Land unter Waffen: Rüstet Österreich auf?

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IWA OutdoorClassicsDaniel Karmann / dpa / picturedesk.com
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Man erzählt, seit der großen (Flüchtlings-)Krisenstimmung würden mancherorts die Waffenläden fast gestürmt. Was ist dran am großen Aufrüsten? Und was machen die Waffen mit uns?

Sich zu bewaffnen ginge schnell. „So was vielleicht? Da brauchen Sie keinen Schein, die können Sie auch in die Handtasche stecken“, sagt der freundliche Herr im Ottakringer Waffenladen, zeigt die Wand, an der die Gaspistolen fixiert an Kabeln hängen. Wie bei Handys kann man so ausprobieren, wie sie so in der Hand liegen. Gaspistolen, Schreckschusspistolen oder welche mit Pfefferwolke zum Beispiel. „Ab 130 Euro sind Sie schon mit was G'scheitem dabei“, sagt er. Von Feuerwaffen rät er ab, weist aber darauf hin, dass man eine Büchse oder Flinte – auch ohne Waffenbesitzkarte und dafür nötiges Prozedere kaufen könne – „nur drei Tage warten Sie, dann können Sie so eine mitnehmen“, sagt er, und zeigt die Langwaffen.

Es sind Waffen wie diese, die derzeit verstärkt nachgefragt werden, wie Waffenhändler berichten. Nicht genehmigungspflichtige Schusswaffen, Pfefferspray und Gaspistolen zum Beispiel. „Wir bemerken das vor allem im Osten und Süden Österreichs“, sagt Robert Siegert, selbst Händler und Sprecher der Branche in der Kammer. Da geht es vor allem um frei Verkäufliches: Bei Pfefferspray berichtet er etwa von einem Plus 20 bis 30 Prozent. „Ein Trend ist klar: dass sich die verschiedensten Leute, die nicht zur klassischen Zielgruppe für Pfefferspray zählen, das wären Studentinnen oder ältere Damen, nach Selbstverteidigungsmöglichkeiten erkundigen. Derzeit, das ist besonders seit Anfang/Mitte September.


Angst vor fehlender Polizei. Eine Tendenz, die Alexander Skoff-Salomon vom Wiener Traditionswaffenhandel Joh. Springer's Erben ebenfalls beobachtet: Eigentlich auf Jagd und Luxus spezialisiert, steigt auch dort der Pfeffersprayabsatz. „Grundsätzlich spüren wir, dass Heim- und Selbstverteidigung stark ein Thema ist“, sagt Skoff-Salomon. Kunden würden sich zudem nach mobilen Alarmgeräten für Türen oder Handtaschen erkundigen, Sportschützen Gummimunition zur Selbstverteidigung kaufen – auch dort ein Trend seit Anfang September. Seit die Grenzen de facto offen sind. Es ist aber nicht die direkte Angst vor Flüchtlingen, die Menschen in Waffenläden treibt. Oft gehe es darum, dass sie fürchten, dass die Kräfte der Polizei im Flüchtlingseinsatz so gebunden sind, dass sie anderswo dafür fehlen. Die starke Nachfrage konzentriert sich vor allem auf den urbanen Raum und besonders den Osten, so Branchensprecher Siegert. Aber auch im Grenzland sind Anrainer der Flüchtlingsrouten besorgt. Im Innviertel etwa, das zuletzt täglich tausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland durchquert haben, herrscht vielerorts Verunsicherung. Sie überlege, die Fenster im Erdgeschoss vergittern zu lassen, erzählt etwa eine Frau. Eine andere, Jägerin, sagt, sie würde sich verteidigen, wenn Fremde ihren Grund betreten. Und der Wirt eines kleinen Orts (den bisher kein Flüchtling je gesehen hat) verkündet in seiner Gaststube, er sei „bewaffnet und allzeit bereit“, wenn er gebraucht werde. „Egal, wer da komm.“ Es herrscht Alarmstimmung – die sich über solche Töne hochschaukelt. So sehr, dass im steirischen Spielfeld angeblich schon die Waffen ausverkauft waren. Franz Rameder, Büchsenmachermeister im oberösterreichischen Grenzort Schärding, „ärgert das maßlos“, wie er sagt. „Zu mir kommen jeden Tag Leute, die sagen: ,Und, bist schon ausverkauft?‘“, sagt er. „Nein, da, kommt's herein, ist alles noch da“, bitte er sie dann in sein Waffengeschäft. Obwohl unweit davon in Schärding zuletzt mehr als tausend Flüchtlinge täglich die Grenze passiert haben, sei das Gerede vom Aufrüsten „vollkommener Blödsinn“, wie er sagt.

