"Die Gleichberechtigung nützt auch Männern"

„Wir sind nicht der Meinung, dass Burschen in einer Krise oder die großen Bildungsverlierer sind“, sagt Erich Lehner.
„Wir sind nicht der Meinung, dass Burschen in einer Krise oder die großen Bildungsverlierer sind“, sagt Erich Lehner.(c) APA/AFP
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Am Freitag wird der neue Dachverband für Burschen-, Männer- und Väterarbeit in Österreich (DMÖ) präsentiert. Vorsitzender Erich Lehner über Geschlechtergerechtigkeit, die richtigen Vorbilder für Buben - und Köln.

Die Presse: Was war der Auslöser für die Gründung des Dachverbands?

Erich Lehner: Es gibt in Österreich niemanden, der eine Legitimität zu Männerfragen hat. Es gibt Einzelpersonen oder -Institutionen. Dazu kommt, dass oft auch unqualifiziert über Männerfragen gesprochen wird. Daher gab es in den bisherigen Institutionen die Idee, sich zusammenzuschließen – als Sprachrohr und Ansprechpartner.

Wie definieren Sie Männerarbeit?

Selbstverständlich sind Männer als Gruppe nach wie vor privilegiert. Darüber hinausgehend ist aber die Position von Männern nicht immer gleich rosig. Es gibt Benachteiligungen, die zwar nicht struktureller oder gesellschaftlicher Art sind, die sich aber im Einzelleben negativ auswirken. Etwa die einseitige Berufsorientierung, die mit einer Abwesenheit in der Familie einhergeht. Das ist auch für Männer sehr belastend. Zu unseren Themen gehört weiters auch die Gewaltfrage. Männer sind jenes Geschlecht, das am meisten in Gewalt verwickelt ist. Außerdem geht es uns um Männergesundheit. Unsere Lebenserwartung ist ja geringer als die der Frauen.

Seit wann gibt es Männerarbeit in Österreich?

Ende der Achtzigerjahre. Ich würde das mit der Gründung der Männerberatungsstellen und auch der Aktivität der katholischen Männerbewegung datieren. Damals haben wir auch die österreichische Männerstudie unter Paul Zulehner begonnen. Im internationalen Vergleich sind wir sehr gut positioniert.

Welche Rolle spielen Männerbilder?

Der Mann wird nach wie vor als der Ernährer wahrgenommen und wird dann sehr leicht als der Dominante gesehen. Es gibt noch viel zu tun, um dieses Bild in der Gesellschaft abzubauen und zu geschlechtergerechteren Verhältnissen zu kommen. Man muss immer wieder sagen: Das ist auch zum Vorteil der Männer. Die Gleichberechtigung nützt auch Männern.

Arbeiten Sie mit Fraueninitiativen zusammen?

Die substanzielle, reflektierte Männerarbeit stand immer in Bezug zu Frauen. Geschlechtergerechtigkeit ist letztlich unser gemeinsames Ziel.

Wie ist denn die Männerarbeit politisch verankert? Man erinnert sich an die Männersektion, die 2001 unter dem Frauenminister Herbert Haupt gegründet wurde.

Ich hab damals gesagt: Hier wird eine richtige Entscheidung in die falsche Richtung gemacht. Zu dieser Zeit gab es in Schweden solche Institutionen schon sehr lange. Richtig konzipiert, als Kooperation mit Frauen, war es wichtig. Aber damals war es inhaltlich nicht gut platziert. Daher war ich ein großer Gegner. Mittlerweile ist diese Abteilung in einem völlig anderen Kontext, wir bekommen auch von ihr Unterstützung.

In Österreich sind vor allem laute Väterrechtsaktivisten bekannt.

Natürlich gibt es Gruppen wie die Männerpartei, die reaktionär sind. Davon grenzen wir uns sehr klar ab. Diese Gruppierungen sind in Österreich in den vergangenen Jahren sehr in den Vordergrund getreten. Es war daher durchaus ein Motiv, den Dachverband zu gründen, um dem entgegenzuwirken. Ich bin aber auch der Meinung, dass diese Gruppen à la longue bedeutungsloser werden. In Schweden sind sie das schon, weil die normale, geschlechtergerechte Arbeit von Männern und Frauen dem den Boden entzieht.

Was braucht es in Österreich, um die Männerarbeit zu fördern?

Das zentrale Thema ist die Geschlechtergerechtigkeit in der Familie, das heißt die Verteilung von Care-Aufgaben, von Beruf und Pflegearbeiten, Familienarbeit. Natürlich geht es auch um die Betriebe: den Aufbau von väterförderlichen Strukturen.

Um welche Themen geht es noch bei der Männerarbeit?

Auch um die Bildung. Wir sind nicht der Meinung, dass Burschen in einer Krise oder dass sie die großen Bildungsverlierer sind. Gleichzeitig müssen wir aber auf jene Gruppe von Burschen achten, die sich schwertun, und das sind nicht nur zugewanderte Burschen. Wir müssen mit diesen Burschen auch das Männerbild diskutieren und zu einem partnerschaftlichen Männerbild beitragen.

Zum Reizthema Köln: Können Sie sich das erklären?

Sexismus war in Männlichkeitskonstrukten immer präsent, und wir müssen dagegenarbeiten. Aber ich wehre mich dagegen zu sagen, dass das ein muslimisches Problem sei. Oder eines der Flüchtlinge. Der Islam ist nicht schlechter für Männer als das Christentum oder der Hinduismus. Aber natürlich muss man die Frage stellen, warum es jetzt passiert. Etwa auch in Indien. Ich war in den 1990er-Jahren mit meiner Frau in Indien, und es war damals eines der sichersten Länder für westliche Frauen, was heute absolut nicht der Fall ist.

Diese Art der Ausschreitungen ist etwas Neues und wurde importiert.

Ja, das erinnert schon an den Tahrir-Platz in Ägypten. Aber ich bin seit 1989 auch in der Integration tätig und ich habe mit Menschen aus dem arabischen Raum gearbeitet. Dabei haben wir auch Fragen der Familie und Sexualität thematisiert. Meine Erfahrung ist, dass das sehr wohl steuerbar ist – das heißt, wenn die Menschen strukturell integriert sind

Wäre nicht beim Flüchtlingsthema Männerarbeit wichtig?

Selbstverständlich.

Etwa bei Wertekursen?

Mit Wertekursen tue ich mir schwer. Sie können Werte nicht vermitteln oder lehren. Werte sind gelebte Praxis.

ZUR PERSON

Erich Lehner. Der studierte Theologe und Psychotherapeut befasst sich mit Männer- und Geschlechterforschung und lehrt u. a. an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Er ist Vorstandsvorsitzender des soeben gegründeten Dachverbandes für Burschen-, Männer- und Väterarbeit in Österreich (DMÖ). [ Lehner]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)

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