Verpackungslose Geschäfte: Erbsen und Milch im Glas

Verpackungslose Geschäfte
Verpackungslose Geschäfte(c) Wolfgang Lehner - Hausrugger Pho
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In Graz eröffnet nach Wien, Linz und Innsbruck demnächst Österreichs viertes verpackungsfreies Geschäft. Der Supermarkt Liebe & Lose und Holis Market arbeiten bereits an ihrer weiteren Expansion.

Wien. London, Wien, Berlin. Die Reihenfolge mag ungewöhnlich klingen, macht doch vieles, was nach Wien kommt, zuvor in Berlin halt. In diesem Fall aber ist sie richtig. Wien hatte nämlich bereits Ende 2013 mit Lunzers Maß-Greißlerei ein Geschäft, das – so weit eben möglich – auf Verpackung verzichtet und seine Kunden bittet, eigenes Gebinde mitzunehmen. Es folgten Linz, Innsbruck – und nun Graz.

In der Neutorgasse, dort, wo kürzlich noch ein Franzose Produkte aus seiner Heimat verkaufte (in die er nun zurückgekehrt ist), eröffnet nach Ostern Das Gramm: Vom Müsli bis zum Bier zapft man sich hier alles in Wunschmenge in Gläser und Flaschen. Sie habe ihre Abschlussarbeit über Abfallwirtschaft geschrieben, sagt Umweltsystemwissenschaftlerin Sarah Reindl, die das Gramm zusammen mit Verena Kassar gegründet hat, und sei dabei durchaus zum Nachdenken gekommen, vor allem, was Plastik betrifft. „Die Grenzwerte für Chemikalien sind für recyceltes Plastik etwa strenger als für neues.“

Obwohl sich all die Geschäfte in den Details unterscheiden, ist ihnen doch gemeinsam, dass sie Verpackung vermeiden wollen und auch einen kleinen gastronomischen Betrieb angehängt haben, in dem die eigenen Produkte etwa zu Mittagessen, Snacks oder Eingekochtem verwertet werden, bevor sie verderben.

Supermarkt statt Greißlerei

Nicht als Greißler, sondern als (zugegeben, nicht übermäßig bequemen) Supermarkt definiert Georg Dominguez sein Geschäft Liebe & Lose, das er im September in der Innsbrucker Markthalle eröffnet hat. Das Grundkonzept: „Ein Bauernladen, wie es ihn in Großstädten auch gibt, aber zu üblichen Handelszeiten.“ Als in Berlin der Supermarkt Original Unverpackt eröffnete, addierte er zu seiner Idee noch den Gedanken der Verpackungsfreiheit. Weil er „die Bilder vor Augen hatte, die jeder kennt – von Plastik im Meer und Tieren, die die kleinen Plastikteilchen fressen müssen und elendiglich zugrunde gehen.“

Liebe & Lose ist eine Mischung aus Shop, Catering, Lieferservice und Gastronomiebetrieb: „Weil im Geschäft natürlich Lebensmittelausschuss anfällt, den wir zu Essen weiterverarbeiten und im Weckglas ausliefern.“ In Sachen Verpackung plädiert Dominguez für „Realismus statt Aktionismus“: „Ein recyceltes Altpapiersackerl hat eine schlechtere Energiebilanz als ein Plastiksackerl.“ Wer sich seine Erbsen in mitgebrachtes Plastik füllen will, sei bei ihm, im Gegensatz zu manch anderem Geschäft, willkommen. Auch der Biogedanke steht bei ihm nicht im Vordergrund. „Wir sind ein niedrigpreisiges, dafür hoch frequentiertes Geschäft.“ Sprich: „Kein Delikatessengeschäft, sondern eine Alternative zum Supermarkt.“ Weshalb man bei ihm auch alles vom Taschentuch bis zur Zahnbürste bekomme; bei den Lebensmitteln ein (zwangsläufig nicht rein regionales) Vollsortiment. Unter anderem mehr als 50 Wurstprodukte: „Das sind Dinge, die man bei einem Supermarkt vor Augen hat.“

Das Interesse am Thema, sagt Dominguez, sei jedenfalls riesig, letzte Woche erst war er zu einer Eröffnung in München eingeladen. Auch er bekomme ständig Besuch. Und er will expandieren: Noch im Sommer könnte eine zweite Filiale in Innsbruck eröffnen, mehrere Tiroler Gemeinden haben Interesse bekundet, und er hat auch schon ein fertiges Franchise-Konzept in petto: Im September eröffnet eine Franchise-Filiale in Wien.

