Terror-Prozess in Wien: "Wer ist die verschleierte Frau?"

Angeklagte J. (21), deren Verschleierung nicht einmal einen Sehschlitz aufwies.
Angeklagte J. (21), deren Verschleierung nicht einmal einen Sehschlitz aufwies.Clemens Fabry / Die Presse
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Ein weiterer Strafprozess gegen drei mutmaßliche Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ brachte ein Gericht an die Grenzen der österreichischen Rechtsordnung.

Was soll ein Richter machen, wenn er nicht sieht, wer vor ihm steht? Naheliegende Möglichkeit: Nachfragen. Genau dies tat Prozessleiter Daniel Rechenmacher vom Straflandesgericht Wien am Donnerstag, als die Justizwache eine vollständig schwarz verschleierte Person – nicht einmal ein Sehschlitz war vorhanden – als Angeklagte in den Saal führte. „Wer ist die verschleierte Frau?“, wollte er von den Wachebeamten wissen. Es handle sich um die Angeklagte, wurde dem Herrn Rat beschieden.

Dieser Auftakt zu einem weiteren Strafprozess wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS („Islamischer Staat“) sollte aber nur der Anfang einer Reihe von kritischen Situationen sein, die das Gericht an den Rand des Machbaren brachten. Angeklagt: die (verschleierte) 21-jährige J., ihr Freund P. (20) und dessen Mutter Ann B. (39).

Verhinderte Reise in den Jihad

Das Trio war aus Tschetschenien geflohen. P. und seine Mutter kamen 2011, J. schon 2004 nach Österreich. Staatsanwältin Stefanie Schön wirft den dreien vor, den IS unterstützt zu haben. Am 17. Juli 2014 seien sie von Wien aus in Richtung Syrien aufgebrochen. Bei dieser Fahrt seien zehn Personen in zwei Autos, zeitweilig auch per Bus, unterwegs gewesen. Nahe der türkischen Stadt Gaziantep wurde der Konvoi von der türkischen Polizei beendet. Der Großteil der Gruppe wurde von den türkischen Behörden zurück nach Österreich abgeschoben.

Mitreisende der nunmehrigen Angeklagten waren zwei mittlerweile verurteilte Männer, die sich als Organisatoren von Reisen in den Jihad hervorgetan hatten: Yunus F. (35) und Caner Y. (33). Letzterer wurde, wie berichtet, erst am Mittwoch mit vier Jahren Haft bestraft.

Das Trio bekannte sich nun in Sachen Terror „nicht schuldig“. Hauptpunkt der Anklage ist wie bei praktisch allen Prozessen im Zusammenhang mit der Terrormiliz IS das Verbrechen der "Terroristischen Vereinigung".

Ein Kind in U-Haft geboren

Ehe der Richter mit der Befragung begann, wandte er sich an die 21-Jährige (diese hat in U-Haft einen Sohn, den sie Osama nannte, auf die Welt gebracht). Sollte die Angeklagte weiter ihr Gesicht verbergen, werde sie von der Verhandlung ausgeschlossen. Eben dies war vor einigen Jahren die Konsequenz für die ebenfalls voll verschleierte Angeklagte Mona S. (ihr Schleier hatte immerhin einen Sehschlitz), die damalige Freundin des später als Terrorist (Drohvideo) verurteilten Mohamed Mahmoud. Mittlerweile soll Mahmoud - er nahm nach seiner Freilassung aus einem Wiener Gefängnis eine öffentliche Verbrennung seines österreichischen Reisepasses vor - eine maßgebliche Position beim IS innehaben. Die 21-Jährige J. ließ es nun nicht so weit kommen: Sie gab zumindest einen Teil ihres Gesichts frei.

Indessen musste Ann B. im Rollstuhl in den Saal geschoben werden, da sie – wie ein Gutachter feststellte – „hysterioide Panikattacken“ hatte und immer wieder an Hyperventilation litt. Flankiert wurde die Frau von einer Krankenschwester und einer Ärztin, die einen Notfallkoffer mittrug.

Ein regelrechter Prozessstart wollte weiter nicht gelingen: Denn erneut drohte der Richter den Ausschluss aus der Verhandlung an, da die beiden jungen Angeklagten sich unter Hinweis auf ihren islamischen Glauben weigerten, sich für die Vereidigung (Angelobung) eines Schöffen (Laienrichters) zu erheben. Schließlich gaben die beiden (nach bemühtem Zureden ihrer Verteidiger) nach. Und standen doch auf.

Suche nach einem „Heiler“

Sie seien in der Türkei unterwegs gewesen, weil sie einen „Heiler“ für die kranke Mutter von P. aufsuchen wollten, erklärte dann ebendieser. Und nicht, um sich dem IS anzuschließen. Auch von einer Urlaubsfahrt war im Vorverfahren die Rede gewesen. Zudem ließ P. den Richter wissen: „Ich rede nicht mit Frauen. Das verbietet meine Religion.“ Auf den Einwand, dass er, P., aber Fragen der Staatsanwältin und auch der beisitzenden Richterin beantwortet habe, erklärte der Beschuldigte, er wolle lieber nur noch mit dem Richter reden.

Bemerkenswert war auch, dass P.s Mutter zeitweise in einem Nebenraum dem Geschehen lauschte. Der Gutachter riet nämlich dem Senat, der mitunter schwer atmenden Frau Aufregungen zu ersparen. Ein Hinweis, der für ein Strafgericht, das über jahrelange Haftstrafen zu entscheiden hat, wohl nicht ganz leicht umzusetzen ist.

Kurzzeitig war die Tür zu dem Nebenzimmer geschlossen (eine Dolmetscherin stand vor der verschlossenen Tür und schrieb das im Saal Gesagte mit), was einem Verhandeln in Abwesenheit nahe kam. Dies wiederum wollte der Richter ohne Zustimmung der Frau – und natürlich im Hinblick auf die Strafpozessordnung – unbedingt vermeiden. Zuvor war es noch notwendig gewesen, auf kurzem Weg ein Gutachten zur Frage einzuholen, ob die Frau überhaupt verhandlungsfähig sei. Dies wurde aber klar bejaht.

In dieser wahrlich holprigen Tonart zog sich die Verhandlung über Stunden dahin. In nur einem untergeordneten Punkt, nämlich Urkundenfälschung, bekannte sich der 20-jährige P. schuldig. Dieser Vorwurf betraf die Verwendung eines gefälschten ("in Wien von einem Russen um 350 Euro gekauften", Zitat P.) Führerscheins.

Letztlich ersuchte P. um eine Unterbrechung des Prozesses, um beten zu können. Eine Unterbrechung musste es aber gar nicht geben, da der Senat sich ohnedies zu einer Vertagung entschloss. Kommenden Donnerstag soll es weitergehen. Voraussichtlich werden dann auch die Urteile verkündet.

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