Einige würden sich da jetzt wichtig machen wollen, andere das große Geschäft wittern, sagt er, und bekundet seinen Unmut über jene, die Öl ins Feuer gießen. Einzelne Frauen, die nachts oder frühmorgens oft unterwegs sind, hätten sich Pfefferspray gekauft, ein oder zwei Leute hätten sich erkundigt, wie man an eine Waffenbesitzkarte kommt. Ansonsten laufe sein Geschäft wie zuvor – also vor allem mit der Jagd.


258.622
(offizielle) Waffenbesitzer. Schaut man ins Waffenregister, ist ebenfalls kein massives Aufrüsten zu erkennen – aber doch ein klarer Anstieg der Zahl der Waffenbesitzer und (registrierten) Waffen in Österreich: Aktuell (Stichtag 1. November) besitzen 258.622 Menschen in Österreich eine Waffe, die ins zentrale Waffenregister (ZWR) eingetragen ist. Dort sind in Summe 907.137 Waffen der Kategorien A (verbotene Schusswaffen, etwa Pumpgun), B (Faustfeuerwaffen, halbautomatische Schusswaffen und Repetierflinten), C (Büchsen) und D (Flinten) registriert. Anfang Juli 2014 waren noch knapp 18.000 Österreicher weniger bewaffnet, auch waren gut 70.000 Waffen weniger registriert.

In Summe wäre die Zahl der Feuerwaffen damit in Österreich allein in 15 Monaten um fast neun Prozent angestiegen. Das heißt aber nicht, dass diese Waffen auch neu in Umlauf gekommen sind. Mitte 2014 ist die Frist zur Registrierung von Waffen im ZWR abgelaufen – sprich, Waffen, die bereits im privaten Besitz waren, wurden dann registriert, „bei den Händlern haben sich die Zettel gestapelt und sind in den Monaten darauf abgearbeitet worden“, erklärt Siegert. Bis Ende 2014 wurden pro Monat gut 7000 Waffen neu im ZWR erfasst, bis zum Sommer 2015 ist die Zahl auf monatlich weniger als die Hälfte zurückgegangen. Zuletzt, zwischen 1. Oktober und 1. November, wurden aber wieder mehr Waffen registriert: 5200 waren es in diesem Monat.


Anträge in Wien vervielfacht. Ein Trend, der anhalten könnte. Schließlich gibt es bei der Beschaffung jener Waffen, die Waffenbesitzkartenpflichtig sind, einen Rückstau: Das Verfahren dauert, inklusive psychologischem Gutachten, Kurs für den Waffenführerschein etc., einige Wochen. Jemand, der vielleicht im September beschlossen hat, sich eine Waffe zuzulegen, wartet möglicherweise noch auf die Genehmigung. Aber die Antragszahlen allein für Wien sprechen eine klare Sprache: Im August wurden zehn Anträge gestellt, im September 40, im Oktober 192. Auch aus anderen Bundesländern wird von steigender Tendenz berichtet.

Und: Freilich ist Österreich viel stärker bewaffnet, als das offizielle Zahlen sagen: Die Dimensionen des Schwarzmarkts werden nur geschätzt – kontrollierbar ist der illegale Handel auf einschlägigen Plätzen oder im Internet schwer. Eine Schätzung aus 2014 (vom Gun-Policy-Projekt der Universität Sidney, das international Waffenmärkte analysiert) ist jedenfalls von 2,5 Millionen Handfeuerwaffen, die in Österreich im Umlauf sind, ausgegangen – jede Vierte davon war damals registriert. Bevor das ZWR eingeführt wurde, ist man in offiziellen Schätzungen von ein bis zwei Millionen Waffen in Privatbesitz ausgegangen.

Trotz der steigenden Tendenz – auch Walter Hammerschick vom Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie will nicht von einem großen Aufrüsten sprechen. Er erinnert ebenfalls an den Ablauf der Meldefrist im Vorjahr und geht von etlichen Nachregistrierungen aus. „Interessant wäre auch zu schauen, wer die Waffen besitzt. Sind es Menschen, die sie beruflich brauchen? Ist es das Gewehr des Großvaters als Erbstück?“ – eine Untersuchung des Instituts, die allerdings einige Jahre her ist, hat gezeigt, dass das Motiv Sicherheit bei Waffenbesitzern eher untergeordnet war. „Da ging es eher um Sportschützen, Jagd oder Erbstücke.“ Auch Branchensprecher Siegert sagt, Aufrüsten aus Sicherheitsbedenken sei eher selten ein Motiv beim Kauf. „Sicher 50 Prozent der Waffen, die gehandelt werden, entfallen auf die Jagd, die übrigen 50 Prozent teilen sich auf Sport und Selbstschutz auf.“


