Traumjob: Arbeit, Teenager suchen eine Zukunft

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit der Wirtschaftskrise wurde die Generation Hoffnungslos geboren. Zwischen Fitnesscenter und AMS haben sich diese arbeitslosen Jugendlichen ihre eigene Leistungsgesellschaft kreiert.

Leistungsdruck, fixe Arbeitszeiten mit der Bereitschaft zur Mehrarbeit – der ständige Vergleich mit anderen, wenige Pausen, und krank sein ist tabu. Wer etwas aus sich machen möchte, der sollte diese Regeln befolgen, findet Marko. Er hat all das verinnerlicht und es in der Hierarchie nach oben geschafft.

Marko ist allerdings kein Firmenboss, er ist erst 17 Jahre alt und arbeitslos – sein Mikrokosmos ist ein Fitnessstudio in der Laxenburger Straße in Wien-Favoriten, wo er jeden Tag zur selben Zeit herkommt, um mit seinen Freunden zu trainieren. Wer hier am härtesten trainiert ist der Boss – in dem Fall er. Vier Stunden am Tag Training seien das Minimum – zufrieden sei er mit fünf, manchmal schaffe er fünfeinhalb. Sein Ziel: Profisportler werden. „Das ist ein super Job. Da verdienst du urviel Geld, schaust gut aus, alle mögen dich“, sagt Marko. „Und für die Frauen bist du dann auch voll interessant“, sagt er zur „Presse am Sonntag“ und lacht.

Träume der Jugend

Erfolg, Anerkennung, Geld – wovon Marko und seine Freunde träumen, wurde den Jugendlichen, die hier ihre Zeit totschlagen, bisher kaum zuteil. Marko war in der Schule ein aufmüpfiger Schüler, die neunte Klasse hat er mit eher schlechten Noten abgeschlossen – so wie viele der Jungen hier. Heute bereut er, sich nicht mehr angestrengt zu haben: „Ich hab das alles nicht ernst genommen, mir war die Schule egal. Manchmal macht man Fehler, die man nicht mehr rückgängig machen kann“, sagt er.

Weil sein Zeugnis so schlecht war, hat er nicht gleich nach der Schule eine Lehrstelle gefunden. „Ich habe zirka 100 Bewerbungen geschrieben und fast keine Antworten bekommen“, sagt er. Er hätte auch anfangs gar nicht so genau gewusst, wie man Lehrstellen sucht und findet, wie eine ordentliche Bewerbung ausschaut – geholfen habe ihm keiner. „Meine Eltern können schlecht Deutsch, die können das auch nicht“, erzählt er. Sie sind Tschetschenen.

Nach einer Zeit sei er dann beim AMS gelandet – und wurde somit plötzlich Teil der sogenannten Generation Hoffnungslos. Sorglos – so wie in der Schule davor – war plötzlich nichts mehr: „Du musst plötzlich wissen, was du für den Rest deines Lebens tun willst. Du musst dich bewerben, du musst erwachsen sein. Aber eigentlich bist du noch ein Kind.“ Und Geld gibt es auch keines: Anders als immer wieder propagiert hat ein Jugendlicher, der noch nie gearbeitet hat, nämlich nur in seltenen Fällen Anspruch auf Sozialleistungen in Form von Geld.

Laut Eurostat-Berechnung lag die Arbeitslosenquote in Österreich 2015 bei 5,6 Prozent – jene der Jugendlichen bei 10,4 Prozent. Insgesamt waren in Österreich im Jahr 2015 46.071 Jugendliche (unter 25 Jahren) arbeitslos gemeldet. Das sind 1554 Personen mehr als 2014 (+3,4 Prozent). Insgesamt stiegen die Zahlen in den letzten Jahren leicht. Der größere Teil betrifft die Gruppe zwischen 20- bis 24-Jährigen. Dass vor allem die Jüngeren leichter am Arbeitsmarkt Fuß fassen können, lässt sich wohl mit Programmen wie der Ausbildungsgarantie, wie es sie in Wien gibt, erklären. Schüler sollen gleich nach der Pflichtschule in eine weitere Ausbildung vermittelt werden. Wer keine Lehrstelle findet, kann in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte ausgebildet werden. Die Stadt investiert in diese Programme in Kooperation mit dem AMS und anderen Bildungsinstitutionen jährlich mehr als 70 Millionen Euro. Das Sozialministerium geht noch einen Schritt weiter und machte kürzlich den Vorstoß zu einer sogenannten Ausbildungsverpflichtung, die sicherstellen soll, dass jeder Jugendliche eine bessere Qualifikation als einen Pflichtschulabschluss hat. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Ausbildung und Arbeitslosigkeit: So hat in Österreich etwa rund die Hälfte aller Beschäftigungslosen nicht mehr als einen Pflichtschulabschluss vorzuweisen.

