Die finsteren Wege der Schrottautos

(c) Clemens Fabry
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Eine Viertelmillion Autos geht jährlich außer Betrieb. Ein Bruchteil davon landet im Recycling. Die meisten Eigentümer verkaufen ihr Auto lieber, als es dem Schrotthandel zu schenken. Doch das ist oft illegal.

Der alte Fiat hat Gerda B. fast 16 Jahre lang treu begleitet. 2014 war Schluss, die Hürde für die jährliche § 57a-Überprüfung, auch Pickerl genannt, einfach zu hoch. Bremsen und Fahrgestell waren hinüber, eine Reparatur nicht mehr wirtschaftlich. B. stand vor der Wahl: Verschenken des Autos an einen zertifizierten Autoverwerter oder verkaufen an einen ausländischen Inserenten aus den Kleinanzeigen.

Sie entschied sich für Letzteres. Der Mann aus dem Osten kam mit Lieferwagen und Anhänger, bot – immerhin – 350 Euro für das Auto, bedankte sich höflich und fuhr wieder los. Was B. zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Sie hatte soeben gegen das Gesetz verstoßen. Der Verkauf sogenannter Altautos ins Ausland ist in den meisten Fällen nämlich verboten. Stark vereinfacht gesagt gelten fahruntaugliche Autos mitsamt den in den Maschinen befindlichen Ölen, Flüssigkeiten und Säuren als Sondermüll, der im Inland von Spezialunternehmen verwertet werden muss. Daten aus dem Umweltministerium legen nahe, dass dieser Rechtsbruch hierzulande zehntausendfach geschieht. Und das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen.

Die der Vermutung zugrunde liegende Rechnung ist einfach. Wie in den vergangenen zehn Jahren meldeten in Österreich Privatpersonen und Betriebe auch 2014 knapp 250.000 Fahrzeuge bei den Behörden ab. 200.000 davon – jenes von Gerda B. gehörte dazu – deshalb, weil sie aufgrund sicherheitsrelevanter Mängel kein Pickerl mehr bekamen. Von dieser Viertelmillion landete jedoch gerade einmal ein Viertel – seit Jahren bewegen sich die Zahlen auf vergleichbarem Niveau – in den Shreddern der Autoverwerter. Der Rest verschwand spurlos.

Alfred Störchle aus dem niederösterreichischen Neulengbach beliefert als Schrotthändler eine dieser bundesweit sechs Höllenmaschinen, die Autos buchstäblich zum Frühstück verspeisen und in rasender Geschwindigkeit in ihre Bestandteile zerlegen. Gleichzeitig ist er Interessenvertreter der Branche Sekundärrohstoffhandel. Er betrachtet den gigantischen Abfluss an Fahrzeugen aus mehreren Perspektiven. Eine davon: Verkehrsuntaugliche Altautos ins Ausland zu verkaufen sei eine Verwaltungsübertretung, auf die hohe Geldstrafen stünden. „Man muss die Leute besser über ihre Pflichten informieren. Wir sind der Meinung, dass derzeit ein erheblicher Teil der nicht wiederverwerteten Autos illegal über die Grenze geht. Man muss nur die Augen aufmachen und schauen, woher die Autotransporter kommen, die man überall auf der Autobahn sieht.“

Doch entscheidend, sagt Störchle, seien nicht nur die Vorschriften. Vielmehr gehe es um Umweltschutz und Sicherheit, denn: „Es ist eine global gefährliche Entwicklung, wenn diese Fahrzeuge unter Umgehung von Umwelt- und Sicherheitsstandards dort wieder notdürftig in den Verkehr gebracht werden.“ Aber ist das auch so?

Es gibt jedenfalls starke Indizien dafür. Die Geschichte von Gerda B. ist mit Sicherheit kein Einzelfall. Wer sein altes Auto nicht dem Schrotthändler überlassen will, wirft am besten einen Blick in eines der vielen Kleinanzeigenportale. „Wir kaufen alles! Auch ohne TÜV. Sofortige Barzahlung“, verspricht ein Inserent mit rumänischer Telefonnummer. Abmeldung und Abholung in allen Bundesländern inklusive.

Kaufe alles. Das Angebot eines Landsmanns von ihm – zumindest gibt er sich als solcher aus, obwohl er ein österreichisches Prepaid-Handy zur Kontaktaufnahme verwendet – lässt keinen Zweifel daran, dass es auf diesem Markt längst nicht mehr um den Ankauf von Gebrauchtwagen geht: „Zustand egal. Kaufe auch Fahrzeuge ohne Motor oder Getriebe. Ich freue mich auf Ihren Anruf.“ Auch die bekannten, auf Parkplätzen an Autos angebrachten Kontaktkärtchen lassen Schlussfolgerungen zu (siehe kleines Foto). Fehlendes Pickerl, Motorschäden oder Unfall – es scheint keinen Mangel zu geben, der ein Altfahrzeug davon abhält, „von Österreich nach Afrika“ zu gehen. „Mit Liebe, vielen Dank.“

Dabei ist die Unterscheidung zwischen Gebrauchtwagen und Altauto relevant dafür, ob der Verkauf ins Ausland legal ist oder nicht. Grundsätzlich kann nämlich auch ein Unfallauto oder ein Fahrzeug, das kein Pickerl mehr bekommen hat, noch ein Gebrauchtwagen sein. Nach Ansicht des Gesetzgebers – die Thematik wird im Umweltministerium bearbeitet – ist das dann der Fall, wenn die Reparatur- oder Instandsetzungskosten den Zeitwert des Fahrzeugs nicht überschreiten. „Wie hoch die theoretischen Kosten hierfür sind, muss der Fahrzeugeigentümer mittels Gutachten eines Sachverständigen ermitteln“, sagt ÖAMTC-Jurist Nikolaus Authried.