Viele Schusswaffen, viele Erschossene
. Was aber macht es mit einer Gesellschaft, wenn sich die Menschen stärker bewaffnen? Welchen Effekt haben Waffen für das subjektive Sicherheitsgefühl – und welchen für die Entwicklung der Kriminalität? „Um zu sehen, was passiert, wenn Waffen zu leicht zugänglich und viele Waffen im Umlauf sind, muss ich nur mit freiem Auge in die USA schauen, wo regelmäßig Amokläufe und Massenschießereien vorkommen, und sich sogar Kinder beim Hantieren mit Waffen verletzen oder gar töten“, sagt Hammerschick. Diese simple Korrelation stellt eine Studie der Medizinischen Universität New York aus 2013 ebenfalls fest: Je mehr Feuerwaffen im Umlauf, desto mehr Menschen sterben durch deren Gebrauch. Ein Schluss, den die Forscher aus offiziellen Statistiken von 27 Staaten gezogen haben: Neben Besitzzahlen (allerdings aus 2007) wurden Mortalitätsstatistiken und Häufigkeit psychischer Erkrankungen verglichen. Bei der Sterblichkeit durch Waffen wurden Suizide, Unfälle und Verbrechen gezählt.

An der Spitze der Waffenbesitzstatistiken lagen die USA mit 88,8 Feuerwaffen pro hundert Einwohner – und einer Opferrate von 10,2 Toten durch Schusswaffen pro 100.000 Einwohnern. Japaner kommen indes faktisch ohne Feuerwaffen in Privatbesitz aus – und haben ebenso wenige Opfer zu beklagen. Österreich ist mit (in dieser Studie angenommenen) 30,4 Feuerwaffen pro 100 Bewohner relativ stark bewaffnet, in einem ähnlichen Ausmaß wie Deutschland, Kanada und Island. Am sichersten fühlen sich in Europa demnach übrigens Niederländer mit nur 3,9 Feuerwaffen pro 100 Einwohner.


Warnung vor dem Teufelskreis. Sripal Bangalore und Franz Messerli, die Autoren der Studie, resümieren, die Hypothese, Waffen würden eine Nation sicherer machen, sei damit widerlegt. Und sprechen den Teufelskreis an: Mehr Waffen führen zu mehr Waffengewalt. „Umgekehrt können hohe Kriminalitätsraten zu weit verbreiteter Angst führen und die Menschen dazu motivieren, sich zu bewaffnen.“ Hammerschick sieht im aktuellen Alarmismus um ein Aufrüsten in Österreich das Potenzial einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – es sei wichtig, genau zu beobachten, wie diese Entwicklung weitergeht.


Lieber Alarmanlage oder Hund. Und kann eine Waffe im Nachtkästchen tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, verunsicherte Menschen in einer Krisenstimmung wie der aktuellen beruhigen? „Das ist wohl von Mensch zu Mensch verschieden, den einen mag sie vielleicht beruhigen, für den anderen bedeutet eine Waffe im Haus Stress“, so Hammerschick.

„Grundsätzlich aber hängt das Sicherheitsgefühl von vielen Wahrnehmungen ab. Wenn sich etwa die soziale Situation verschlechtert, können Bedrohungsgefühle zunehmen. Er rät jedenfalls vom Waffenkauf ab – „Ist eine Waffe im Spiel, steigt die Gefahr, dass eine Situation eskaliert. Das Gegenüber, ein Einbrecher etwa, kann gerade dann auszucken, und man kann auch selbst schlecht oder falsch reagieren. Die Gefahr, dass durch eine Waffe mehr passiert, als dass sie schützt, ist einfach da.“ Und selbst Waffenhändler raten von einem unüberlegten Kauf klar ab. „Eine Waffe ist für Ungeübte keine Präferenz. Geht es um Heimsicherheit, raten wir dazu, das Haus zu sichern, sich da auf Empfehlungen der Polizei zu verlassen, über eine Alarmanlage oder einen Hund nachzudenken“, sagt Skoff-Salomon von Joh. Springers Erben – und betont, dass der Kauf einer Pistole „als Panikreaktion“ ohnehin nicht möglich sei, das Procedere dazu dauert Wochen.

Und auch der Ottakringer Waffenhändler will die scharfen Waffen nicht einmal richtig zeigen. „Wenn es Ihnen um das Sicherheitsgefühl geht, denken Sie vielleicht über etwas Kleines nach“, sagt er, zeigt eine täuschend echte. „Die macht eine Pfefferwolke. Sehr effektiv, aber ohne ernste Verletzungsgefahr.“

Besitz In Österreich

Die Kategorien legen fest, wie in Österreich der Besitz geregelt ist: Waffen der Kategorie A (Pumpguns, Schusswaffen mit Schalldämpfern, Kriegsmaterial etc.) gelten als verboten. Für Kat. B (Faustfeuerwaffen, Repetierflinten, etc.) braucht man eine Waffenbesitzkarte. Langwaffen der Kat. C und D sind frei erhältlich.

Eine Besitzkarte berechtigt zum Erwerb und Besitz, aber nicht zum Tragen (da brauchte man einen Waffenpass) einer Waffe der Kat. B. Dafür nötig: vollendetes 21. Lebensjahr, psychologisches Gutachten, Schulungsnachweis (Waffenführerschein).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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