"Kinder haben das Recht auf religiöse Bildung"

Kinder interessieren sich sehr für philosophische, theologische und existenzielle Fragen. Doch hier ist Sensibilität gefragt, denn es könnten auch Fehler passieren, sagt die in Linz tätige Religionspädagogin Silvia Habringer-Hagleitner.

Das Thema Religion ist für die Kindergärten wohl kein einfaches.

Silvia Habringer-Hagleitner: Es kommen Kinder mit sehr unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunftsgeschichte in die Institutionen. Dazu haben die Eltern sehr unterschiedliche Erwartungen an die Bildungsarbeit. Das ist eine herausfordernde Realität für alle, die in Kindergärten arbeiten.

Da wäre es leichter, das Thema einfach auszuklammern.

Gerade im Alter zwischen vier und sechs Jahren stellen Kinder große Fragen, etwa: „Warum müssen wir sterben?“, „Wie sieht Gott aus?“, oder: „Kommt meine Katze auch in den Himmel?“ Sie interessieren sich für philosophische, theologische und existenzielle Fragen im höchsten Maße und brauchen deshalb Institutionen, die sensibel in Bezug auf Religion und Spiritualität arbeiten – die offen sind für die Fragen der Kinder und das Konzept des Philosophierens und Theologisierens so anwenden, dass Kinder auch ermutigt werden, ihre eigenen Antworten zu geben. Wir gehen in der Religionspädagogik und der Religionspsychologie davon aus, dass Kinder „mit ihrem Gott unter dem Arm“ in den Kindergarten kommen. Sie haben demnach bereits eine spirituelle Anlage, die sie mitbringen. Deshalb ist wichtig, auch in öffentlichen Einrichtungen Religionen zu thematisieren und Toleranz im Umgang mit anderen Religionen zu erleben und zu erlernen.

Wie sollte die Kindergartenpädagogin also auf diese Fragen reagieren?

Es ist sinnvoll zurückzufragen: „Und wie stellst du dir das vor?“ Es sind ja schwierige Fragen, auf die wir letztlich als Erwachsene auch keine endgültige Antwort haben. Kinder sind Suchende, haben aber auf ihre Fragen oft schon Antworten gefunden, die ihnen im Moment helfen. Den Kindern ihre spezifischen Antworten zu lassen gewährleistet auch, dass die Kinder weiter auf der Suche bleiben. Glauben lernen ist ein lebenslanges Lernen. Wir lernen im Zuge unserer Lebenserfahrungen.

In den Kindergärten wird Religiosität wohl eher durch Feste vermittelt.

Das ist der zweite Weg, und er ist für religiöse Bildung auch wichtig. Kinder lieben Feste und Rituale. Die Religionen – und zwar jede Religion, die islamische genauso wie die buddhistische, jüdische oder die christliche – bergen einen großen Weisheitsschatz in ihren Traditionen und Geschichten. An diesen Geschichten sind Kinder, wie die Erfahrung in den Kindergärten zeigt, auch sehr interessiert, denn sie rühren eben an die großen Fragen. Kinder haben das Recht, von diesem Weisheitsschatz zu erfahren. Kinder haben das Recht auf religiöse Bildung.

Eltern könnten sich fragen: Nimmt mein Kind dadurch vielleicht eine ganz andere Haltung ein, als ich sie habe?

Das Kind kann im Kindergarten andere Geschichten und Vorstellungen mitbekommen, als es das bisher zu Hause gehört hat. Mein Sohn kam auch einmal mit fünf Jahren vom Kindergarten nach Hause und sagte: „Ich glaube an die Wiedergeburt!“ Kinder entwickeln ihre eigenen Bilder. Dann kann man sagen: Ja, in dieser oder jener Religion glauben die Menschen das. Meine Reaktion war es, interessiert nachzufragen und gleichzeitig zu sagen, dass ich persönlich nicht daran glaube. Ich habe ihm seine Vorstellung gelassen, weil sie damals wichtig für ihn war.

Aber an sich passiert doch die religiöse Prägung durch das Elternhaus.

