Niederösterreich: Wie eine jüdische Villa wertlos wurde

Eine Aufnahme des Hauses aus den frühen 1970er Jahren.
Eine Aufnahme des Hauses aus den frühen 1970er Jahren.Archiv
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Über Jahrzehnte tat die Gemeinde Breitenstein am Semmering alles, um eine einst arisierte Immobilie zu entwerten. Als die Gelegenheit günstig war, wurde sie trickreich gekauft.

Es gibt Geschichten, deren Pointe sich Zuhörern erst im Laufe der Jahrzehnte erschließt. Jene der – einst jüdischen – Wachtl-Villa in Breitenstein am Semmering ist so eine. Sie reicht von der Zeit der Nazis bis ins 21. Jahrhundert. Hauptdarstellerin ist die 300-Seelen-Gemeinde am Semmering, die sich die Immobilie über die Jahre so hergerichtet hat, dass sie 2014 kaufreif war.

Inzwischen interessieren sich die Gemeindeaufsicht des Landes und die Notariatskammer für den Fall. Etwa deshalb, weil die auf dem Grundstück lastenden Steuerschulden geringer waren, als die Gemeinde gegenüber einem Erbberechtigten behauptet hatte. Die Folge: Er verzichtete auf den Antritt des Erbes, und die Gemeinde kaufte die Liegenschaft in einer Art Nullsummenspiel vom gerichtlich bestellten Verlassenschaftskurator. Dem Geschäft war ein langer Prozess der Grundstücksentwertung vorangegangen. Aber alles der Reihe nach.

Das Grundstück war vor dem Krieg – wie viele andere am Semmering – in jüdischem Besitz. Mit der Machtergreifung der Nazis und der Arisierung der Liegenschaft flüchteten die Eigentümer ins Ausland. Nach 1945 ging die Immobilie zurück an Carl Wachtl, der inzwischen in den USA wohnte. Auf dem Grundstück stand zu diesem Zeitpunkt ein Haus, die Wachtl-Villa.

Abriss und Umwidmung

Sie wurde nach dem Krieg als Mütterberatungsstelle genutzt, ehe sie verfiel. Dem damaligen Bürgermeister war die Villa wegen des schlechten baulichen Zustands ein Dorn im Auge. Im Zuge einer langen brieflichen Korrespondenz mit Carl Wachtl brachte er diesen 1972 dazu, das Gebäude zu schleifen. Da Wachtl dafür nicht aus den USA anreisen wollte, sollte die Gemeinde das Vorhaben umsetzen – und Wachtl nur noch die Rechnung schicken.

Den Auftrag zum Abriss erhielt ein mit einem Breitensteiner Gemeinderat namensgleicher Unternehmer. Ob es sich um dieselbe Person, und damit eine „interne“ Vergabe handelt, war aufgrund der lückenhaften Unterlagen nicht mehr zweifelsfrei festzustellen. Offenbar plagte den Bürgermeister in der Sache jedoch das schlechte Gewissen. In einem Brief an Wachtl erklärte er diesem, warum er keine weiteren Angebote zur Preisreduktion eingeholt hatte: „Weil alle Firmen mit Arbeit zu überlastet sind.“

20Jahre später erfolgte der nächste Schritt. 1992 widmete die Gemeinde das Bauland des Wachtl-Grundstücks in Grünland um, während Grünflächen des damaligen Bürgermeisters im gleichen Verfahren zu hochwertigem Bauland und verkauft wurden. Das Grundstück verlor massiv an Wert. Der jüdische Eigentümer war drei Jahre vorher unbemerkt verstorben.

Wieder knapp 20 Jahre später folgt der letzte Akt. Sowohl die Gemeinde Breitenstein als auch der ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammende Künstler Richard Weihs wollen das Grundstück, das ohne bekannte Erben von einem Notar als Verlassenschaftskurator verwaltet wird, kaufen.

Im Stillen lässt die Gemeinde jedoch weiter nach Nachfahren suchen – und findet in der Wiener Leopoldstadt tatsächlich einen Ansprechpartner. Ihm wird erklärt, so steht es in einer der „Presse“ vorliegenden Beschwerde bei der Notariatskammer, dass sich der Antritt des Erbes nicht auszahle, weil das Grundstück wegen der hohen Lasten „eigentlich wertlos“ sei. Die Folge: Für 3000 Euro kauft die Gemeinde Breitenstein das einstige Villengrundstück vom Verlassenschaftskurator. Das Geld fließt jedoch umgehend zurück. Grund sind Auslagen, Gebühren, sowie – angeblich – hohe Grundsteuerschulden. Weihs bekommt davon Wind und schaltet die Amtsaufsicht des Landes Niederösterreich ein. Und die wird fündig. Obwohl offene Grundsteuerforderungen nach fünf Jahren verjähren, hat sie die Gemeinde „irrtümlich“ fortgeschrieben. Der Steuerakt dazu sei leider unauffindbar.

Lagerplatz für Biomüll?

Zwar sind es nur 600 Euro, die die Gemeinde zu viel verrechnete, doch angesichts der Geschichte des Grundstücks drängt das Land die Gemeinde nun in einem Bericht dazu, den Betrag „Projekten zu widmen, welche die Aufarbeitung des Nationalsozialismus zum Gegenstand haben“. Und: Der Plan des heutigen Bürgermeisters, aus dem Grundstück einen Biomüll-Lagerplatz zu machen, wird wohl nur ein Plan bleiben. So eine Verwendung, schreibt das Land, „ist angesichts der Geschichte des Ortes aus unserer Sicht nicht angezeigt“.

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