Beweislast beim Verkäufer. In einem Erlass des Umweltministeriums ist das klar geregelt: Bekommt die Behörde Wind vom Verkauf ins Ausland, liegt die Beweislast (und auch die Kosten dafür) beim Verkäufer.

Eine bittere Erfahrung mit der Materie machte 2013 ein Autohändler aus dem Großraum Wien. Er wollte abgemeldete Autos ins Ausland verkaufen. Die Behörde erfuhr davon und stellte eine Verwaltungsübertretung fest. Vor Gericht konnte der Händler nicht darlegen, dass die Autos – zum Teil ohne Motor – noch wirtschaftlich reparierbar waren. Der Verwaltungsgerichtshof stufte die Fahrzeuge schließlich als gefährlichen Abfall ein, dessen Export jedoch verboten ist. Eine für das Thema richtungsweisende Entscheidung.

Aber warum greift der Gesetzgeber in diesem Bereich überhaupt derart tief in die Eigentumsrechte der Bürger ein? Umweltschutz. Ressourcenschonung. Recycling wertvoller Rohstoffe. Diesen Anforderungen sei in diesem Zusammenhang alles andere unterzuordnen. So sieht es jedenfalls Brüssel. Und tatsächlich: Von einem alten Auto können mit modernen Methoden inzwischen 80 Prozent und mehr wiederverwertet werden.

Totes Recht. Den rechtlichen Rahmen für den Status quo bilden die EU-Richtlinie über Altfahrzeuge, das österreichische Abfallwirtschaftsgesetz und die dazugehörige Altfahrzeugeverordnung. Dieses Regelwerk bestimmt, was erlaubt ist, und was nicht. Die Importeure der Marken müssen demnach die von ihnen vertriebenen Fahrzeuge nach dem Ende ihrer Lebensdauer kostenlos zurücknehmen. Die Verwertung, gemeint ist in Wahrheit das Recycling, darf nur durch besonders zertifizierte Unternehmen erfolgen, die ihre Dienste in der Regel den Importeuren oder den Endkunden anbieten. Diese erhalten dafür einen schriftlichen Verwertungsnachweis, der im Zuge der Abmeldung bei der Zulassungsstelle vorzulegen ist. Theoretisch.

„In der Praxis ist das nämlich totes Recht“, sagt Christian Holzer, Leiter der Sektion für Abfallwirtschaft im Umweltressort. Für die Mitarbeiter der Zulassungsstellen sei nämlich nicht ersichtlich, ob ein Eigentümer sein Fahrzeug endgültig abmeldet oder, was auch möglich ist, nur vorübergehend stilllegt. Holzer: „Natürlich könnte man hierfür weitere Nachweise über den Zustand des Fahrzeugs verlangen, das wäre aber ein weiterer Schritt in Richtung Überwachungsstaat.“ Außerdem hält man im Umweltministerium die Schätzungen der Rohstoffhändler für übertrieben, dass der Großteil der aus dem Verkehr genommenen Autos tatsächlich nicht mehr reparierbar ist und damit illegal außer Landes geht. Vielmehr, schätzt Holzer, sei es umgekehrt. „Ein großer Teil der Kfz geht unserer Ansicht nach als Gebrauchtwagen legal zu unseren östlichen EU-Nachbarn.“

Damit wird auch klar, warum einerseits Bürger ihr altes Auto lieber in Richtung Osteuropa verkaufen, und andererseits die Verwerter und Schrotthändler auf die Einhaltung der Gesetze nach Punkt und Beistrich pochen: Es geht ums Geld. Wer sein Altfahrzeug in Österreich rechtskonform entsorgen will, kann es nur verschenken. Manche Verwerter versuchen im Rennen um wertvolle Rohstoffe sogar bewusst großzügig aufzutreten und bieten – sozusagen als Bonus – eine kostenlose Abholung an. Der Grund: Die Tonne Stahlschrott ist in Österreich über 700 Euro wert. Andere Metalle noch viel mehr. Die Gratisübernahme von Altautos ist also keine selbstlose Dienstleistung, sondern ein einträgliches Geschäft. Umgekehrt sind beim illegalen Verkauf ins Ausland praktisch immer einige hundert Euro für den Eigentümer erzielbar. Es überrascht also nicht, wenn sich immer mehr Bürger in rechtliche Grauzonen begeben, statt ihre Autos zu verschenken.

In den osteuropäischen EU-Staaten sind Altautos deshalb noch etwas wert, weil sie dort wegen des niedrigen Lohnniveaus zumindest notdürftig reparier- und damit weiterverkaufbar sind. Österreichische Behörden haben jedoch auch unseriöse einheimische Händler im Verdacht, Autos, die in Wahrheit ein Fall für den Schrottplatz sind, anzukaufen und anschließend insbesondere nach Afrika zu verschiffen, wo sie als Sicherheitsrisiko oder gefährlicher Abfall noch für ein paar Jahre Einsatz gut sind. „Wir bemühen uns sehr, diese Fehlentwicklungen zu unterbinden, der österreichische Fahrzeughandel ist uns dabei jedoch nicht gerade behilflich“, so ein hoher Beamter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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