Derzeit läuft wieder der Bewerbungsmarathon für jene Lehrstellen, die ab Oktober besetzt werden. „Ich will arbeiten, unbedingt, aber ich will nicht wieder nur Absagen bekommen“, sagt etwa Damir (16). Er hat gleich nach der Schule keine Lehre bekommen – weil die Lehrausbildungen normalerweise aber immer erst im Herbst starten, musste er für einen neuen Versuch ein Jahr warten. Rund 20 Bewerbungen hat er diesmal an Werkstätten verschickt. Damir möchte Kfz-Mechaniker werden. „Denen ist doch allen egal, was mit uns ist, man kriegt meistens nicht mal eine Absage – die wissen nicht, wie das ist, wenn man nicht schlafen kann“, sagt Rufo (16). „Wir sind urstark, was glaubst, warum wir dauernd trainieren“, sagt Marko und klopft seinen Freunden auf die Schulter. „Der Erste, der einen Job findet, muss allen einen Urlaub zahlen. Mit Flugzeug und so“, sagt Damir, der noch nie geflogen ist.

Das Rittern um die Lehrstellen

Auch im Berufsinformationszentrum (BIZ) im Jugend-AMS am Gumpendorfer Gürtel gibt es derzeit viele aufgeregte Jugendliche. Dieser Tage treffen sich hier Schüler aus der letzten Schulstufe, die eine Lehrstelle suchen und jene, die Ausbildungsplätze zu vergeben haben. Firmen wie Siemens, Ikea oder Porr rekrutieren hier ihren Nachwuchs. „Das war heute mein erstes richtiges Vorstellungsgespräch“, sagt Melissa, die Nutzfahrzeugtechnikerin werden will. „Ich hoffe, es hat gepasst.“ Ein anderes Mädchen erzählt, sie habe das oft mit ihren Freunden geübt. „Das ist die wichtigste Prüfung und Entscheidung bisher in meinem Leben“, sagt sie.

Einen Stock darüber in der Beratung trifft die „Presse am Sonntag“ Fatima, die alles dafür geben würde, überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. „Ich habe eine Lehre als Frisörin angefangen, ich musste wegen Allergien abbrechen“, sagt sie. Seitdem ist sie auf der Suche. Fatima ist mittlerweile 18 – das sei ein großes Problem, erklärt ihr Betreuer, weil ein volljähriger Lehrling für einen Betrieb teurer ist. „Bitte, es ist mir völlig egal, ich will nur eine Ausbildung, ich halte das nicht mehr aus“, sagt sie zu ihrem Berater. Es sei oft schwierig, die Jugendlichen ein bisschen runterzuholen, erklärt ihr Betreuer. Man müsse mit ihnen realistische Lösungen erarbeiten, sie aufmuntern und aufbauen.

„Wir strengen uns dabei besonders an – weil wir uns Menschen, die es nie in das Berufsleben schaffen, schlicht nicht leisten können“, sagt Gerda Challupner, die das Jugend-AMS leitet und seit 35 Jahren arbeitslose Jugendliche betreut. „Ich werde immer gefragt, ob die jetzige Generation wirklich so schrecklich und hoffnungslos ist“, sagt sie. Die Antwort darauf sei klar: „Nein.“

