Wo Winnetou noch lebt

Oliver Roitinger als Old Shatterhand, Max Spielmann als Winnetou und Nathalie Mintert als Nscho-tschi.
Oliver Roitinger als Old Shatterhand, Max Spielmann als Winnetou und Nathalie Mintert als Nscho-tschi.Winnetou-Spiele Gföhl
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Zum 25. Mal finden heuer die Winnetou-Spiele in Gföhl statt. Entstanden sind sie, weil ein paar Jugendliche Indianer spielen wollten.

Man muss es leider sagen: Die „Winnetou“-Filme sind nicht gut gealtert. Vor 30, 40 Jahren saß man gebannt vor dem TV-Gerät, wenn Pierre Brice und Lex Barker durch den Westen (oder vielmehr das damalige Jugoslawien) ritten. Heute aber kommt es einer Folter gleich: Die Handlung ist dünn, teilweise unlogisch, einige Schauspieler sind grottenschlecht, die Szenen dauern ewig, zwischen den Schnitten vergehen Minuten.

„Ja, das ist etwas langsam“, meint Rochus Millauer. „Mit dem könnte man die heutige Jugend nicht mehr begeistern.“ Millauer weiß das deswegen genau, weil es sein Job ist, „Winnetou“ packend zu machen. Millauer ist Schauspieler und Regisseur und verantwortet künstlerisch die heurige Aufführung von „Winnetou I“ im niederösterreichischen Gföhl. „Man muss etwas Drama hineinbringen“, erklärt er. „Einen Selbstverwirklicher, der einen minutenlangen Monolog über das Schicksal der Indianer vorträgt, will niemand sehen. Es kommen nur deswegen Menschen, weil wir großes Kino bieten – Tempo, Drama und schnelle Szenenwechsel. Sonst wäre das Stück zu flach.“

Und das ist es keineswegs. Das etwa zweistündige Theaterspiel, das gestern Abend Premiere hatte und bis Ende August an jedem Samstag und Sonntag aufgeführt wird, ist packend inszeniert. Es gibt sehr viele gute und einige sehr bemühte Schauspieler, es ist humorvoll und dramatisch – kurz: Man kann ruhigen Gewissens einen Ausflug nach Gföhl empfehlen, vor allem, wenn man Kinder im passenden Alter oder noch immer eine Neigung zu Cowboy- und Indianerspiele hat.

Zum Stück kommt der einzigartige Ort, die große Freilichtbühne – ein Erlebnis für sich. Mitten im Wald sitzt man auf Holzbänken – 2500 Personen finden Platz –, blickt hinunter auf einen kleinen See, eine Holzhütte, rechts dampft eine Lok, hinten gibt es einen steilen Hügel, eine Überführung über zwei Felsmassive, links ein kleines Indianerdorf. Alles ist nach Westen ausgerichtet, Winnetou reitet also aus dem Sonnenuntergang heraus vor das Publikum. Es ist ein beeindruckender Aufbau, den man ein paar Jugendlichen zu verdanken hat, die Indianer spielen wollten.

„Die waren damals auf Maturareise und haben die Karl-May-Spiele gesehen. Das wollten sie bei uns auch machen, also hab ich ihnen halt die Bühne gebaut.“ Der 75-jährige Adolf Blauensteiner erzählt es sehr lakonisch, wie es seine Natur ist. Man muss es ein wenig ausschmücken, um die Leistungen des pensionierten Forstunternehmers zu würdigen.

1988 also kamen die Jugendlichen, sprachen mit Blauensteiner – „sie waren mir sympathisch, außerdem habe ich auch immer Karl May gelesen“ – nur: Die hoffnungsvollen Schauspieler hatten kein Geld. Man arrangierte sich also. „Ich hab ihnen g'sagt: Wenn ihr schön spielts, dann baue ich euch eine Bühne.“ Sie taten es, und er tat es auch.

Im ersten Jahr sahen 3000 Menschen „Winnetou I“, das Jahr darauf kamen schon 10.000 (geboten wurde „Der Ölprinz“), es folgten „Im Tal des Todes“ (15.000 Besucher), „Der Schatz im Silbersee“ (25.000), 1998 entstand ein riesiges Wigwam für 1200 Menschen, das es aufgrund seiner Größte sogar ins „Guinness-Buch der Rekorde“ geschafft hat („Als ich das gebaut habe, haben einige im Ort g'sagt: ,Jetzt spinnt er völlig, der Alte‘“) – aber 2008 war es genug. Zwei Jahre wurde pausiert, 2011 und 2012 veranstaltete man ein Mittelalterfest, ab 2013 versuchte man es wieder mit Karl May. Und dabei soll es jetzt bleiben. Heuer feiert man ein kleines Jubiläum, weil die diesjährigen Spiele die 25. sind.

Große Familie. „Wir sind hier wie eine große Familie“, sagt Regisseur Millauer, der selbst mitspielt. „Manche kennen sich seit zehn Jahren. Die Kinder, die bei uns hier im Sommer aufgewachsen sind, spielen heute im Stück Indianer.“ Jeder lege Hand an, jeder helfe mit, keiner sei sich zu gut.

Das geht bei einer finanziell so engen Produktion auch nicht anders. „Wir haben 70 Mitwirkende, es gibt allein 14 Sprechrollen und 20 Pferde“, erklärt Geschäftsführer Anton Rohrmoser. Man müsse jede Aufführung genau kalkulieren – auch deswegen, weil es keine öffentlichen Förderungen für die Spiele gibt. „Alles muss durch die Eintrittspreise abgedeckt werden“ (zwölf Euro für Kinder, 24 Euro für Erwachsene). Heuer sollen es mindestens 10.000 Besucher werden.

Ob es nicht ein Problem sei, wenn Menschen kommen, die Winnetou aus den alten Filmen kennen, deshalb eine sehr klare Vorstellung haben und sich mehr oder weniger gespielte Filme erwarten? Winnetou kann das am besten beantworten: „Die Menschen verstehen, dass ich nicht Pierre Brice bin, und ich will ihn auch nicht kopieren“, sagt Max Spielmann.

Wenn man sich an eine filmische Vorgabe halte, sei das nie gut – nicht für den Schauspieler und nicht für die Zuseher. Der 31-Jährige spielt heuer bereits zum vierten Mal den Häuptling der Apachen. „Ich trete als jugendlicher Winnetou auf, der noch ungestüm und kriegerisch ist und erst im Lauf der Handlung zu dem Winnetou wird, den man kennt.“


Leben in der Wagenburg. Die ganze vergangene Woche haben die Schauspieler mit Proben verbracht. Im Backstage-Bereich ist eine kleine Wohnwagenburg aufgebaut, in der die meisten übernachten und am Abend bei einem Feuer zusammensitzen. „Keiner hier ist ein Star“, sagt Rochus Millauer, „wir sind alle kleine Sternchen, die das Spiel zum Leuchten bringen.“

In den vergangenen Jahren habe er wieder ein wachsendes Interesse an Karl May festgestellt. „Es kommen nicht nur Eltern wegen ihrer Kinder, sondern auch Erwachsene, die sich das einfach gern ansehen.“

Es sei eben eine klassische Geschichte, meint Rudi Larsen, der den weisen, alten Klekih-petra, den Lehrvater Winnetous, spielt. „Wir haben einen Indianer, der für das Gute kämpft, der sich für etwas einsetzt und am Ende siegt.“ Das bediene nicht nur den Gerechtigkeitssinn der Kinder – „das ist gerade auch für Erwachsene eine Bestätigung, die in ihrem Leben ja oft schon das Gegenteil erlebt haben“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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