Strafvollzug: Wie Jihadisten „entschärft“ werden

SALZBURG: JUSTIZANSTALT SALZBURG IN PUCH-URSTEIN
SALZBURG: JUSTIZANSTALT SALZBURG IN PUCH-URSTEIN(c) APA/BARBARA GINDL
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Österreichs Haftanstalten setzen seit Neuestem auf externe Fachleute in Sachen Deradikalisierung. Islamistische Ideologien sollen durch Einzelgespräche zurückgedrängt werden.

Wien. Überfüllte Gefängnisse, immer mehr Terrorismusverfahren, immer mehr Terrorverdächtige – diese Mischung stellt eine nie da gewesene Herausforderung für Österreichs Justizbehörden dar. Seit 1. Februar gibt es eine neue Strategie: In allen 27 Gefängnissen des Landes führt der eigens engagierte Verein Derad sogenannte Interventionsgespräche. So sollen inhaftierte Islamisten, oder solche, bei denen die Gefahr der Radikalisierung besteht, quasi umgepolt werden.

Eine erste Bilanz sieht laut „Presse“-Recherchen positiv aus. Schon 50 derartige Gespräche wurden seit Februar geführt (davor gab es quasi einen ehrenamtlichen Probebetrieb). Mit 20 Häftlingen wurde bisher gesprochen. Acht Derad-Leute, darunter zwei Frauen, waren zuletzt im Einsatz.

Die Experten setzen mit ihren Gesprächsformaten dort an, wo die Sozialarbeiter und Psychologen, die schon bisher im Einsatz waren, an ihre Grenzen stießen. Derad besteht aus Pädagogen, Islam- und Politikwissenschaftlern sowie aus Theologen. Demgemäß werden Inhalte aus den Bereichen politische Bildung, Sozialkunde oder etwa Religionspädagogik vermittelt.

Wer verweigert, ist im Nachteil

Die Kooperation zwischen dem Verein und dem Justizministerium wurde initiiert, nachdem Justizwachebeamte gemeldet hatten, dass ein bestimmter – islamistisch verblendeter – Gefängnisinsasse im Gespräch praktisch nicht mehr erreichbar sei. Und sich abkapseln würde. „Wir konnten ihn erreichen“, teilte Derad-Chef Moussa al-Hassan Diaw der „Presse“ mit.

Man kann Häftlinge, etwa junge Jihadisten, nicht zu Interventionsgesprächen zwingen. Doch die Praxis zeigt, dass Gesprächsbereitschaft gegeben ist. Wer das Gespräch verweigert, tut sich selbst keinen guten Dienst – zumal ein solches Verhalten auch dann berücksichtigt wird, wenn die Justizanstalt die Frage einer vorzeitig bedingten Entlassung prüft.

Derzeit sitzen bundesweit etwa 40 Jihadisten (großteils als U-Häftlinge) hinter Gittern. Den meisten wird Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angelastet. Es handelt sich etwa um Tschetschenien-Flüchtlinge, die versucht haben, in syrische Kampfgebiete zu gelangen, oder um solche, die schon dort waren und zurückgekehrt sind. An die 200 Terror-Strafverfahren laufen derzeit – viel mehr als in den Jahren zuvor.

Erschwerend: Sechs Haftanstalten Garsten, Suben (beide OÖ), Korneuburg, Sonnberg (beide NÖ), Eisenstadt und Wien-Simmering waren mit Jahresende 2015 laut einer Ende März vom Justizressort beantworteten Grünen-Anfrage zu mehr als hundert Prozent belegt, sprich: überfüllt. Insgesamt gibt es in Österreich knapp 9000 Häftlinge.

Auf Ministerebene findet man mittlerweile deutliche Worte. „Justizanstalten sind als kritische Orte und potenzieller Nährboden für Radikalisierungsvorgänge einzustufen und werden von ideologisierten Extremisten als Rekrutierungsräume genutzt“, antwortete vor Kurzem ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner auf eine Anfrage der FPÖ.

Die Rolle der Seelsorger

„Die österreichische Vollzugsverwaltung wurde im Laufe des vergangenen Jahres zunehmend mit jihadistisch radikalisierten Personen in Haft konfrontiert“, sagte wiederum Justizminister Wolfgang Brandstetter im Rahmen der Beantwortung einer weiteren Grünen-Anfrage.

Es sind auch die Grünen, etwa Bezirkspolitiker Alexander Spritzendorfer (Wien-Josefstadt), der in Sachen Deradikalisierung eine neue Forderung stellt. Diese findet sich in einem Resolutionsantrag der Bezirksvertretung wieder: Das größte Gefängnis Österreichs, die Anstalt Wien-Josefstadt (gut 900 Insassen), brauche bezahlte muslimische Gefängnisseelsorger – wobei vom Staat die „Letztverantwortung“ für deren Auswahl übernommen werden sollte.

Ob Seelsorger – diese müssten wohl die grundverschiedenen islamischen Glaubensrichtungen vertreten – Extremisten „bekehren“ können? Diaw diplomatisch: „Das ist ein eigener Bereich, in den wir uns nicht einmischen dürfen und möchten.“ Die Sprecherin des Justizressorts, Britta Tichy-Martin, wird deutlicher: „Nach internationalen Erfahrungen funktioniert Deradikalisierung nicht über Seelsorger.“

Derzeit sind in Österreichs Gefängnissen 160 Seelsorger tätig, davon 40 islamische. Praktisch alle sind ehrenamtlich im Einsatz. Es gibt nur viereinhalb bezahlte Planstellen – diese betreffen den katholischen Glauben und fußen auf dem Konkordat der 1930er-Jahre. [ APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2016)

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