DoctorLeaks: Viel Frust im Spital

Gernot Rainer
Gernot Rainer(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dutzende Ärzte, Pfleger und Patienten haben bereits ihren Unmut über Engpässe in Spitälern kundgetan – zum Missfallen von Ärztekammer und Patientenanwaltschaft.

Wien. „Das Portal gegen ein krankes Gesundheitssystem“ nennt sich die vor rund einem Monat ins Leben gerufene Website www.doctorleaks.at der neuen Ärztegewerkschaft Asklepios. Auf der Seite haben seither Mediziner, Pflegekräfte, aber auch Patienten die Möglichkeit (auf Wunsch anonym), Missstände in Krankenhäusern aufzuzeigen, die (spätestens) seit dem Inkrafttreten des neuen Arbeitszeitgesetzes Anfang des Jahres aufgetreten sind oder sich verschärft haben. Die Bilanz nach einem Monat: Die Seite wird von besorgten Medizinern bzw. Pflegern und enttäuschten Patienten überrannt.

„Ich arbeite in der Notaufnahme im Wilhelminenspital, und ich mag diese Arbeit. Wir haben viel Platz und viele Möglichkeiten. Nur nützen wir sie nicht. Ich verzweifle an den Arbeitsbedingungen“, schreibt etwa eine Ärztin und fragt: „Warum sind die Arbeitsbedingungen so schlecht? Wir haben rund um die Uhr Arbeit und wenig Personal (vor allem Stammpersonal).“ Pausen gebe es kaum. 25-Stunden-Diensthabende hätten anfangs am Nachmittag bis zu zwei Stunden Pause gehabt und in der Nacht fünf Stunden Ruhezeit – sofern das Arbeitsaufkommen dies erlaube. „Mittlerweile fällt die Nachmittagspause und oft auch die Nachtruhe meistens kürzer aus, da einfach zu wenig Personal da ist“, beklagt sie. „Wir haben großartige Turnusärzte, die im Grunde den Betrieb auf der Notaufnahme aufrechterhalten. Aber sie sind mit dieser Situation natürlich überfordert.“ Sie sei „ausgelutscht“. – „Ich bin so enttäuscht und entferne mich immer mehr von meiner in mir tief verankerten Loyalität zu meinem Arbeitgeber. Das kann nicht die Zukunft sein.“

Um die Situation zu verbessern, schlägt die Ärztin eine Reduzierung der Stunden für alle auf 30 Stunden pro Woche bei gleichem Gehalt (für eine 40-Stunden-Woche) vor. „Das würde erstens Bewerber anlocken und zweitens das bestehende Personal halten.“

„Gangbetten nicht leugnen“

Ein anderer Arzt weist darauf hin, „dass in den Spitälern des Krankenanstaltenverbunds jetzt schon täglich Gangbetten auf den internistischen und unfallchirurgischen Abteilungen vorhanden sind“. Und spätestens ab Dezember würden die Gangbetten wieder massiv zunehmen. Hier brauche es eine Lösung. Zudem solle der Krankenanstaltenverbund „endlich öffentlich zugeben, dass Gangbetten vorhanden sind“. Als Lösung schlägt er das Einbinden der privaten bzw. christlichen Spitäler vor. „Und wenn es nicht mehr anders geht, die umgebenden Spitäler in Niederösterreich.“

Apropos Niederösterreich: Eine Ärztin aus dem Landesklinikum Waidhofen an der Thaya schreibt: Die geplante „Verlegung“ der Gynäkologie und Geburtshilfe nach Zwettl bedeute eine drastische Verschlechterung in der Versorgung der Bevölkerung des nördlichen Waldviertels – „sowohl für die Menschen, die nun mitunter bis zu einer Stunde unterwegs sind, um eine entsprechende Abteilung zu erreichen, als auch für die überlasteten Kollegen, die mit mindestens einem Drittel mehr Arbeitsaufwand rechnen müssen“. Sie befürchtet, „dass die Ambulanz-Wartezeiten länger werden, die Interventions- und Fehlerrate ansteigen und die Sicherheit bzw. Zufriedenheit sinken wird“.

Aber nicht nur Mediziner, auch Patienten nutzen das Portal, um ihrem Ärger Luft zu machen. Sie habe auf der urologischen Ambulanz in einem Krankenhaus der Gemeinde Wien fast zwei Stunden gewartet, obwohl sie einen Termin gehabt habe, schreibt eine Patientin. Als sie an die Reihe kam, habe ihr die gestresste Ärztin zu verstehen gegeben, dass sie kaum Zeit für sie habe. Zudem sei diese während des Gesprächs mehrmals dienstlich angerufen worden. Sie habe Fragen, die sie sich zu Hause aufgeschrieben habe, nicht stellen können. „Ich war wirklich sehr enttäuscht. Aber der Frau Doktor ist sicherlich keine Schuld zu geben, es ist das System.“

Dass Patienten diese Seite nutzen, um Beschwerden zu deponieren, sieht Patientenanwältin Sigrid Pilz eher kritisch. Eine Standesvertretung sei keine Patientenvertretung. Wenn jemand seinem Dienstgeber auf diesem Weg etwas mitteilen wolle, „dann ist das okay, aber Patienten vor den Karren zu spannen und in den Dienst zu nehmen, nicht“, sagt Pilz. Denn wenn es darum gehe, Patientenbeschwerden nachzugehen, gebe es bereits unabhängige Stellen, auf die verwiesen werden sollte – eben die Patientenanwaltschaft. „Aber letztlich müssen Patienten natürlich selbst wissen, an wen sie sich wenden“, sagt Pilz.

Kammer hat eigene Website

Auch die österreichische Ärztekammer weist auf Anfrage darauf hin, dass sich DoctorLeaks „nicht an Patienten, sondern an stationäres Gesundheitspersonal wendet. Dieser Zielgruppe will man offenbar eine Plattform geben, um Unmut über organisatorische Mängel öffentlich kundzutun.“ Aber die Ärztekammer habe mit www.cirsmedical.at schon 2009 ein Fehlerberichts- und Lernsystem eingerichtet, „das tatsächlich einen konkreten Zweck verfolgt, nämlich: Qualitätssicherung und -verbesserung durch anonymisierte, aber sehr konkrete Fallberichte von Ärzten und Pflegekräften“. Vorwürfe, eine Art Konkurrenzplattform zur Ärztekammer und Patientenanwaltschaft aufzubauen, weist Asklepios-Gründer Gernot Rainer zurück. „Wir wollen lediglich Missstände in Österreichs Spitälern aufdecken“, sagt der Lungenfacharzt. „Gehört wird, wer seine Stimme erhebt. Und wenn wir gemeinsam Druck machen, wird sich auch etwas ändern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2015)

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