Rund 20 Prozent der Minderjährigen sollen sich schon einmal selbst Verletzungen zugefügt haben. Die Klinik Innsbruck führt eine eigene Sprechstunde für Selbstverletzungen ein.
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten ist laut Studien im Steigen. Rund 20 Prozent der Minderjährigen sollen sich schon einmal selbst Verletzungen zugefügt haben, erklärten Experten der Universitätsklinik Innsbruck am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Deshalb werde die Klinik nun eine eigene Sprechstunde für Selbstverletzungen einführen.
In einer Schulklasse mit 25 Kindern würden sich sechs Schüler bis zum Erreichen des Erwachsenenalters zumindest einmal selbst verletzten, meinte Martin Fuchs, stellvertretender Direktor der Innsbrucker Universitäts-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Zwei bis drei Kinder dieser Klasse verletzten sich im Laufe eines Jahres selbst", so Fuchs. Ein Jugendlicher würde die Diagnosekriterien für "Nicht-Suizidales Selbstverletzendes Verhalten" (NSSV) erfüllen.
"In den meisten Fällen handelt es sich nur um kurze Phasen, in denen sich die Kinder und Jugendlichen aufgrund von akuten seelischen Belastungen, wie die Scheidung der Eltern, die Trennung vom Freund oder schulische Probleme, selbst verletzten", erklärte Kathrin Sevecke, Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Bei rund vier Prozent der Jugendlichen würde die Diagnose aber NSSV lauten. "In diesen Fällen kann eine schwere psychische Erkrankung, wie eine Depression, im Hintergrund stehen", meinte Sevecke. Mädchen seien davon sieben bis neun Mal häufiger betroffen als Buben.
"Bis hin zum tiefen Schneiden, Stechen oder Verbrennen"
Die Erkrankung weise sehr unterschiedliche Ausprägung auf. "Es reicht vom leichten Kratzen, das kaum sichtbar ist, bis hin zum tiefen Schneiden, Stechen oder Verbrennen, das eine chirurgische Behandlung erfordert", sagte Fuchs. Außerdem gebe es eine Art Ansteckungsgefahr. "In Schulklassen kann es beispielsweise zu Nachahmungen kommen", meinte der Psychiater. Auch soziale Medien, wie Facebook oder Twitter, würden zur Verbreitung der Erkrankung beitragen.
Für die betroffenen Patienten würden die Selbstverletzungen eine Erleichterung von einem negativen Gefühl oder einen Ausweg aus persönlichen Schwierigkeiten bedeuten. Diese subjektive Erleichterung habe aber auch zur Folge, dass sich eine Art Abhängigkeit entwickeln könne. Im Rahmen einer Behandlung werde deshalb vor allem versucht, einen anderen Umgang mit Druck und negativen Gefühlen zu finden. "Die gute Nachricht ist aber, dass die Erkrankung gut zu behandeln ist", so Sevecke.
"Oft sind Eltern überfordert, wenn sie entdecken, dass ihr Kind sich selbst verletzt, und oft reagieren sie deshalb auch falsch", erklärte Fuchs. Wichtig sei, das Problem offen anzusprechen und zu enttabuisieren. Außerdem sollten die Eltern nicht zu lange versuchen, die Situation selbst in den Griff zu bekommen. In der neu eingeführten Sprechstunde für Selbstverletzungen könnten Ärzte gemeinsam mit den Patienten und Eltern klären, ob weitere psychiatrische Erkrankungen hinter den Verletzungen stehen und über weitere Behandlungsmöglichkeiten entscheiden.
(APA)