Hotline soll Ambulanzen entlasten

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In Wien, Niederösterreich und Vorarlberg wird Ende 2016 eine 24-Stunden-Hotline die Anrufer in medizinischen Fragen beraten. Kritik an dem Projekt kommt von der Ärztekammer.

Wien. Ab Ende 2016 wird in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg ein von der Sozialversicherung und Bundesländern ins Leben gerufenes Pilotprojekt zu einer 24-Stunden-Telefonhotline in medizinischen Fragen starten. Der Service läuft über Notleitstellen. 2019 soll das System österreichweit ausgerollt werden, wurde am Dienstag bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen mitgeteilt.

„Verschiedene Studien zeigen, dass Bürger ihre medizinischen Probleme häufig falsch interpretieren, 70Prozent zu stark“, sagte der Chirurg, Allgemeinmediziner, Telemedizinexperte und Konsulent des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Andrea Vincenzo Braga. Er hat bereits in der Schweiz ein solches System aufgebaut.

Die Folge falsch interpretierter Symptome ließen sich täglich im Gesundheitswesen sehen, meinte der Fachmann am Dienstagnachmittag. „Zu dramatisch wahrgenommene Symptome führen zur Inanspruchnahme höherer Versorgungsebenen bis hin zum Spital, bis hin zur Universitätsklinik.“

Geschultes Personal

Mit Medi24 gibt es in der Schweiz eine solche 24-Stunden-Hotline an sieben Tagen der Woche. Dort kommt der Anrufer an diplomiertes und speziell geschultes bzw. zertifiziertes Krankenpflegepersonal. Dahinter stehen standardisierte Fragenkataloge, eine medizinische Expertendatenbank und Ärzte. „Bei rund 400.000 Anrufen im Jahr ist nur bei acht Prozent der Anrufe wirklich eine Notfallreaktion erforderlich. 60Prozent können in Selbstbehandlung belassen werden“, sagt Braga. Dem Rest der Anrufer können die zeitnahe Konsultation eines Hausarztes etc. angeraten werden. Die Gesamtfehlerquote liege bei 0,3Prozent.

„Der Best Point of Service ist das Schlagwort der Gesundheitsreform. Es ist nicht so einfach, hier die vielen verschiedenen Ebenen unter einen Hut zu bringen. Wo ist er? Wann ist die richtige Zeit für eine Intervention? Was ist die richtige Leistung am richtigen Ort? Es wäre gut, ein medizinisches Beratungsangebot mit einer Dringlichkeitseinschätzung zu haben, das auch Versorgungsangebote vermittelt“, sagt Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse.

Die Pilotprojekte werden je zur Hälfte von der Sozialversicherung und den Bundesländern finanziert. Sie werden etwa bis Ende 2018 dauern und von dem IT-Tochterunternehmen des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, IT-Services GmbH, betreut. Die Kosten belaufen sich auf fünf Millionen Euro. „Wir wollen die Erstversorgung stärken und die Spitalsambulanzen entlasten“, sagt Volker Schörghofer, stellvertretender Generaldirektor des Hauptverbandes.

In Österreich soll das System dreistufig etabliert werden: Zunächst erfolgt die Aufnahme der Grunddaten, dann die Weiterleitung des Anrufers an speziell ausgebildetes Personal, schließlich kommen die Ärzte im Hintergrund zum Einsatz.

Kritik von der Ärztekammer

Kritik an dem Vorhaben kommt von der Österreichischen Ärztekammer, die ein „gesundheitliches Gesamtkonzept“ vermisst. Eine Gesundheitshotline als Erstkontakt im Gesundheitswesen oder auch die viel diskutierten Primary Health Care Center seien Einzelmaßnahmen ohne erkennbare Strategie.

Offensichtlich fehle den gesundheitspolitisch Verantwortlichen der Plan, sagt Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. „Angesichts der akuten Überlastung der Spitalsambulanzen sind dringend nachhaltige Lösungen gefordert. Zu erwarten, dass eine Telefonhotline oder ein Online-Angebot uns aus der Misere helfen wird, ist aus meiner Sicht naiv.“

Diese Angebote würden zwar Kosten sparen, was für die Verantwortlichen wohl auch die Motivation gewesen sei, sie zu entwickeln. Sie könnten aber das Arzt-Patienten-Gespräch von Angesicht zu Angesicht und die Untersuchung nicht ersetzen. Mayer: „Solange der Zugang zu den Ambulanzen nicht geregelt ist und die Patienten mehr oder weniger selbst entscheiden, ob sie sich in eine Spezialambulanz oder in eine Ordination begeben, wird das Problem nicht gelöst werden können.“ (APA/kb)

AUF EINEN BLICK

Telefon-Hotline. In Österreich wird ab Ende 2016 in Wien, Niederösterreich und Vorarlberg ein von der Sozialversicherung und den Bundesländern veranlasstes Pilotprojekt zu einer 24-Stunden-Telefonhotline in medizinischen Fragen starten. 2019 soll das System österreichweit ausgerollt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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