter „mit Nachdruck“ zu weiterer Aufklärung. Im Fall Kampusch involvierte Personen verhalten sich verdächtig, Ermittlern wird Material vorenthalten.

Gleich zwei Kommissionen arbeiten an der Aufarbeitung des Falles Natascha Kampusch. Seit Oktober wird mit der Einsetzung einer Sonderkommission der Exekutive der zuvor abgeschlossene Fall neu aufgerollt. Klarer Auftrag: Die Ermittler sollen klären, ob es einen oder mehrere Mittäter des Entführers Wolfgang Priklopil gegeben habe.

Die Ermittlungen dauern zwar noch an, aber laut bisher gewonnenen Erkenntnissen steht fest: Es gab in der achteinhalb Jahre andauernden Entführung auf jeden Fall „Mitwisser“. „Ganz sicher“, sagt einer, der sich in den vergangenen Monaten fast ausschließlich damit beschäftigte, im Gespräch mit der „Presse“. Ob es sich auch um Mittäter handle, müsste nach Abschluss der neuerlichen Polizeiarbeit das Gericht klären, heißt es.

Am Dienstag übergab die zweite mit dem Fall beauftragte Kommission unter Führung des früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes Ludwig Adamovich ihren Zwischenbericht an Innenministerin Maria Fekter, auch Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wurde informiert.

"Völlig anderes Bild"

Diese sechsköpfige Evaluierungskommission geht der Frage nach, ob und warum Pannen bei Ermittlungen passiert sind und wie sich solche künftig verhindern lassen. Auch ihre Aufklärungsarbeit war im vergangenen Jahr mit einem Abschlussbericht beendet worden. Doch nachdem Adamovich deutlich auf zahlreiche offene Fragen hingewiesen hatte, wurden die Ermittlungen neu gestartet und das Engagement von Adamovich verlängert. Weder er noch Fekter wollten der „Presse“ am Dienstag eine Stellungnahme zur Causa geben. Der Bericht – der „Presse“ liegen die relevanten Passagen vor – spricht eine eindeutige Sprache: Die Adamovich-Expertengruppe drängt vehement, die von der parallel tätigen Sonderkommission aufgenommenen Erhebungen „mit Nachdruck“ fortzuführen. Begründung: „Dies insbesondere deshalb, weil gerade durch den zweiten Zwischenbericht bei der Kommission der nachhaltige Eindruck entstanden ist, dass einige in der Causa Kampusch mittelbar und unmittelbar involvierte Personen offensichtlich einen viel stärkeren persönlichen und in der Causa abstimmungsorientierten Kontakt pflegen, obwohl nach außen ein völlig anderes Bild transportiert wird.“

Soll offenbar heißen: Die im Vorjahr gestarteten Ermittlungen im Umfeld Kampuschs, vor allem aber in jenem des Entführers Wolfgang Priklopil (er beging nach der Flucht seines Opfers Selbstmord; mehr: Chronologie) der Polizei-Kommission bringen erste Ergebnisse zu Tage. Unter anderen wurden wie berichtet – ohne dass dies bedeutet, dass sie damit automatisch zu der von Adamovich genannten verdächtigen Personenkreis gehören – der Inhaber einer Lebensmittelfirma, die von Wolfgang Priklopil wiederholt beauftragt worden war und Priklopil-Freund H. näher unter die Lupe genommen. Den 44-Jährigen hatte Priklopil kurz vor seinem Tod getroffen. Aufgefallen war der Mann auch, als er Materialien aus einer Lagerhalle entfernt hatte, zu der Priklopil Zugang gehabt hatte. Warum die Exekutive nicht eingeschritten war, ist einer der offenen Fragen. Und: Nach wie vor steht eine Zeugenaussage im Raum, die am 3. März 1998, einen Tag nach der Entführung, zu Protokoll gegeben wurde. Eine damals 12-jährige Schülerin gab an, sie habe gesehen, wie ein zehnjähriges Mädchen in einen weißen Kastenwagen gezerrt worden sei. Ein zweiter Mann sei am Fahrersitz gesessen.

Ruf nach Akteneinsicht

Die Recherchen der Sonderkommission führten auch zu einem Club im Rotlichtmilieu. Dort bekam die Polizei einen Hinweis auf den Fall einer versuchten Entführung, bei dem 2002 eine junge unbeteiligte Frau schwer verletzt wurde. Die mutmaßlichen Täter konnten laut Bericht ausgeforscht werden. Ob und inwieweit der Fall etwas mit der Causa Kampusch zu tun hat, ist unklar. Die Ermittler gehen von einem Zufall aus. Das Adamovich-Papier übt scharfe Kritik an der Staatsanwaltschaft, die dem Fall offenbar nicht übertrieben viel Aufmerksamkeit widmete und das Opfer ins Rotlichtmilieu einordnete. In dem Bericht ist die Warnung an die Justiz zu lesen, solche Fälle juristisch härter zu ahnden. Gerade in Kenntnis der Fälle Kampusch und Josef F. müssten Ermittler und Staatsanwaltschaft ihr Bewusstsein schärfen. Weitere Kritik an der Justiz, die dort wenig Freude auslöst: Die Adamovich-Gruppe moniert, dass Teile der Akten, wie Niederschriften der Vernehmungen von Kampusch, den Sonderermittlern immer nicht offene stehen. Es gebe die „unabdingbare Notwendigkeit einer abschließenden Kontextbeurteilung durch Einsichtnahme“.

Kurz-Chronologie

■ Natascha Kampusch wurde am 2. März 1998 in Wien-Donaustadt auf dem Weg zur Schule entführt. Mehr als acht Jahre lang wurde sie in einem Haus in Strasshof (NÖ) von ihrem Entführer Wolfgang Priklopil gefangen gehalten. Am 23. August 2006 gelang ihr die Flucht. Priklopil warf sich später in Wien vor eine S-Bahn.

■ Kritik an der Polizei. Bald nach der Flucht von Kampusch wurde bekannt, dass Nachforschungen seit 1999 wiederholt zum Haus des Entführers geführt hätten. Kampusch wurde dabei nicht entdeckt.

■ Evaluierungskommission. Unter Ludwig Adamovich wird der Fall seit 2008 von Experten untersucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2009)

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Kommentare

Danke, Ludwig Adamovich!

Die Ermittlungen im Fall Kampusch erhärten den Verdacht, dass es Mitwisser gegeben hat.

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