Die mit den Hirschen röhren

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In Salzburg kamen Jäger aus ganz Österreich zusammen, um sich bei der Staatsmeisterschaft im Hirschrufen zu messen. Was eher skurril klingt, hat in der Praxis einen durchaus sinnvollen Hintergrund.

Es gehört eine ordentliche Portion Selbstvertrauen dazu, als 16-Jähriger vor mehr als 1000 Menschen auf der Bühne zu stehen und den Hirsch zu machen. Alexander Hochleitner lüftet kurz den Hut, blickt in die Menge, holt tief Luft, führt das leere Gehäuse einer Meeresschnecke zum Mund und macht „Uaaaaaahhhh“. Ja, so klingt es, wenn ein brünftiger Hirsch im Herbst nach einem Weibchen sucht.

Man könnte es als eher skurrile Veranstaltung sehen, die an diesem Tag im Messezentrum in Salzburg stattfindet: ein Wettbewerb, wer am treffendsten das Röhren eines Rothirsches nachmachen kann. An jedem anderen Tag wäre sie das auch. Aber heute findet die Messe Hohe Jagd und Fischerei statt, zu der bis Sonntag etwa 40.000 Besucher erwartet werden, und die Darbietung von Alexander Hochleitner entlockt den passionierteren und erfahreneren unter ihnen Bewunderung und Anerkennung.

„Nicht schlecht, was der Bua da macht“, raunt einer mit Hut samt Gamsbart an einem Holztisch in der ersten Reihe, und die fünf Juroren sind ähnlicher Ansicht: Einmal gibt es für den „suchenden Hirsch“ eine Vier, einmal eine Fünf und dreimal die Höchstnote Sechs. Nicht schlecht für einen 16-Jährigen in kurzer Lederhose, der ein 200 Kilogramm schweres liebeswütiges Tier imitieren soll.

Da tut sich der nächste Bewerber schon schwerer. Er hat ein flötenähnliches Instrument, das er wie eine Posaune aus- und einzieht. „Uuuaaaaa-iiih“, macht es plötzlich, als hätte der Hirsch Stimmbruch. Ein falsch gezogener und geblasener Ton. Kann passieren, aber ein Weibchen findet er auf diese Art genausowenig wie die Zustimmung der Juroren.


Unternehmer, Bäcker, Tischler. Zehn Männer stehen auf der Bühne – darunter ein Unternehmer, ein Bäcker, ein Tischler, ein Bankangestellter, ein Zimmermann – und messen sich in drei Kategorien: Zuerst gilt es, einen Hirsch nachzumachen, der ein Weibchen sucht – ein zögerliches, fragendes, aber doch auch kraftvolles Röhren. Als nächstes muss der Platzhirsch imitiert werden – laut, massiv, sein Revier und seinen Harem verteidigend. Die dritte Kategorie ist ein Röhrduell zwischen zwei gleich starken Hirschen.

Nun könnte man meinen, dass ein Hirschröhren dem anderen gleiche und es sich maximal durch Länge und Lautstärke unterscheide. Doch dem ist nicht so – und das kann Christian Hochleitner am besten erklären. Der 53-Jährige ist dreifacher Staatsmeister im Hirschrufen (ja, es ist eine Staatsmeisterschaft) und hat eine recht blumige Beschreibung parat: „Das ist wie bei den Menschen, wenn sie in die Disco gehen. Am Anfang gehen die Männer hinein, schauen sich einmal um und sondieren vorsichtig das Revier. Dann suchen sie aktiv die Damen, und wenn sie eine gefunden haben, verteidigen sie sie gegen mögliche Rivalen. Und dafür plustern sie sich auf und machen sich mächtiger und wichtiger, als sie sind.“ Der Hirsch macht es durch sein Rufen, der Auerhahn beispielsweise durch seinen Tanz. Der Mensch ist eben doch auch nur ein Tier – auf jeden Fall in der Disco.

Bei dem Wettbewerb in Salzburg geht es natürlich auch um die Show. Die Messeveranstalter wissen, dass sich eine Hirschrufmeisterschaft im Programm recht gut macht und ähnliches Interesse garantiert wie vor einigen Jahren die Weltmeisterschaft der Tierpräparatoren. Und für den gemeinen Besucher, der in den Hallen dominieren dürfte – sonst müsste man sich Sorgen machen, dass es in Österreich nicht genügend Hochstände für all die Jäger gibt –, sieht es ja tatsächlich eher skurril aus, wenn Menschen mit einer Muschel, einem langen Horn oder der Flötenposaune röhrende Töne nachmachen.

