Waffenkurse: Wer Glock mehr vertraut

922.279 Waffen sind in Österreich registriert.
922.279 Waffen sind in Österreich registriert.Die Presse
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360 Grad Österreich: Waffenkurse boomen. Doch wer sind die Menschen, die einer Glock-Pistole mehr vertrauen als dem Staat?

Gerhard N. kann eigentlich nur Arzt sein. Er bewegt sich nicht hektisch, strahlt Ruhe aus und spricht langsam und sanft, als würde er ständig fragen: „Wo tut es uns denn weh?“ N. greift also ruhig und langsam zu einer Walther PPQ M2 Sport, Kaliber 9 mm Para, hebt sie mit beiden Händen auf Augenhöhe vor den Kopf und gibt rasch hintereinander fünf Schüsse ab. Entspannt nimmt er den Gehörschutz ab, schaut zufrieden auf die Zielscheibe, auf der drei Einschüsse zu sehen sind, und meint im Tonfall von „Wo tut es uns denn weh?“: „Gar nicht so schlecht.“

N. ist an diesem Tag einer von 15 Männern, die sich in einem Felsenkeller in Wiens 23. Bezirk, der zu einem recht beeindruckenden Schießstand umgebaut wurde, versammelt haben. Die wild zusammengemischte Gruppe – neben dem praktischen Arzt ist ein Beamter darunter, ein Rechtsanwalt, ein Automechaniker – hat ein gemeinsames Ziel: Sie alle wollen sich eine Pistole oder einen Revolver kaufen.

„Ich fühle mich einfach nicht sicher“, erklärt N. Er habe eine Ordination in der Nähe des Westbahnhofs. „Nicht unbedingt die beste Gegend.“ Bei Kollegen sei schon wiederholt eingebrochen worden, oft seien es Abhängige gewesen, die Medikamente gestohlen hätten. Eine Waffe im Haus, meint der Arzt, gebe ihm Sicherheit.


266.095 Waffenbesitzer. Der Boom bei den Anträgen auf Waffenbesitzkarten ist keine Neuigkeit. Im Bezirk Krems (Niederösterreich) wurden im Vorjahr fast doppelt so viele Besitzkarten ausgestellt wie noch 2014; im Bezirk Urfahr-Umgebung (Oberösterreich) hat sich die Zahl verdreifacht; in Wien binnen zwei Monaten mehr als verzwanzigfacht.

In absoluten Zahlen sind es freilich geringe Werte: In Krems waren es 2015 insgesamt 71 Waffenbesitzkarten (2014: 43), in Urfahr-Umgebung 152 (2014: 48) und in Wien stieg die Zahl von zehn im August 2015 auf etwas mehr als 200 im Oktober 2015. Mit Stand 1. Jänner 2016 waren in Österreich 266.095 Waffenbesitzer vermerkt und 922.279 Schusswaffen registriert. Die Zahl der registrierten Waffen stieg im Vergleich zu 2014 um 7,7 Prozent.

Interessanter sind die Menschen, die hinter diesen Statistiken stehen. Nicht halbseidene Figuren mit einem Minderwertigkeitskomplex, die sich und ihr Selbstbewusstsein aufrüsten wollen, sondern ganz gewöhnliche Bürger wie der praktische Arzt oder der Beamte, die Waffen bestenfalls aus dem sonntäglichen „Tatort“ kennen.

„Es sind Menschen aus allen Bildungsschichten und aus verschiedenen Milieus, die zu uns kommen. Da gibt es keine Muster“, sagt Alexander Skoff, der für das altehrwürdige Wiener Waffengeschäft Joh. Spinger's Erben arbeitet. Begonnen hat die Nachfrage nach Waffen und den angebotenen Kursen nach den Anschlägen in Paris. „Da ging es leicht nach oben.“ Eine zusätzliche Steigerung gab es, als in Medien über Pläne der EU berichtet wurde, den Besitz von Waffen zu erschweren. „Da ging es richtig nach oben.“ In Zahlen ausgedrückt: „Von Oktober vergangenen Jahres bis jetzt haben wir eine Steigerung bei den Kursen und beim Verkauf von mehr als 40 Prozent“, berichtet Skoff.

Markus Schwaiger, Geschäftsführer der Wiener Firma Euroguns, kann von weitaus höheren Steigerungsraten berichten. „ Bei uns gab es von Mitte 2015 bis Anfang 2016 ungefähr eine Verzwanzigfachung.“ Von „vielleicht fünf, zehn, 15 Leuten im Monat“, die bei Euroguns einen Waffenkurs absolvierten, auf „jetzt ungefähr 150 bis 200 Leute pro Monat“. Auch Schwaiger kann den Zeitpunkt der Steigerungen recht gut festmachen: „Richtig abgehoben hat das Interesse mit den Berichten über Waffenverbote.“

Die Reaktion der Österreicher ist insofern interessant, als hierzulande bisher galt, dass weniger Waffen mehr Sicherheit bringen. So wie in Japan, wo seit 1971 selbst kleinkalibrige Waffen nicht mehr an Privatpersonen verkauft werden dürfen. Das abschreckende Gegenbeispiel waren hierzulande stets die USA, wo jeder eine Waffe im Haus hat, in einigen Bundesstaaten (wie etwa neuerdings in Texas) vielleicht sogar an der Hüfte, weil die Politik das offene Tragen von Waffen erlaubt.

Aber scheinbar vertraut man jetzt auch in Österreich nicht mehr auf das Gewaltmonopol des Staates. Das abgewandelte Staatsmotto der USA – „In Glock we trust“, statt „In God we trust“ – gilt mittlerweile auch bei uns. Und auch wenn es kein Gesprächspartner offen sagen will – kein Waffenhändler, kein Anwärter auf eine Waffenbesitzkarte, kein Polizist, kein Politiker –, natürlich hat das Bedürfnis nach Sicherheit, das der Staat offensichtlich nicht mehr vermitteln kann, auch mit der unbestimmten Angst vor den vielen Flüchtlingen zu tun.


Psycho- oder Intelligenztest? Billig ist der Erwerb einer Waffenbesitzkarte nicht. Etwa 500 Euro muss man ausgeben, um eine Pistole oder einen Revolver zu Hause haben zu dürfen. Waffenpässe, die zum Tragen der Waffe auch außerhalb des Hauses berechtigen, werden de facto nicht mehr ausgestellt (selbst ein Polizist bekommt als Privatperson keinen Waffenpass mehr).

Neben dem verpflichtenden Kurs, um den Umgang mit der Waffe zu lernen, sind auch ein Psychotest und ein Gespräch mit einem Psychologen Voraussetzung für den Waffenbesitz. Nur wenn es eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gibt, kann der Anwärter eine Waffe kaufen. Wobei der Pychotest bei manchen Fragen eher ein Intelligenztest ist, etwa bei der: „Ich fühle mich manchmal wie ein Pulverfass knapp vor der Explosion.“ Ankreuzen kann man fünf Abstufungen zwischen „Trifft zu“ und „Trifft nicht zu.“ Fast überflüssig zu sagen: Mehr als 90 Prozent der Anwärter sind männlich, Frauen sind die Ausnahme.

Im Schießkeller in Wien-Liesing hat die erste Runde ihre Schüsse auf die Zielscheibe absolviert. Die Reaktionen der Schützen sind sehr unterschiedlich: von zufrieden bis nachdenklich. Im Notfall sollen sie ihr heute erlangtes Können gegen einen anderen Menschen einsetzen.

Bei der Sterblichkeit durch Faustfeuerwaffen liegen übrigens Unfälle nach Suiziden an zweiter Stelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2016)

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