Aber auch über Nachahmer freue er sich. „Das Entscheidende ist, dass wir einen Wandel im Handel anzustoßen versuchen. Dafür braucht man mehr als ein Geschäft.“ Ebenfalls auf Franchise will der Linzer Unternehmer Franz Seher setzen. Er hat im September das Holis Market eröffnet. „Mir ging es nicht nur um den ökologischen, sondern auch um den praktischen und finanziellen Faktor.“ Auf 200 Quadratmetern verkauft er Lebensmittel, aber auch Kosmetik- und Reinigungsprodukte.

Mehrweg statt eigenen Glases

Wobei hier kein Kunde Schraubgläser, Dosen oder Plastikschüsseln mitnehmen muss. Seher setzt auf das Mehrwegsystem, das heißt, die (meisten) Produkte werden in Pfandgläsern angeboten. Ausnahmen gibt es etwa bei Schokolade oder Pralinen, die sich nur schwer ohne Verpackung verkaufen lassen. Produkte aus der Feinkostabteilung werden in Wachspapier – „nicht plastikfoliert“ – verpackt. Seher ist derzeit mit einigen Franchise-Interessierten im Gespräch, etwa in Eisenstadt. Seine Kunden nehmen das Konzept gern an. Aufgefallen sei ihm, dass viele erst wieder lernen müssten, wie viel 100 Gramm eigentlich sind. „Wir sind vom Supermarkt sehr verwöhnt.“

Andrea Lunzer, die mit ihrer Maß-Greißlerei in Wien den Trend in Österreich eingeläutet hat, ist hingegen überrascht, wie viele „Hardliner“ – wie sie es nennt – zu ihren Kunden zählen. „Denen muss man nicht viel erklären, ich dachte das wird eher die Minderheit sein.“ Auch bei älteren Menschen herrscht wenig Erklärungsbedarf. „Die kennen das ja von früher.“

Wobei es natürlich sehr stark vom Produkt abhängt – und welchen Umgang man damit gelernt habe. Auf die Frage, bei welchem Produkt sich ihre Kunden mit dem Verzicht auf Verpackung schwertun, sagt sie ausgerechnet: „Brot, weil das Papiersackerl so normal sei. Aber ein Leinensack ist viel besser, der hält das Brot länger frisch.“ Auch bei Gemüse sei es schwierig, den Leuten zu erklären, dass nicht jede Sorte ein eigenes Sackerl brauche. Denn die gebe es auch bei Lunzer – aber eben nur für den Notfall. Bei den Trockenprodukten, die in großen Spendern gelagert werden, haben ihre Kunden aber recht schnell gelernt, ein mitgebrachtes Glas – das vorher gewogen wird – darunterzuhalten.Ähnlich funktioniert das bei Putzmitteln und Körperpflege-Produkten. Selbst Zahnpasta bietet sie verpackungslos an – in Tablettenform.

Auch die Grazer Gramm-Gründerinnen denken schon an eine zweite Filiale – in der es dann auch Non-Food-Produkte geben soll. „Allein dadurch, dass wir eröffnen, haben viele Leute angefangen, über das Thema nachzudenken“, sagt Reindl. Wenn Menschen auf die Topfengolatsche in der Plastikbox oder die tägliche Plastikwasserflasche verzichten würden, sei auch schon viel erreicht.

ADRESSEN

Lunzers Maß-Greißlerei
Heinestraße 35, 1020 Wien, Mo bis Fr 9–19 Uhr, Sa 9–17 Uhr, ✆ 01/21 21 387, mass-greisslerei.at

Liebe & Lose
Herzog-Sigmund-Ufer 13, 6020 Innsbruck, Mo bis Fr 7–18.30, Sa 7–13 Uhr, ✆ 0512/31 91 38, www.liebeundlose.at

Holis Market
Johann-Konrad-Vogel-Straße 7–9, 4020 Linz, Mo bis Fr 10–18, Sa 10–17 Uhr, ✆ 0677/61 65 93 28, holis-market.at

Das Gramm (ab April)
Neutorgasse 7, 8010 Graz, www.dasgramm.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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