Neffentrick: Der Beutezug der falschen Enkel

Mit einem Präventionsvideo sollen 20.000 Bankangestellte in Österreich für den Neffentrick sensibilisiert werden.
Mit einem Präventionsvideo sollen 20.000 Bankangestellte in Österreich für den Neffentrick sensibilisiert werden.(c) Bundeskriminalamt
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Im Vorjahr ergaunerten Betrüger über eine Million Euro, indem sie sich als Neffen oder Enkel ausgaben. Das ruft Innenministerin und Nationalbank auf den Plan.

Wien. Donnerstag, 11. Februar 2016: Ein Mann mit bundesdeutschem Akzent meldet sich bei einer 85-jährigen Dame in Operpullendorf. Er sei ihr Neffe, sagt er, und benötige dringend 60.000 Euro für den Ausbau seiner Wohnung. Die Frau wird misstrauisch, sie verständigt ihre Tochter, diese wiederum die Polizei. Nur eine Stunde zuvor hatte er das gleiche Spiel bei einer anderen Pensionistin in der Stadt versucht. Auch sie begriff, dass sie es mit einem Betrüger zu tun hatte, und rief die Polizei. Niemand kam zu Schaden.

Anders im Fall eines oberösterreichischen Pensionisten, der im Oktober auf dieselbe Art um eine halbe Million Euro gebracht wurde. Der Betrüger gab sich als alter Bekannter aus, sagte, er sei in Geldnot, brauche Hilfe. Die Überzeugungskraft des Täters war stärker als alle Warnungen der Bankangestellten: Der 70-Jährige räumte sein Konto leer und übergab das Geld in mehreren Schritten an einen vom vermeintlichen Bekannten geschickten „Abholer“. Vom Täter fehlt jede Spur. Vom Geld auch. Laut Bundeskriminalamt (BK) ist der Neffen- oder Enkeltrick ein jahrzehntealtes Phänomen. Aber er funktioniert noch immer.

Bis zu 1,5 Mio. Euro Schaden jedes Jahr

In den Jahren 2013, 2014 und 2015 erschlichen sich Betrüger in Österreich so jeweils zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Euro, so die Angaben des BK. 2011 waren es sogar noch drei Millionen Euro. Für die vermeintlichen Neffen, Nichten oder Enkel werden nicht nur Sparbücher aufgelöst und Konten geplündert, sondern auch Gold und Schmuck herausgerückt. Oft verlieren die Opfer ihre gesamten Ersparnisse.

Nun verschärfen die Behörden den Kampf gegen die Betrüger. Mit einem Präventionsvideo wollen Polizei, Oesterreichische Nationalbank (OeNB) und Wirtschaftskammer (WKO) mehr als 20.000 Bankangestellte erreichen. Denn diese seien das letzte Glied in der Kette und deshalb „wichtige Verbündete“ im Kampf gegen Trickbetrüger, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gestern, Donnerstag, bei der Präsentation sagte. Der Film werde in den nächsten Tagen an alle Banken ausgeliefert.

Die Bankangestellten werden in dem Video aufgefordert, auf ihr Bauchgefühl zu hören, einfühlsam zu sein und mit dem Kunden in einen separaten Raum zu gehen, wenn dieser größere Summen abheben wolle. Beim geringsten Verdacht solle nach Rücksprache mit dem Kunden die Polizei verständigt werden. So könne das Verbrechen verhindert werden.

Täter bauen enormen Druck auf

Einem Bankmitarbeiter in Neusiedl am See ist das Anfang des Monats gelungen: Eine 84-jährige war angerufen und um Geld gebeten worden. Als sie das Geld abheben wollte, führte der Bankangestellte ein Gespräch mit ihr und rief anschließend die Polizei. Und bewahrte der Frau damit 30.000 Euro.

Wurde das Geld den Tätern erst einmal ausgehändigt, ist es in den meisten Fällen für immer weg. Die Täter setzen sich schnell ins Ausland ab und selbst, wenn die Polizei sie aufspürte, wäre die Chance auf eine Verhaftung gering: „Die Opfer sind alte Menschen, deren Wahrnehmungsfähigkeit oft schon getrübt ist. Bei einer Gegenüberstellung erkennen sie die Täter nicht mehr“, sagte Rudolf Unterköfler, Leiter der Abteilung Wirtschaftskriminalität im Bundeskriminalamt auf der Pressekonferenz.

Das Schema der Neffentrickser mag leicht durchschaubar wirken, aber die Täter sind rhetorisch extrem gut geschult. Und sie „bauen enormen psychischen Druck auf“, wie es im Video heißt. Sie kommen in der Regel aus dem Ausland und „haben einen Hintergrund in den südosteuropäischen Ländern“, so Claus Kahn aus dem Bundeskriminalamt zur „Presse“.

Auf ihren Beutezügen nehmen sie eine bestimmte Gegend ins Visier, suchen sich im Telefonbuch Namen aus, die auf betagtere Menschen schließen lassen, und rufen dann oft einen ganzen Straßenzug durch, bis jemand auf den Trick einsteigt. Der Pensionist, der eine halbe Million Euro verloren hat, ist mit seinem Schicksal übrigens nicht allein, wie Unterköfler aus dem BK zu berichten weiß: „Wir haben in jedem Jahr einen Großfall.“

Das rät die Polizei

Prävention. Die Zielgruppe von Betrügern, die mit dem Neffentrick vorgehen, sind betagte, alleinstehende Menschen. Das Schema ist immer ungefähr dasselbe: Die Täter rufen an, ohne einen Namen zu nennen, und erkundigen sich nach dem Befinden des potenziellen Opfers. Fragt der Betroffene, mit wem er denn spreche, kommt vorwurfsvoll die Gegenfrage, ob man ihn denn nicht erkenne. Dann zählen die Opfer mehrere Namen von nahestehenden Personen auf, der Betrüger wählt einen aus und gibt sich in weiterer Folge als dieser aus. Er erzählt, sich in einer finanziellen Notlage zu befinden, und bittet um Geld. Die Polizei rät in solchen Fällen:

► Telefonate, bei denen Geldaushilfen gefordert werden, sofort abzubrechen;
► aufzulegen und den vermeintlichen Verwandten unter jener Telefonnummer zurückzurufen, die sonst auch verwendet wird;
► auf ein persönliches Treffen zu bestehen und sich nicht mit einer Vertretung zufriedenzugeben;
► zur Kontaktaufnahme mit solchen Personen die Gegensprechanlage oder die Türsicherungskette zu verwenden;
► sich das Aussehen der Person für eine spätere Personenbeschreibung genau einzuprägen;
► umgehend Anzeige bei der nächsten Polizeidienststelle zu erstatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2016)

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