„Sie sind weder dümmer noch fauler noch sonst irgendwas. Es sind einfach Pubertierende, aber die Zeiten haben sich geändert“, sagt Challupner. Der wirtschaftliche Druck sei globaler geworden – einem Jugendlichen sei es heute nicht mehr gestattet sich auszuprobieren, sich Zeit zu lassen oder Fehler zu machen. Jeder Fehltritt könnte in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten bedeuten, dass man es nicht schafft, im Berufsleben zu bestehen – dazu sei der Arbeitsmarkt härter geworden. Das merke man auch daran, dass es kaum mehr Eltern gebe, die ihre Kinder zu AMS-Terminen begleiten. „Als ich angefangen habe, war das völlig normal, dass Vater und Mutter mitkommen“, sagt Challupner. Dass dies jetzt anders ist, bedeute für sie nicht unbedingt, dass die Kinder aus einem verwahrlosten Haushalt kommen – sondern dass es für viele Erwachsene einfach nicht mehr möglich ist, ihren Arbeitsplatz für derartige Vorhaben zu verlassen. „Die Zeit der Pubertät ist eben eine mit vielen Problemen, und die Jugendlichen werden damit heute sehr oft sehr allein gelassen“, so Challupner. Dazu werde von den Jugendlichen immer früher erwartet, erwachsen zu werden – sie brauchten dazu aber immer länger.

Ein weiteres großes Problem sieht sie im krankenden Schulsystem, das dringend reformiert werden müsse. „Ich sage immer, wir sind die größte Reparaturwerkstatt des Landes“, sagt sie. Es sei durchaus nicht ungewöhnlich, dass Jugendliche nach positivem Pflichtschulabschluss die Grundrechnungsarten nicht beherrschen – nicht lesen oder schreiben können. Auch gute Deutschkenntnisse nach neun Jahren Pflichtschule sind offenbar keine Selbstverständlichkeit. „Wir schicken immer wieder Jugendliche in Deutschkurse, weil sie mit ihren Sprachkenntnissen kaum eine Chance auf eine Lehrstelle haben“, sagt Challupner. „Und bitte, das sind nicht nur, wie man vielleicht glauben möchte, Kinder mit Migrationshintergrund.“

Wie das möglich ist, können auch Karin Wallner und Leo Bosnjak nur schwer erklären. Die beiden unterrichten seit vielen Jahren an einer Polytechnischen Schule im 15. Bezirk – die Gründe für derartige Mängel sind für sie vielfältig: Auch sie nennen als Teil des Problems, dass Eltern immer weniger Zeit hätten. „Es fehlt etwa, dass vorgelesen und geredet wird“, sagt Wallner. Um diese Mängel und Fehlentwicklungen in der Schule kompensieren zu können, brauchte es mehr Ressourcen. Momentan passiere aber das Gegenteil: In den vergangenen Jahren seien die Klassen wieder schleichend gewachsen – immer häufiger würden sie mehr als 25 Schüler pro Klasse unterrichten – obwohl der Gesetzgeber einen verpflichtenden Richtwert von 25 Schülern vorgibt.

Um wirklich fördern zu können, wären Klassen mit weniger als 20 Schülern wünschenswert. Weiters bestätigen sie Challupners Beobachtungen, dass Jugendliche heute länger brauchen, um erwachsen zu werden: „Ein zehntes verpflichtendes Schuljahr wäre sinnvoll, die Kinder brauchen die Zeit, um zu wissen, was sie wollen.“

Wenige Meter vom Jugend-AMS entfernt spielen schon am Vormittag unter der Woche Jugendliche Fußball in einem Käfig am Gürtel. Während viele Gleichaltrige in der Schule sitzen oder einen Lehrberuf erlernen, schlagen sie hier die Zeit tot. Sie haben kein Problem mit Entscheidungen und wissen genau, was sie wollen: Manuel will Mechatroniker werden. Kenan will zur ÖBB – und Darko Frisör werden. Auch sie haben alle Dutzende Bewerbungen verschickt, erzählen sie der „Presse am Sonntag“. Während sie im Käfig zum Nichtstun verdammt sind – und auf den heiß ersehnten Brief warten, rasen die Autos und die Welt an ihnen draußen vorbei.
(Mitarbeit: David Bednarcik)

Die Vermittlerin

Gerda Challupner
hat seit 35 Jahren mit arbeitslosen Jugendlichen zu tun und leitet das Jugend-AMS in Wien.

Die Hauptprobleme sieht sie darin, dass von Jugendlichen heute verlangt wird, früher erwachsen zu werden – diese dafür aber immer länger brauchten. Sie fordert eine Bildungsreform, weil aus der Pflichtschule immer häufiger Jugendliche kommen, die nicht gut Deutsch sprechen oder ordentlich lesen können. Roßboth

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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