Natürlich sind die Eltern die ersten Vorbilder. Eine der großen Herausforderungen für die Pädagoginnen ist deshalb auch, dass es so viele unterschiedliche Vorerfahrungen gibt: etwa Kinder aus sehr traditionellem Elternhaus – ob muslimisch oder christlich. Aber auch sehr, sehr viele Kinder, die zwar eine Religionszugehörigkeit haben, aber eigentlich indifferent aufwachsen, sodass außer bei Festen wie Weihnachten nicht über Religion gesprochen wird. Das Elternhaus ist prägend. Aber es ist wichtig ist, auch in öffentlichen Einrichtungen Religionen zu thematisieren.

Und welche Fehler werden hier gemacht?

Es gibt ein klares Kriterium, bei dem man sagen kann, dass es Kindern schadet: Wenn ihnen mit religiösen Geschichten oder Bildern Angst gemacht wird. Wenn ihnen gedroht wird, sie kleingehalten werden oder eingeengt in ihrer Lebensfreude. Das hat dann wenig mit einer aufgeklärten Religiosität zu tun und kann sehr schädlich sein.

In Wien wird Religion in öffentlichen Kindergärten eher ausgeklammert. Wie beurteilen Sie das?

Das Thema zu tabuisieren, weil es heikel ist oder schwierig oder sich Pädagoginnen unsicher sind, ist auch ein Fehler. Weil Kinder eben das Bedürfnis haben, über das, was ihnen wichtig ist, was sie in ihren Familien leben oder was sie von anderen sehen, auch zu reden. Ich erinnere mich an meine Forschungsarbeit in einem multikulturellen Kindergarten zur Zeit des Ramadan. Dort fragte ich ein fünfjähriges Mädchen, ob es auch faste. Sie strahlte mich an und fragte: „Du auch fasten Ramadan?“ Es war klar, sie wollte jemanden finden, der auch fastet.

Kinder wollen keinesfalls Außenseiter sein.

Aber wichtig ist es auch zu sehen, dass andere wiederum anders sind. Die Angst vor den anderen zu verlieren ist auch Teil der Bildungsarbeit. Oder das Interesse an anderen zu fördern, denn hier wird die eigene Identität auch gestärkt. Das ist, wie wenn ich in ein anderes Land reise: Dabei wird mir auch meine eigene Herkunft oft viel klarer.

Anmerkung der Redaktion: Unter Hinweis auf unsere Forenregeln musste die Kommentarfunktion zu diesem Thema deaktiviert werden. Wir bedauern.

Steckbrief

Silvia Habringer-Hagleitner ist Professorin für Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. Ihre Habilitation schrieb sie zum Thema „Zusammenleben im Kindergarten. Modelle religionspädagogischer Praxis“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wien

Islamkindergärten: Spracherwerb für Hammerschmid zentral

Sprachkompetenz ab dem Kindergartenalter verhindere Probleme in der Volksschule, so die Bildungsministerin. Der jüngst geforderten Quotenregelung weicht sie aus.
Ibrahim Olgun (r.), Präsident der  Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich,  im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Erich Kocina.
Wien

Muslime-Präsident: „Quotenregelung für Kindergärten“

Ibrahim Olgun, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, will in Kindergärten Kontingente für Ethnien und auch Nichtmuslime ansprechen. Muslime, meint er, würden zu Sündenböcken für gesellschaftliche Probleme gemacht.
Symbolbild
Wien

Uni Wien lässt Studie zu Islam-Kindergärten extern prüfen

Zur "Wahrung völliger Unparteilichkeit" soll die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität die umstrittene Studie prüfen.
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP)
Österreich

Kindergarten-Studie: "Wir arbeiten frei von jeglichem Einfluss"

Mitarbeiter des Instituts für Islamisch-Theologische Studien wehren sich gegen Spekulationen, die umstrittene Kindergarten-Studie sei zugunsten der politischen Linie von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) geändert worden.
Sonja Hammerschmid.
Innenpolitik

Kindergarten: Hammerschmid macht Druck

Drängen auf zweites Jahr und ein neues Superministerium.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.