„Sicher isses a a Hetz“, sagt Christian Hochleitner, übrigens der Vater des 16-Jährigen Alexander und dessen geduldiger Lehrer. „Aber früher einmal war es für die Jagd ganz essenziell. Und man tut sich auch heut noch als Jäger leichter, wenn man einen Hirsch nachmachen kann.“

Christian Hochleitner ist seit 28 Jahren Berufsjäger im Blühnbachtal bei Werfen. Einer, der noch durch sein Revier pirscht und nicht nur auf dem Hochstand sitzt und wartet, bis der Hirsch kommt. Und wenn man durch den Wald geht, dann muss man das Rotwild verstehen: „Man tritt auf einen Ast, auf einen losen Stein, man macht auf jeden Fall Geräusche“, erklärt Hochleitner. „Das hört der Hirsch und ist weg. Es sei denn, er glaubt, dass hier ein anderer Hirsch kommt.“ Daher die Notwendigkeit, das Röhren zu beherrschen. „Nur so konnte man früher dem Hirsch wirklich auf Schußdistanz nahekommen.“


Aussterbende Kunst. Es ist eine aussterbende Kunst, die sich in Zeiten, in denen man mit dem Geländewagen auf ohnehin geschotterten Wegen bis zum Hochstand fährt und mit hochpräzisen Gewehren viele hundert Meter weit schießen kann, nur noch für Wettbewerbe zu eignen scheint. Zumindest in Mittel- und Westeuropa. In Osteuropa dagegen sind die Wälder noch nicht so gut erschlossen, die Jäger müssen also zu Fuß zu den Hirschplätzen gehen. „Dort wird das Hirschröhren in den Forstschulen unterrichtet“, weiß Hochleitner. „Wer das nicht beherrscht, tut sich beispielsweise in der tschechischen Republik ziemlich schwer.“ Deswegen sind die Tschechen Meister im Nachmachen der Hirsche.

Man kann sich am heutigen Sonntag davon überzeugen, wenn ab 14.30 Uhr der internationale Wettbewerb im Hirschrufen stattfindet. Die etwa 20 Teilnehmer kommen unter anderem aus Frankreich, Deutschland und Tschechien.

Als Instrument für das Röhren ist übrigens alles erlaubt, was in einem Rucksack Platz hat. Besonders beliebt ist das Horn eines ungarischen Graurinds. Das ist groß und relativ teuer: etwa 300 Euro muss man dafür bezahlen. Das Gehäuse einer Meeresschnecke oder ein Ochsenhorn sind billiger. Früher verwendete man auch das Horn einer Ziege, die Bundesforste haben Ende vergangenen Jahres ein handgearbeitetes, mehr als 100 Jahre altes in einer Jagdhütte im Nationalpark Kalkalpen entdeckt. Auf der weitläufigen Jagdmesse in Salzburg kann man sich auch speziell geformte Plastikhörner kaufen – oder eine CD.

Das Geheimnis eines guten Hirschröhrers ist, dass er nicht allzu gut ist. „Man darf den Hirsch nicht verschrecken“, sagt Otto Haitzmann, pensionierter Berufsjäger aus Lofer und Mitglied der Jury. „Wenn man allzu mächtig röhrt, vertreibt man ihn, weil er glaubt, hier ist ein weitaus stärkerer Rivale.“ Man müsse also Tonlage und Stimmvolumen an die Gegebenheiten des jeweiligen Reviers anpassen – ein Hirsch in den Donauauen klingt für den Profi ganz anders als einer aus dem Hochgebirge –, und auch an das Alter. Ältere Hirsche klingen beispielsweise heiser und zornig, ihre Tonlage ist viel tiefer. Als Juror achte er speziell darauf, wie breit die Darbietung des Hirschrufers sei, sagt Haitzmann.

An diesem Tag röhrt Christian Hochleitner wie kein anderer. Sei es ein suchender Hirsch, ein Platzhirsch oder auch beim Duell der Hirsche – der 53-Jährige kassiert die meisten Punkte und damit seinen vierten Titel als Staatsmeister im Hirschrufen. Sohn Alexander belegt Platz vier.

Christian Hochleitner bietet übrigens Kurse im Hirschrufen an, neulich etwa in einem Hotel in St. Pölten. Wenn knapp 50 Personen in einem nüchternen Seminarraum mit Whiteboard und Projektor stehen und röhren – das ist dann doch eher seltsam.

Fakten

Zehn Männer
röhrten in Salzburg um den Titel des Staatsmeisters im Hirschrufen. Darunter waren nicht nur Berufsjäger, sondern unter anderem auch ein Bäcker, ein Bankangestellter, ein Unternehmer und ein Tischler.

Der Bewerb
findet in drei Kategorien statt: Zuerst muss ein Hirsch imitiert werden, der im Herbst in der Brunftzeit ein Weibchen sucht. Als nächstes kommt das Röhren eines Platzhirsches, die dritte Kategorie ist ein Duell zweier gleich starker Hirsche.

Heute
findet ab 14.30 Uhr in der Messe Salzburg die internationale Meisterschaft im Hirschrufen statt. Etwa 20 Personen, unter anderem aus Tschechien und Frankreich, werden teilnehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

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