Was taugt die Vorab-Kriminalstatistik?

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THEMENBILD: POLIZEI / SICHERHEIT / EXEKUTIVE(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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In sozialen Netzen wird ein Bericht über den Einfluss von Asylwerbern auf die vorläufige Statistik 2015 diskutiert. Er sei vernachlässigbar, heißt es. Das ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit.

Wien. Welche Auswirkung hatte die starke Migration auf die Kriminalstatistik 2015? Kaum eine. So lautet der Kern der Botschaft von Medienberichten und Expertenäußerungen am Mittwoch. Der „Kurier“ hatte zuvor in einer Grafik eine Schätzung zur noch nicht fertiggestellten Auswertung des Bundeskriminalamts für das Jahr 2015 veröffentlicht.

Demnach wurden im Vorjahr 500.000 Straftaten angezeigt. 14.000 davon betrafen von Asylwerbern begangene Delikte. Weil sich die Zahl der Asylanträge jedoch von 28.000 (2014) auf 90.000 in etwa verdreifachte, sei ein Anstieg um „nur“ 40 Prozent tatsächlich eine Verringerung. Relativ zumindest. Weiters ergebe sich daraus auch, dass nur 2,8 Prozent aller Straftaten von Asylwerbern begangen würden.

Fragwürdige Grundgesamtheit

In den sozialen Netzwerken, in anderen Medien und auf deren Leserseiten wurden die Daten emotional diskutiert. Die einen fühlten sich bestätigt und meinten, Migration stelle keine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Die anderen unterstellten Schönfärberei. Aber kann man die Veröffentlichung auch anders bewerten? Man kann.

Zunächst einmal: Die Anzeigenstatistik für 2015 gibt es noch nicht. Die (zum Teil fehlerhaften) Rohdaten aus den Bundesländern werden derzeit im Bundeskriminalamt zusammengeführt und überprüft. Ein valides Ergebnis wird für Mitte März erwartet.

Die veröffentlichten Zahlen ergeben sich, wenn man bisherige Zwischenberichte von Rohdaten an das Parlament hochrechnet. Für die Gesamtkriminalität liegt der Bericht für das erste Halbjahr vor. Jener über die Kriminalität von Asylwerbern umfasst Daten von Jänner bis August. Schreibt man diese Datensätze fort, kommt man auf die nun veröffentlichten Zahlen.

Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass das Kriminalitätsaufkommen in seiner Gesamtheit von Monat zu Monat, von Quartal zu Quartal sowie von Halbjahr zu Halbjahr stark variieren kann. Während der vergangenen zehn Jahre variierte der Unterschied der Zahl der Anzeigen zwischen erster und zweiter Jahreshälfte zwischen einem und zehn Prozent. Fortschreibungen wären also jedenfalls mit Vorsicht zu genießen.

Für seriöse Zahlenspiele ist eine solide Datenbasis der ausgewerteten Bezugsgruppe nötig. Die Zahl der Asylanträge pro Jahr ist diesbezüglich jedoch unbrauchbar. Das liegt daran, dass viele Antragsteller buchstäblich verschwinden, also das Land verlassen. Wie viele Asylwerber tatsächlich im Land sind, ergibt sich am ehesten aus den Daten der Grundversorgungsstatistik. Zwar kann die Grundversorgung auch von Menschen bezogen werden, die kein Asylverfahren laufen haben, ihre Zahl lässt sich jedoch exakt herausrechnen. Ende 2015 lebten 57.558 Asylwerber in Österreich, nicht 90.000.

Anteil überproportional hoch

Die Aussage, dass 14.000 Straftaten von Asylwerbern nur 2,8 Prozent aller Straftaten darstellen, ist zwar mathematisch korrekt, aber trotzdem nicht zulässig. Die geschätzte Grundgesamtheit von 500.000 Anzeigen umfasst nämlich auch ungeklärte Straftaten, Delikte also, bei denen kein Täter zugeordnet werden konnte. Das senkt den Anteil von tatverdächtigen und damit identifizierten Asylwerbern erheblich. Genauso wie die Grundgesamtheit nur geschätzt werden kann, liegt die Zahl der geklärten Straftaten für 2015 ebenfalls noch nicht vor. Aber für die vergangenen Jahre. 2014 zum Beispiel waren es 236.388. Davon wurden 9918 Asylwerbern zugeordnet, was einem erkennbar höheren Anteil, nämlich 4,2 Prozent entspricht.

Betrachtet man nun auch den Anteil der Asylwerber (Datenbasis: Asylwerber in Grundversorgung) an der Gesamtbevölkerung, dann ergibt sich folgendes Bild: In den vergangenen zehn Jahren stellte diese Gruppe zwischen 0,15 und 0,32 Prozent der Bevölkerung, war jedoch für 3,1 bis 5,5 Prozent der Straftaten verantwortlich. Im letzten, vollständig verfügbaren Jahr 2014 waren es 4,2 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2016)

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